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Perspektiven: Status: anerkannt – Zukunft: ungewiss

Perspektiven

Status: anerkannt – Zukunft: ungewiss

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    Firas Khaloof hat die Entscheidung über seine Zukunft in einem schwarzen Ordner abgeheftet. Ein weißes Blatt Papier, sorgfältig abgelegt. Drei Monate ist es her, dass der 32-Jährige den Bescheid vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – kurz BAMF – erhalten hat. Der wichtigste Satz darauf ist in fetten schwarzen Buchstaben gekennzeichnet: „Die Flüchtlingseigenschaft wird zuerkannt.“ Vier Wörter, auf die der gebürtige Syrer wartet, seit er seine Heimat verlassen hat, um in Deutschland neue Hoffnung zu finden. Vier Wörter, die über seine Zukunft bestimmen: Firas Khaloof darf bleiben.

    997 Asylbewerber leben nach aktuellen Zahlen des Landratsamtes derzeit im Landkreis Neu-Ulm. Während ein Großteil von ihnen auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge wartet, gibt es diejenigen, die bleiben dürfen – und die ihr Leben nun noch einmal neu ordnen müssen.

    Denn ein Bleiberecht in Deutschland zu bekommen, heißt auch, plötzlich auf eigenen Beinen stehen zu müssen: Deutsch zu lernen, einen Integrationskurs zu absolvieren, Arbeit zu suchen, aus der Flüchtlingsunterkunft auszuziehen, so schnell wie möglich. „Schwierige Aufgaben“, sagt Khaloof, der sich etwas verlegen durch die schwarzen Haare fährt. Seit November lebt der junge Mann in einer Asylunterkunft in Kellmünz. Aussicht auf Arbeit habe er bereits, erzählt er. Auch in Sachen Sprache sei er zuversichtlich. „Irgendwann wird das schon klappen“, sagt er halb auf deutsch, halb auf englisch. Aber eine eigene Wohnung zu finden? „Beinahe unmöglich.“

    Wer wie Khaloof als Flüchtling in Deutschland anerkannt ist, müsste eigentlich so schnell wie möglich aus seiner Asylunterkunft ausziehen und sich auf dem freien Markt eine Wohnung suchen. So will es das Gesetz. Dass das alles andere als einfach ist, bekommen nicht nur anerkannte Asylbewerber derzeit zu spüren. Denn schon jetzt fehlt im Landkreis günstiger Wohnraum für Menschen, die entweder auf Hartz IV angewiesen sind oder ein so geringes Einkommen haben, dass sie nur eine geringe Miete zahlen können.

    Von einem Dilemma spricht deshalb Karen Beth, Verwaltungsjuristin im Landratsamt Neu-Ulm. „Natürlich können und werden wir anerkannte Flüchtlinge nicht einfach auf die Straße setzen“, sagt sie. Auch wenn die Behörde die Plätze in den einzelnen Unterkünften dringend für Neuankömmlinge benötigen würde. Die Situation sei „angespannt“.

    In der Fachsprache werden all diejenigen, die wie Khaloof in einer Asylunterkunft leben, obwohl ihr Asylverfahren bereits abgeschlossen ist, als „Fehlbeleger“ bezeichnet. 117 solcher „Fehlbeleger“ leben nach Auskunft der Regierung von Schwaben und des Landratsamtes derzeit im Landkreis. Allein 97 davon in der Gemeinschaftsunterkunft der Regierung von

    „Was denken Sie, warum ich mich seit Monaten für eine Kommunalquote einsetze?“, fragt Landrat Thorsten Freudenberger am Telefon und beantwortet sich die Frage im nächsten Augenblick selbst: „Um genau das zu verhindern!“ Eine ungerechte Aufteilung – nicht nur von ankommenden, sondern auch von anerkannten Flüchtlingen. Gerade in größeren Städten wie Neu-Ulm, Senden, Vöhringen und Illertissen werde es künftig knapp mit dem bezahlbaren Wohnraum, ist auch Freudenberger der Meinung. Er ist sich auch bewusst, dass gerade Wohnungsnot der Nährboden für Frust in der Bevölkerung sei. Eine Neiddebatte dürfe aber keinesfalls aufkommen. „Umso wichtiger ist es, dass wir Wohnraum schaffen“, erklärt er.

    Da dem Landkreis beim sozialen Wohnungsbau gesetzlich weitgehend die Hände gebunden sind, beschränke sich sein Anteil auf eher beratende Funktion. Eine Idee, wie Gemeinden schnell Wohnraum schaffen könnten, hat Freudenberger bereits: Er regt an, die Kommunen sollten Grundflächen zur Verfügung stellen, auf denen günstige Modulbauten in Containerbauweise errichtet werden können. In diese könnten erst einmal Flüchtlinge einziehen, später könnte auf den Grundstücken günstiger Wohnraum entstehen. Viel Theorie, und auch Freudenberger räumt ein: „In der Praxis ist das alles natürlich nicht so einfach.“

    Das es nicht einfach werden würde, das wusste auch Mohammad Swaid, als er am 12. Dezember 2014 in die Asylunterkunft nach Kellmünz kam. Der 35-Jährige hat noch eine andere Theorie, warum er bislang noch keine Wohnung gefunden hat. Sobald er sage, woher er komme, höre er von Vermietern immer dieselbe Antwort: „We don’t need refugees in our house.“ – Wir wollen keine Flüchtlinge in unserem Haus. „Es gibt viele Vorurteile“, sagt er. Wie Khaloof ist auch Swaid aus Syrien nach Deutschland geflohen. Und auch er hat mittlerweile ein Bleiberecht. Anders als sein Landsmann ist Swaid jedoch weniger optimistisch, was seine Zukunft betrifft. „Manchmal kann ich vor lauter Sorgen nicht mehr schlafen.“ Seit dreieinhalb Jahren hat Swaid seine Frau und seine beiden Söhne nicht mehr gesehen. „Sie leben in Damaskus. Im Herzen des Krieges“, erzählt er, seine Stimme wird leise und brüchig. Alles, was er wolle, sei, sie wieder bei sich zu haben. Aber die Mühlen in Deutschland mahlten langsam.

    Wie langsam, das weiß auch Gerd Kunze, Asylbeauftragter in Kellmünz. Manchmal mache ihn die ganze Bürokratie richtig wütend, sagt er. Es sei kein Wunder, dass bei vielen die anfängliche Freude über die Anerkennung schnell getrübt werde. Anerkannt zu sein bedeute gleichzeitig, in eine Spirale zu geraten: Wer die Sprache nicht beherrscht, hat Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Und wer keinen Job hat, hat kaum Chancen auf einen Mietvertrag. Dabei stünden im Landkreis zahlreiche Einliegerwohnungen leer. „Vielleicht hilft es ja, die Menschen, die leere Wohnungen haben, gezielt anzusprechen“, sagt er. Die Vorbehalte zur Seite schieben, helfen.

    Eine eigene Wohnung würde zumindest Mohammad Swaid ein Stück Hoffnung zurückbringen. Das Bleiberecht sei nicht das Ende, das wisse er jetzt. Vielmehr der Anfang von weiteren Herausforderungen. „Und dabei brauche ich Hilfe.“

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