Startseite
Icon Pfeil nach unten
Illertissen
Icon Pfeil nach unten

Weißenhorn: Eine Zeitreise mit dem Nachtwächter ins mittelalterliche Weißenhorn

Weißenhorn

Eine Zeitreise mit dem Nachtwächter ins mittelalterliche Weißenhorn

    • |
    Paul Silberbaur kennt sich bestens aus in Weißenhorn. Als mittelalterlicher Nachtwächter hat er Interessierte durch die historische Innenstadt geführt.
    Paul Silberbaur kennt sich bestens aus in Weißenhorn. Als mittelalterlicher Nachtwächter hat er Interessierte durch die historische Innenstadt geführt. Foto: Andreas Brücken

    Mit seinem langen, braunen Umhang und der Kopfbedeckung wirkt Paul Silberbaur wie ein Zeitreisender aus dem Mittelalter. Der neunjährige Theo, der mit seiner Familie zufällig vorbeiläuft, will es genau wissen: "Was ist das für eine Lanze, die Sie in der Hand halten?", fragt er, und umfangreiches Wissen über die Fuggerstadt an Interessierte weiter.

    Etwa ein Jahr lang hat der Hobbyhistoriker in der Geschichte der Fuggerstadt recherchiert, um die etwa eineinhalbstündige Tour zusammenzustellen. Mit viel Charme und schelmischem Humor führt der Nachtwächter sein Gefolge durch die Altstadt. Interessante Fakten und liebenswerte Anekdoten statt trockener Jahreszahlen bekommen dabei die Besucher zu hören. Unterstützt wurde Silberbaur bei der Vorbereitung vom Weißenhorner Geschichtsfachmann Matthias Kunze, dem Leiter des Heimatmuseums. "Es ist mir wichtig, dass das, was ich meinen Besuchern erzähle, auch wirklich stimmt", sagt Silberbaur und deutet auf seinen historischen Spickzettel, der um seinen Hals hängt.

    "Warum soll es solche Führungen nur in Nördlingen oder Rothenburg geben?", fragt Silberbaur

    Seit vielen Generationen lebt die Familie Silberbaur in Weißenhorn und dementsprechend groß sei sein Interesse an der Stadthistorie und dem Bedürfnis, die Geschichte und Geschichten weiterzugeben, sagt der Nachtwächter und fügt selbstbewusst hinzu: "Warum soll es solche Führungen nur in Nördlingen oder Rothenburg geben?" In der rund 850-jährigen Geschichte der Stadt sei ohnehin genug geboten, betont Silberbaur. Im Dreieck zwischen den mittelalterlichen Metropolen Ulm, Memmingen und Augsburg sei Weißenhorn die einzige größere Stadt gewesen. Dementsprechend aktiv sei auch das Nachtleben zwischen dem Oberen und Unteren Tor gewesen. "Bei 1200 Einwohnern gab es 22 Wirtshäuser, von denen 16 Lokale das Bier selber gebraut haben." In historischen Unterlagen fand Silberbaur den Beleg, dass damals bis zu 165.000 Liter Bier jährlich in der Fuggerstadt getrunken wurden. Doch sei der Gerstensaft bei Weitem nicht so stark gewesen wie heute, ergänzt Silberbaur und stellt klar, dass auch das Mittelalter in Weißenhorn kein Vergnügen gewesen sei.

    Hunger, Entbehrungen und Krankheiten hätten damals zu einer geringen Lebenserwartung geführt, erzählt der Stadtführer. Durchziehende Heere hätten damals die Handwerker und Bauern um ihr Hab und Gut gebracht. Der sonst so kauzige Nachtwächter wird dabei nachdenklich: "Wir sollten uns immer wieder darüber im Klaren sein, wie gut wir es doch heute haben." Zimperlich sei auch die Rechtsprechung in früheren Jahren nicht gewesen, fügt Silberbaur hinzu und lässt die Besucher in seine eigene Familienchronik blicken, um das anschaulich zu erklären.

    Einer seiner Vorfahren hat in Weißenhorn Erfahrung mit der strengen Rechtsprechung gemacht

    So sollte im Jahre 1755 der Schmiedknecht Michael Silberbaur den Christus zur Karfreitagsprozession geben. Doch der habe am Abend zuvor, wohl aus Aufregung, dem Alkohol so sehr zugesprochen, dass es am nächsten Morgen zum Eklat kam: "Er war dergestalten bezecht, dass er den Umgang quittieren musste", zitiert Silberbaur aus dem historischen Protokoll über den Ausrutscher seines Vorfahren. Mit vier Tagen Arrest bei Wasser und Brot sowie 30 schmerzhaften Streichen wurde die schauspielerische Karriere des Schmiedknechts beendet.

    Als die Gruppe wieder zurück auf dem Kirchplatz ist, schlägt die Glocke der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt wie bestellt zur vollen Stunde. "Hiermit entlasse ich Sie wieder in die Gegenwart", sagt Silberbaur und singt zum Abschied noch das Nachtwächterlied: "Hört, ihr Leut' und lasst euch sagen, die Uhr hat elf geschlagen …"

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden