Vom 22. bis 28. Juni findet in Bayern wieder die Woche des Waldes statt. Normalerweise finden in diesem Zeitraum Veranstaltungen und Waldführungen für alle am Wald Interessierten zu Wissenswertem über den Lebensraum Wald statt. Doch in Zeiten der Corona-Krise können auch beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten keine Veranstaltungen stattfinden. Stattdessen geht es diese Woche in einer Artikelserie in unserer Zeitung um das Thema „Biodiversität im Wald“. Der heutige Beitrag stammt von Angela Häusler.
Erlenbäume, so weit das Auge reicht, und alle spiegeln sich im dunklen Wasser, das sie ringsherum umgibt: Der Feuchtwald nahe dem Roggenburger Ortsteil Meßhofen ist eine kleine Rarität. Ein Sumpfgebiet, etwa 1,5 Hektar groß, das durch seinen dauerhaft feuchten Boden und nur eine einzige Baumart geprägt ist: die Erle. Es ist eine seltene Waldlandschaft, die nun sogar in ein Waldnaturschutzprogramm aufgenommen wurde.
Erlenbäume kommen mit nassen Standorten gut zurecht
Schwierig zu finden, mühsam zu begehen und eigentlich nur für Gummistiefel geeignet ist das Areal östlich der Biber, das in den kommenden zwölf Jahren im Rahmen des Schutzprogramms ganz sich selbst überlassen bleibt. Dieser Verzicht ist, ebenso wie diese Waldlandschaft, eine Ausnahme. Denn die allermeisten Waldgebiete sind auch Nutzflächen.
Fast der gesamte bayerische Wald werde regelmäßig bewirtschaftet, sagt Ralf Tischendorf vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Krumbach. Es werden also jedes Jahr junge Bäume gepflanzt, gepflegt und, wenn auch erst nach mehreren Dekaden, am Ende wieder gefällt. Das Holz wird verkauft und weiterverarbeitet. Und die Waldbesitzer und Forstämter achten bei der Pflege der Gebiete genau auf die Zusammensetzung der Wälder, betreiben Schädlingsbekämpfung, schaffen Sicherheit für Spaziergänger und in letzter Zeit achten sie auch zunehmend darauf, wie sich diese wichtigen Naturräume trotz Klima-Erwärmung, Stürmen und Überflutungen gesund erhalten lassen. Es ist eine stetige Gratwanderung zwischen Naturschutz, Wald als Erholungsraum und wirtschaftlicher Nutzung.
Der Freistaat Bayern zahlt Roggenburg einen Ausgleich für den entgangenen Gewinn
Letztere war in dem Sumpfgebiet schon bisher kein großes Thema: Jede Aktion dort ist wegen des nassen Untergrunds mit enormem Aufwand verbunden. Die Gemeinde Roggenburg als Besitzerin hat das Areal daher nur wenig bewirtschaftet. „Jetzt wollen wir bewusst ein Signal setzen, bis 2032 gar nicht mehr eingreifen und es sich entwickeln lassen“, sagt Bürgermeister Mathias Stölzle. Große Einbußen habe die Gemeinde deswegen nicht, es wurde auch bislang kaum Kapital aus dem Feuchtwald geschlagen. Aber es sei ein wunderschönes Stückchen Natur, sagt Stölzle. Für den entgangenen Gewinn erhält die Gemeinde immerhin 1800 Euro aus dem Fördertopf des Freistaats.
Ein „Kleinod“ nennt Ralf Tischendorf diese seltene Waldgesellschaft, die sich mit der Zeit zu einem sehr speziellen Lebensraum entwickelt hat. Denn in dem sumpfigen Boden haben sich Erlen verbreitet, die als eine von wenigen Baumarten mit so nassen Standorten zurechtkommen: Denn Erlen verfügen über ein Luftleitgewebe, mit dessen Hilfe sie trotz der Feuchtigkeit im Boden den benötigten Sauerstoff zu ihren Wurzeln transportieren können. „Auch alle anderen Pflanzen dort sind hoch spezialisiert und an diesen Extremstandort angepasst“, berichtet Tischendorf. Mit der Zeit habe sich dort eine ganz besondere Lebensgemeinschaft entwickelt, die vor allem Amphibien einen reichen Lebensraum bietet. Auch der auf spezielle Baumarten angewiesene Mittelspecht wurde dort schon gesichtet. „Dieses Gebiet bedarf einer ganz speziellen Behandlung, da jegliches Befahren nicht wieder gut zu machende Schäden nach sich ziehen würde“, sagt der Fachmann.
Heute bewirtschafte man derartige Bestände mittels aufwendiger Seilanlagen, um ein Befahren mit schwerem Gerät zu vermeiden, erklärt Tischendorf. Das lohne sich nur, wenn hochwertige Stämme entnommen werden können. In Roggenburg wird auf solche Operationen nun ganz verzichtet. „In diesem speziellen Fall bedeutet nachhaltige Waldwirtschaft einfach, nichts zu tun“, sagt Tischendorf. Die Verantwortlichen wollen jetzt beobachten, was dort passiert.
Schädlinge dürfen höchstens mechanisch entfernt werden
Während der nächsten zwölf Jahre dürfen gemäß den Förderrichtlinien des „Vertragsnaturschutzprogramms Wald“ in dem Areal weder Bäume gefällt, noch gepflanzt oder abgestorbene Bäume herausgeholt werden. Pflanzenschutzmittel bei Schädlingsbefall sind ebenfalls nicht erlaubt, höchstens mechanisch dürften Schädlinge entfernt werden. Die Gefahr, dass sich dort Schädlinge ungestört entwickeln können, die womöglich auf andere Wälder übergreifen, bestehe in diesem Fall nicht, erzählt Tischendorf, da der gefürchtete Buchdrucker, eine Borkenkäferart, die Erle nicht befällt.
Das Projekt komme der Biodiversität zugute, sagt Tischendorf. In den von Fichten dominierten Wäldern Mittelschwabens sei die biologische Vielfalt von besonderer Bedeutung, auch, weil es nun vermehrt gilt, ans veränderte Klima angepasste Baumarten zu pflanzen. Das Fördergeld vom Staat soll den Waldbesitzern den wirtschaftlichen Ausfall ersetzen. Das Programm richte sich auch an Privatiers, sagt der Experte. Sie können sich beispielsweise dafür bewerben, wenn sie Lebensräume für Biber erhalten wollen. (az)
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