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Memmingen/Nordholz: Nach der Entführung noch gemeinsam einen Kaffee getrunken

Memmingen/Nordholz

Nach der Entführung noch gemeinsam einen Kaffee getrunken

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    Die mutmaßlichen Entführer und Erpresser müssen sich vor dem Landgericht in Memmingen verantworten.
    Die mutmaßlichen Entführer und Erpresser müssen sich vor dem Landgericht in Memmingen verantworten. Foto: Alexander Kaya (Symbolbild)

    Der Prozess um die zwei Slowenen, die einen Allgäuer Bauunternehmer und seinen damaligen Angestellten entführt haben sollen, ist gestern vor dem Landgericht Memmingen fortgeführt worden. Wie berichtet, wird den zwei Männern auf der Anklagebank erpresserischer Menschenraub, Körperverletzung und schwere räuberische Erpressung vorgeworfen.

    Am zweiten Prozesstag schilderten die mutmaßlichen Opfer, was im Dezember vor drei Jahren abgelaufen sei: Es ging um Geld – 48000 Euro, die Schlussrechnung für eine Baustelle. Ein slowenischer Subunternehmer hatte sie an den Allgäuer Unternehmer gestellt, der aber nicht zahlte. Zurecht, wie der Allgäuer sagte, schließlich hätten die Slowenen die Baustelle nicht fertig gestellt. Zurecht, sagte auch sein ehemaliger Angestellter, ein 38-jähriger Innenarchitekt. Der kümmerte sich zum Tatzeitpunkt im Unternehmen um alles, was eben anfiel – Planung, Personal, Rechnungen. Er sagte gestern aus, dass er mit dem Subunternehmer ein Treffen vereinbaren wollte, um über die noch offenen Posten zu verhandeln, wie es im Baugewerbe eben üblich sei. Zu dem Treffen sei es jedoch nie gekommen.

    Stattdessen entschied sich der Subunternehmer scheinbar für eine andere Strategie, um an sein Geld zu kommen: Der 38-Jährige erzählte, wie er und sein Chef unter dem Vorwand, ein Projekt besprechen zu wollen, von einem neuen Auftraggeber in eine Scheune nach Nordholz gelockt worden seien. Dass es statt um neue Pläne um alte Rechnungen ging, bemerkten die beiden spätestens beim Eintreten in die Halle: Von links und rechts seien zwischen fünf und sieben Männer auf die beiden gestürzt und hätten sie zu Boden geschlagen, ihnen die Handys abgenommen, sie in der Halle separiert.

    Zwischen Gebrauchtwagen seien sie in der Halle gekauert, den Kopf gesenkt, die Beine breitbeinig angewinkelt. Der Chef sei angeschrien und getreten worden, er müsse seine Schulden begleichen. „Und zwar sofort, keine Spielchen“, zitierte der Innenarchitekt.

    Um auszudrücken, wie ernst es den Slowenen war, hätten sie die Entführten mit einer Pistole bedroht. „Sobald er deutlich gemacht hat, dass er zahlt, hat sich die Situation entspannt“, erzählte der Angestellte weiter. „Sie haben uns Zigaretten angeboten und gefragt, ob körperlich alles ok ist.“ Trotzdem habe er noch Stunden in der Halle ausharren müssen, bewacht von den zwei Slowenen, die jetzt auf der Anklagebank sitzen. Der Bauunternehmer habe währenddessen das Geld auftreiben sollen – unter der Androhung, dass sein Angestellter ermordet oder seine Organe verkauft werden, sollte er aufmucken.

    Der Unternehmer selber sagte aus, dass er mit dem Kopf der Bande, der ihn zur Scheune gelockt hatte, nach Immenstadt gefahren sei. Mehr als 11000 Euro habe sein Konto aber nicht hergegeben, also habe er seinen Sportwagen, einen Mercedes, dem Slowenen überschreiben müssen, bevor sie nach Nordholz zurückkehrten. Nachdem nun alle Schulden beglichen waren, habe sich der Anführer der Kidnapper entschuldigt. Gemeinsam sei man nach Illertissen zur Tankstelle gefahren, zum Abschluss habe der Entführer die beiden Allgäuer noch auf einen Kaffee eingeladen. Eine Pizza lehnten beide ab. „Im Stehcafé hat er aus seinem Leben erzählt“, sagte der Innenarchitekt.

    Die beiden Opfer seien nach dem Vorfall in „Schockstarre“ gewesen, erst drei Tage später gingen sie zur Polizei. Die Ermittler machten einen in Illertissen wohnenden Slowenen als Kopf der Bande aus, der leitende Komissar schilderte im Gerichtssaal ausführlich, wie ein Sonderkommando das Haus des Slowenen gestürmt habe. Diesem sei es jedoch gelungen, sich vor einer Festnahme ins Ausland abzusetzen. Bis heute ist er untergetaucht. Im zurückgelassenen Wagen, der für die Fahrt nach Immenstadt genutzt worden war, fanden die Beamten aber die DNA-Spuren von einem der Angeklagten, der andere konnte über die Auswertung der Funkzellen dem Verbrechen zugeordnet werden.

    Außer blauen Flecken blieben die Opfer körperlich unverletzt. „Das Problem ist die Psyche“, sagte aber der Bauunternehmer aus. Mit der Anzeige hätten die Opfer den „Deal“ gebrochen und fürchteten sich vor der slowenischen Mafia. „Ich habe im Auto geschlafen, aus Angst nach Hause zu gehen“, sagte der Chef im Zeugenstand. Seine Baufirma ging insolvent, er konnte sich nicht weiter um die Geschäfte kümmern. Und auch der Innenarchitekt hat seitdem einen geschärften Sinn für Autos mit slowenischem Kennzeichen. Für ihn sind sie eine potenzielle Gefahr.

    Die Angeklagten, die am ersten Prozesstag stumm blieben, entschuldigten sich nach den Zeugenaussagen bei den Opfern. „Von meiner Seite aus brauchen sie keine Angst mehr haben“, ließ der eine übersetzen. Die Verhandlung wird am kommenden Mittwoch fortgeführt. Den Sportwagen konnten die Beamten übrigens in Ljubljana konfiszieren.

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