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Landkreis Neu-Ulm: Wenn der Ehemann zum Gewalttäter wird

Landkreis Neu-Ulm

Wenn der Ehemann zum Gewalttäter wird

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    Gewalt gegen Frauen ist auch im Landkreis ein Problem. Allein im vergangenen Jahr registrierte das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West 454 Fälle häuslicher Gewalt.
    Gewalt gegen Frauen ist auch im Landkreis ein Problem. Allein im vergangenen Jahr registrierte das Polizeipräsidium Schwaben Süd/West 454 Fälle häuslicher Gewalt.

    Sie erinnert sich noch genau an jene Nacht im vergangenen Herbst, als ihr Mann plötzlich auf sie losging. „Er saß über mir im Bett und hat mich gewürgt“, sagt die 29-Jährige aus dem südlichen Landkreis. „Dann hat er mich auf den Fliesenboden gezogen. Er war völlig betrunken.“ Er habe sie durch die Wohnung geschubst, beschimpft und in den Laufstall der Kinder gestoßen.

    Sie wollte flüchten, doch der 33-Jährige versperrte ihr den Weg. Er habe geweint, dann sei er plötzlich wieder aggressiv geworden. Zwei Stunden ging das so – bis die kleine Tochter morgens in der Tür stand. „Da hat es ihm den Schalter umgelegt und er hat sich beruhigt“, erinnert sich die 29-Jährige. Weil er seine Frau körperlich misshandelt und bedroht hat, musste sich der 33-Jährige nun vor dem Neu-Ulmer Amtsgericht verantworten.

    454 Fällen von häuslicher Gewalt registrierte die Polizei 2018 im Landkreis

    Doch dieser Fall ist kein Einzelfall, wie eine Statistik des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West zeigt. Im vergangenen Jahr wurden im Landkreis Neu-Ulm 454 Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet. Über 80 Prozent der Täter waren männlich. Allein in Illertissen registrierte die Polizei 26 Fälle. Damit stieg die Zahl der Übergriffe gegen Frauen in den vergangenen Jahren deutlich an. 2009 waren es nach Angaben der

    Doch die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher sein – gerade auf dem Land, denn hier ist das Tabu größer und es gibt weniger Hilfsangebote, erklärt Petra Tebel vom Polizeipräsidium Schwaben Süd/West. Sie ist Expertin, wenn es um Gewalt gegen Frauen geht und weiß: Jede vierte Frau ist einmal in ihrem Leben von Gewalt durch den Partner betroffen. Oft ist es ein schleichender Prozess, der mit psychischer Gewalt beginnt und in körperlicher oder sexualisierter Gewalt mündet. Macht und Kontrolle spielten eine große Rolle.

    Oft seien auch Alkohol oder andere Drogen Teil des Problems, weiß Emmy Megler, Leiterin des Frauenhauses der Arbeiterwohlfahrt in Neu-Ulm. Für die Expertin beginnt Gewalt, wenn eine Frau ihr Leben nicht mehr selbstbestimmt führen kann und in ihren Freiheiten eingeschränkt wird – sei es durch soziale Isolation oder wirtschaftliche Kontrolle. Megler weiß: „Gewalt gegen Frauen zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten.“ Meist finde sie im sozialen Nahraum statt. So geht die Gewalt nicht unbedingt vom Ehemann aus. Auch der Nachbar oder Vermieter kann zum Täter werden.

    Betroffenen Frauen fällt es oft schwer, zu gehen

    „Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen durchschnittlich sieben Jahre häusliche Gewalt ertragen, bis sie sich Hilfe suchen“, weiß Emmy Megler, Leiterin des Awo-Frauenhauses in Neu-Ulm. Viele hoffen, mit Gesprächen der Gewalt ein Ende zu setzen und die Beziehung aufrecht zu erhalten. „Leider hilft in 95 Prozent der Fälle nur die Trennung“, sagt Megler. Doch das fällt vielen Betroffenen trotz der Gewalt schwer. Gerade Frauen mit Kindern bleiben länger in der Gewaltspirale gefangen, weiß die Sozialarbeiterin. Viele hätten Selbstzweifel oder wüssten nicht, wo sie Hilfe bekommen. Oft wenden sich Freunde oder Nachbarn an das Neu-Ulmer Frauenhaus. „Höchstens 30 Prozent der betroffenen Frauen rufen selbst bei uns an“, sagte Megler.

    Und nicht jeder Übergriff wird zur Anzeige gebracht oder strafrechtlich verfolgt, weiß Petra Tebel vom Polizeipräsidium Schwaben Süd/West. „Zwar ist die Staatsanwaltschaft dazu angehalten, jeden Fall von körperlicher Gewalt zur Anklage zu bringen, aber in der Realität sieht das anders aus“, sagt Tebel. Oft würden betroffene Frauen den Strafantrag auch selbst zurückziehen, sei es aus Angst, Scham oder der Hoffnung, die Familie zusammenzuhalten.

    Mann wird wegen körperlicher Misshandlung verurteilt

    Die 29-jährige Frau aus dem südlichen Landkreis hat sich getraut und sich direkt nach dem gewalttätigen Übergriff ihres Mannes einer Kindergärtnerin anvertraut. Die Würgemale waren noch sichtbar, auch am Bein erlitt sie Prellungen. Einige Wochen später erstattete sie Anzeige bei der Polizei. Denn bei dem nächtlichen Übergriff blieb es nicht.

    In den folgenden Monaten beleidigte der Mann die 29-Jährige. Über den Nachrichtendienst WhatsApp drohte er, ihren neuen Partner umzubringen. Zudem verschickte er private Bilder der Frau über Facebook. Zwar bestritt der 33-Jährige, seine Frau misshandelt zu haben. Doch das Gericht hatte keinen Zweifel daran.

    Der Mann wurde zu einer elfmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Häusliche Gewalt sei auch im Landkreis ein alltägliches und ernst zunehmendes Problem, erklärte Richter Thomas Mayer. Jede Woche würden etwa zwei Frauen beim Amtsgericht einen Antrag auf Gewaltschutz stellen.

    Hilfsangebote Frauen, die Gewalt erfahren, können sich unter 0731/71809838 an das Awo-Frauenhaus in Neu-Ulm wenden oder das bundesweite Hilfetelefon unter 08000/116016 nutzen. Bei sexualisierter Gewalt finden Frauen beim Awo-Notruf unter 0731/73737 Hilfe.

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