Leon ist erst 14 Jahre alt, doch was Vogelkunde angeht, macht ihm keiner so schnell etwas vor. Erst 2019 hatte der Schüler aus Vöhringen einen Rotlappenkiebitz im Bucher Ried entdeckt. Vogelexperten waren begeistert: Es war das erste Mal überhaupt, dass dieses eigentlich in Asien heimische Tier in Deutschland gesichtet wurde.
Seither ist kaum ein Jahr vergangen und Leon hat schon die nächste ungewöhnliche Sichtung gemacht. Im südlichen Landkreis Neu-Ulm konnte er einen Steinadler beobachten. Nicht ganz so exotisch wie der Rotlappenkiebitz aus den Sumpfgebieten des Iran, Irak und Turkmenistans, aber dennoch: Seit den 1970er-Jahren hat sich keiner der seltenen majestätischen Vögel aus den Bergen hier in der Region blicken lassen. In Bayern gibt es derzeit, so schätzen Experten, nur zwischen 42 und 47 Brutpaare. Sie leben ausschließlich in den bayerischen Alpen.
Leons Video zeigt den Greifvogel bei der Jagd
Deshalb war Leons erste Vermutung auch, dass das Tier vielleicht von einem Falkner ausgebüchst war. Doch von keinem Falkner wurde ein Steinadler als vermisst gemeldet. Zumal der große und betreuungsintensive Vogel eher selten von einem Falkner gehalten wird.
Leon beschreibt, wie er die Begegnung mit dem Steinadler erlebt hat. Eigentlich hatten Leon und seine Eltern Turmfalken beobachten wollen. Irgendwann bemerkte der 14-Jährige, dass etwas anders ist als sonst. Die anderen Vögel – Raben, Mäusebussarde und Rotmilane – waren ungewöhnlich unruhig und sind plötzlich aufgeflogen. Die Tiere hatten schon vor den menschlichen Vogelbeobachtern die Anwesenheit des Steinadlers bemerkt. Mit der Kamera und dank 83-fachem Zoom konnte dann auch Leon den Steinadler sehen.
Erkannt habe er den Vogel ziemlich schnell, sagt Leon. Und sogar eine Jagdszene hat der 14-Jährige mit seiner Kamera festhalten können. Er zeigt ein Video, auf dem zu sehen ist, wie der Adler einen Feldhasen verfolgt, diesen mit seinen Krallen packt und am Ende sogar erlegt. Doch in Ruhe fressen konnte der Steinadler nicht. Die Raben, denen der seltene Gast zunächst suspekt war, wollten auch einen Happen von der Beute abhaben und versuchten immer wieder, ein Stück zu stibitzen. Schließlich trat der Steinadler den Rückzug an und flog davon.
Dass Leon erst jetzt über die Beobachtung spricht, die nun schon einige Woche zurückliegt, hat einen Grund: Dort, wo er den Steinadler gesehen hat, brüten auch Turmfalken und andere Vögel. Würden zu viele Leute auftauchen, in der Hoffnung, auch einen Blick auf den Adler zu erhaschen, könnte das die Tiere und ihren Nachwuchs erheblich stören. Deshalb verrät Leon auch den genauen Sichtungsort nicht, sondern beschränkt sich auf die Angabe „südlicher Landkreis Neu-Ulm“.
Der Steinadler hat einen golden schimmernden Nacken
Doch was macht ihn so sicher, dass es sich wirklich um einen Steinadler gehandelt hatte? Erkannt habe er den Vogel außer an seiner – im Vergleich zu heimischen Vögeln enormen – Größe an einigen charakteristischen Merkmalen: den vielen Fingern an der Flügelspitze und dem weißen Dreieck an der Unterseite seiner Schwingen zum Beispiel. Auf seinen Fotos sei außerdem der golden schimmernde Nacken zu erkennen. Wegen diesem Erkennungszeichen trägt der Vogel im Englischen auch den Namen Golden Eagle, auf Deutsch etwa „Goldadler“. „An dem Weiß an den Schwanzfedern sieht man außerdem, dass es wohl ein Jungvogel ist“, erklärt Leon.
Diese Begegnung hat er, wie fast alle seine Vogelsichtungen, in einem kleinen dunkelgrünen Notizbuch festgehalten. Dort trägt er Datum, Ort, Vogelart und alles, was sonst noch relevant ist, ein. Ergänzt werden diese Aufschriebe zum Teil auch mit Skizzen der Tiere und deren besonderen Merkmalen.
Leon besucht das Illertalgymnasium Vöhringen
Seine Sichtung des Steinadlers hat der Schüler auf der Vogelbeobachter-Plattform Ornitho und bei der auf Steinadler spezialisierten Vogelwarte in Garmisch-Partenkirchen gemeldet. So hat er auch erfahren, dass etwa zur selben Zeit ein Steinadler – sehr wahrscheinlich dasselbe Tier – in Rot an der Rot und am Kardorfer Stausee gesehen wurde. Doch wie kommt der Vogel, dessen Lebensraum eigentlich in den schroffen Felsen der Alpen ist, ins Illertal? Peter Wischenbarth, der Vater von Leon, vermutet, dass der Jungvogel vielleicht auf der Suche nach einem eigenen Revier einen ausgedehnten Erkundungsflug unternommen hat. Dass sich der Adler hier niederlässt, ist jedoch so gut wie ausgeschlossen. Dem Felsbrüter fehlen schlicht geeignete Nistplätze.
Leon und seine Eltern sind noch ein paar Mal zum Sichtungsort gefahren. Der Steinadler hatte sich allerdings nicht mehr blicken lassen.
Bislang besucht Leon die 8. Klasse des Illertalgymnasiums in Illerzell. Er will sich noch nicht festlegen, was er nach dem Abi studieren will. Seine Eltern sind sich jedoch jetzt schon sicher, dass aus ihrem Sohn einmal ein Ornithologe wird.
Einen weiteren Text über eine Beobachtung von Leon Wischenbarth lesen Sie hier:
Junger Vöhringer entdeckt asiatischen Vogel im Bucher Ried
Neulich war ein Wolf im Landkreis Neu-Ulm unterwegs. Mehr dazu lesen Sie hier:
Jetzt steht fest: Ein Wolf streifte durch den Landkreis Neu-Ulm
Der Neu-Ulmer Wolf war auch in Reutti – dort sah ihn eine Spaziergängerin
- Jetzt steht fest: Ein Wolf streifte durch den Landkreis Neu-Ulm
- Der Neu-Ulmer Wolf war auch in Reutti – dort sah ihn eine Spaziergängerin