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Vöhringen: Eine Helferin, die Dramatisches erlebt

Vöhringen

Eine Helferin, die Dramatisches erlebt

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    Sylvia Rohrhirsch bei einem ihrer Einsätze in Afrika. Sie klärt Menschen unter anderem über Aids und Malaria auf. Regelmäßig besucht sie auch eine von ihr mit gegründete Schule in Kenia.
    Sylvia Rohrhirsch bei einem ihrer Einsätze in Afrika. Sie klärt Menschen unter anderem über Aids und Malaria auf. Regelmäßig besucht sie auch eine von ihr mit gegründete Schule in Kenia. Foto: Sammlung Rohrhirsch

    Das Mädchen sei neun Jahre alt gewesen, als es verblutete, sagt Sylvia Rohrhirsch ruhig in die Runde. Stille. Betrübte Gesichter im Evangelischen Gemeindehaus in Vöhringen. Das Mädchen wurde beschnitten. Das heißt, ihm wurden Teile der Geschlechtsorgane entfernt und die verstümmelten Reste anschließend zusammengenäht. Ein grausames und zurecht verbotenes Vorgehen, das, so heißt es oft, die Jungfräulichkeit, die „Reinheit“ der Mädchen garantieren soll. Das Kind starb. Die Bellenberger Krankenschwester Sylvia Rohrhirsch konnte nichts mehr für die Neunjährige tun – so gern sie es getan hätte. Schließlich ist sie für andere Menschen da, wenn sie medizinische Unterstützung brauchen. Sei es in Pakistan, Mali, Sambia oder eben Kenia.

    Sie berichtet von der Genitalverstümmelung junger Mädchen in Kenia

    Angefangen hat Rohrhirschs Verlangen, für andere Menschen da zu sein, schon im Kindesalter, wie sie an diesem ersten „Vöhringer Abend“ 2019, der vom Evangelischen Erwachsenenbildungswerk organisiert wird, erzählt. Sie habe einen Film gesehen, in dem eine Nonne Kranken eines Lepra-Dorfes geholfen hat. Von da an habe sie gewusst: Sie möchte auch andere Menschen in fernen Ländern unterstützen. Lange Zeit lag ihr Traum auf Eis, Rohrhirsch ging ihrer Arbeit als Krankenschwester nach, heiratete, bekam Kinder. Doch als diese dann erwachsen waren, tauchte ihr Wunsch wieder auf. Es folgten Schulungen und wenig später klingelte Rohrhirschs Telefon: „Hast du Zeit morgen mit nach Pakistan zu kommen?“, hieß es am anderen Ende der Leitung. Es war Rohrhirschs erster Einsatz als Krankenschwester in einem Katastrophengebiet. In Pakistan bebte zu jener Zeit die Erde, etliche Menschen wurden verletzt, verschüttet und getötet. Tagsüber seien es mehr als 20 Grad gewesen, nachts seien die Temperaturen in den Minusbereich gesunken. Rohrhirsch und ihre Team-Kollegen übernachteten in Zelten – denn die Erde bebte auch Tage später immer wieder. „Ja, das hat einen schon geschlaucht“, gibt die 55-Jährige zu. Vor Ort hätten sich Rohrhirsch, eine Ärztin und ein Rettungsassistent zu dritt um mehr als 1000 Verletzte gekümmert. „Da überlegt man nicht lange, man funktioniert einfach.“ Das war 2004.

    Auslandseinsatz: Rohrhirsch war unter anderem in Kenia, Mali und Pakistan

    Mittlerweile war die Bellenbergerin schon in etlichen Ländern im Einsatz, hat Menschen beispielsweise in Afrika über Aids aufgeklärt und Opfern von Umweltkatastrophen geholfen. Vor wenigen Jahren wagte die Krankenschwester ein weiteres Projekt: Ein Schulbau in Kenia. Zusammen mit dem Ex-Langstreckenläufer Felix Limo schaffte sie es, eine Bildungseinrichtung für kenianische Buben und Mädchen in Eldoret auf die Beine zu stellen (Lesen Sie hier mehr über die Schule: Der große Traum vom Schulabschluss)

    Doch natürlich ist die Arbeit dort längst nicht getan, weshalb das Projekt weiterhin auf Spenden angewiesen ist. Und die Bildung sei von immenser Bedeutung, das A und O, sagt Rohrhirsch. Nur mit ausreichender Schulbildung hätten die Kinder später die Möglichkeit, zu studieren. Sie erzählt von einem hochbegabten Jungen, der nicht mehr zur Schule gehen darf, weil er die Schafe seiner Großmutter hüten muss – jene hat sonst schlichtweg niemanden, der sie unterstützen kann. Das bedauere Rohrhirsch sehr. Sie möchte sich für den Buben einsetzen. Aber vor allem auch für Mädchen sei Bildung enorm wichtig. Oft herrschten in ärmeren Ländern noch veraltete Rollenbilder. Es gebe Länder, in denen eine Frau, die vergewaltigt wird, drei männliche Zeugen braucht, die die Straftat bestätigen müssen, sagt Rohrhirsch. „Das wird dort oft als Rache zwischen den Familien benutzt“, so die 55-Jährige. Die Missbrauchten würden von ihren eigenen Familien verstoßen werden, weil die Frauen nicht mehr „verheiratbar“ seien.

    Als Frau in Katastrophengebiete zu reisen, sei für sie aber bisher nie ein Problem gewesen. „Ich bin ja jemand, der den Menschen dort etwas bringt. Das ist anders, als unter Einheimischen.“ Mehr Schwierigkeiten hätten da ihre männlichen Kollegen. Denn die dürften die weiblichen Patienten oft gar nicht behandeln. Manchmal helfe aber leider auch die medizinische Versorgung nicht mehr. Sterbe ein Kind wegen Mangelernährung spüre sie jedoch keine Trauer, sondern Wut, sagt Rohrhirsch. „Es ist genügend auf der Welt für alle da. Warum?“, frage sie sich dann. Einmal habe sie ein kenianisches Kind direkt in ihren Armen verloren.

    Eine Erinnerung, die sie an diesem Abend mit ihren rund 25 Gästen teilt. Und noch etwas teilt sie: Dankbarkeit. „Es ist ein riesen Glück, was wir hier haben.“ Ihre Arbeit im Ausland sei ihr Teil, ein Stück vom Glück abzugeben.

    Sylvia Rohrhirsch engagiert sich auch im Helferkreis: Asylhelfer im Landkreis: Der „harte Kern“ hält durch

    Mehr zum Engagement von Sylvia Rohrhirsch lesen Sie hier: Nichts ist gefährlicher als ein hungriger Mensch

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