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Landkreis Neu-Ulm: Brustkrebs mit 26: Im Sattel kann sie die Krankheit vergessen

Landkreis Neu-Ulm

Brustkrebs mit 26: Im Sattel kann sie die Krankheit vergessen

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    Tatjana Schwägerl mit ihrer Stute Fee. Jeden Tag verbringt sie mehrere Stunden bei dem Tier. Es gibt ihr Halt und lenkt sie von ihrer Krankheit Brustkrebs ab.
    Tatjana Schwägerl mit ihrer Stute Fee. Jeden Tag verbringt sie mehrere Stunden bei dem Tier. Es gibt ihr Halt und lenkt sie von ihrer Krankheit Brustkrebs ab. Foto: Selina Henle

    Es war Dienstag, der 19. Juni 2018. Das weiß Tatjana Schwägerl noch ganz genau. Es war der Tag, der ihr Leben ins Wanken brachte, der der Katastrophe einen Namen gab, unerwartet – mitten in einer Fortbildung am Tegernsee. „Frau Schwägerl, wo treffe ich Sie gerade an“, fragte eine freundliche Frauenstimme am anderen Ende der Telefonleitung. „Da wusste ich es“, sagt Schwägerl heute. „Da wusste ich, dass ich Brustkrebs habe.“ Triple negatives Mammakarzinom in der rechten Brust, golfballgroß.

    Leere, Trauer, Wut? Gefühle sind schwer zu beschreiben, so geht es auch der 27-jährigen Bellenbergerin. Sie habe geweint, die ganze Zeit – dann habe sie die Fortbildungsräume am Tegernsee verlassen. Sei von einem Kollegen nach Hause gefahren worden, habe Geschäftstermine abgesagt, mit ihren Eltern gesprochen, mit ihrem Freund. „Ich hatte entweder ganz viele Gedanken oder gar keine“, erinnert sie sich an die Fahrt. Dann ging alles ganz schnell: Termin in der Frauenklinik Ulm, Sprechstunde, „Fahrplan“, wie Schwägerl ihr weiteres Vorgehen nennt, die erste Chemo-Therapie – die nächste Schock-Nachricht.

    Ob sie eines Tages Kinder wolle, habe sie ein Arzt vor dieser Sitzung gefragt. Wieder Leere. Natürlich habe sie sich für die Therapie entschieden, die ihre Fruchtbarkeit stark einschränken kann. „Im Moment steht meine Gesundheit an erster Stelle“, sagt sie selbstbewusst. Schwägerl ließ sich sowohl einen Teil ihres Eierstocks, als auch einige ihrer Eizellen entnehmen, um nach den Therapien doch noch die Möglichkeit zu haben, schwanger zu werden. Die Kosten für die Entnahme der Zellen – rund 6000 Euro – musste sie selbst zahlen, die Krankenkasse übernimmt diese nicht.

    „Das war am Schwörmontag“, sagt sie und lacht. Schwägerl ist eine selbstbewusste, attraktive, junge Frau, die sich nicht verbiegen lässt. Auch nicht vom Krebs. „Ich bin stärker als das Ganze!“ Die 27-Jährige lebt – jeden Tag in vollen Zügen, so gut es eben zwischen den Chemos geht. Nachdem ihrem Körper über einen Zugang in der Brust, einem sogenannten Port, starke Medikamente eingeflöst wurden. Kamelhügel nennt Schwägerl liebevoll ihren Port. Die Medikamente sollen den Golfball in ihrer Brust, das Sammelbecken bösartiger Zellen in ihrem Körper, das eines Morgens plötzlich da war, verkleinern.

    Brustkrebs: Sie hatte nie Schmerzen

    „Ich hatte nie Schmerzen“, sagt Schwägerl. Es habe sich einfach komisch angefühlt, fremd, „da war etwas, das da nicht hingehört“, erinnert sie sich. Es war ein Donnerstag. Die damals noch 26-Jährige ging wenige Tage nach ihrer Entdeckung zur frauenärztlichen Vorsorgeuntersuchung und sprach das Thema direkt an. „Ich hatte mir da aber eigentlich keinen Kopf gemacht.“ Die Ärztin stellte eine Zyste, also eine Art Hohlraum, fest und schickte Schwägerl zu weiteren Untersuchungen zu einem Radiologen. „Meine Frauenärztin hatte den richtigen Riecher“, sagt die Bellenbergerin, die bei einem Automobilkonzern als Projekt-Managerin arbeitet. Ihr wurde Blut entnommen: Die Werte waren in Ordnung. „Das hat mich furchtbar beschäftigt. Ich fühlte mich ja topfit, habe Sport getrieben, gesund gegessen.“ Es folgte eine Gewebe-Untersuchung, eine Biopsie. Wenige Tage später stand eine Schulung an – am Tegernsee, ein Anruf, Tränen. Die Gewissheit: Krebs.

    Völliges Neuland für die junge Frau, wie sie selbst sagt. „Man rechnet einfach nicht damit. Ich habe mich davor noch nie mit Krebs beschäftigt. Keiner in meiner Familie hat das, weder die Frauen noch die Männer.“

    Nur ein einziges Mal habe sie gefragt, wie ihre Chancen stehen, mit diesem Golfball weiterzuleben. Ein einziges Mal. Eine individuelle Prognose habe sie nicht erhalten, aber die Heilungschancen stünden gut, meinte der Arzt damals. Weil Schwägerl jung und stark sei. „Mit der Frage will ich mich aber eigentlich gar nicht beschäftigen, denn es soll alles so weitergehen wie davor.“

    Frieda und Fee geben ihr Halt

    Frieda und Fee helfen ihr dabei. Jede auf ihre Art. Frieda – so taufte Schwägerl ihre blonde Kunsthaarperücke, frech zu einem Bob geschnitten. Sie kennen sich erst seit knapp vier Monaten, haben sich aber sofort angefreundet – in den Wochen, in denen Schwägerl ihre etwa 30 Zentimeter langen blonden Haare büschelweise verloren hat.

    Und dann ist da noch Fee, die gute Fee, wenn man so will. Denn mit ihr verbindet Schwägerl so viel mehr, als nur ein Hobby. Täglich verbringt sie mindestens zwei Stunden bei der braunen Stute im Stall bei Dietenheim, pflegt sie, bewegt sie, schaltet ab. „Wenn ich da nicht hingehen kann, dann geht es mir schlecht.“ Fee lenke sie ab, bringe sie auf andere Gedanken. „Sie merkt auch, wenn ich eine Chemo hatte. Dann läuft sie ganz vorsichtig, wie auf Wolken“, erzählt die 27-Jährige. Die Stute sei ihr erstes Pferd, aber gleich ein „Sechser im Lotto“. Und: Fee schenkt Schwägerl ohne Vorbehalte ihr ganzes Vertrauen. Als Beweis zeigt die junge Frau ein Foto: Die Stute liegt auf dem Boden, den Kopf erhoben und Schwägerl kniet daneben. „Das ist der größte Vertrauensbeweis, den dir ein Pferd schenken kann.“

    Tatjana Schwägerl kämpft gegen den Brustkrebs.
    Tatjana Schwägerl kämpft gegen den Brustkrebs. Foto: Selina Henlde

    Pink Ribbon: Mit der Aktion möchte sie andere Menschen aufklären

    Reiten sei für sie ein Hobby, dem sie sich komplett hingeben könne. Es sei purer Zufall gewesen, als sie dann eines Tages von den einzelnen Aktionen der deutschlandweiten Kampagne Pink Ribbon gehört habe, bei denen es unter anderem auch um genau diese Freizeitbeschäftigung geht. Ziel des Programms ist es, auf die jährlichen Vorsorgeuntersuchungen bei Frauenärzten aufmerksam zu machen und die Menschen für das Thema Brustkrebs zu sensibilisieren, beispielsweise durch Wanderritte oder andere Sportaktionen. „Jeder gerittene Kilometer wird in Geld umgewandelt und gespendet“, erklärt Schwägerl, die sofort begeistert war. Die Spenden fließen direkt an Pink Ribbon und werden unter anderem für Flyer und anderes Werbematerial verwendet, um noch mehr Aufmerksamkeit auf das Thema lenken zu können.

    Für die taffe Bellenbergerin stand außer Frage, sich selbst mit einer Reitkampagne bei Pink Ribbon anzumelden: Beim Kreisreiterball am Samstag, 17. November, in Tiefenbach wird sie mit einem komplett in pink gehaltenen Stand auf die Krankheit aufmerksam machen, die ihr einst den Boden unter den Füßen wegzog. „Ich habe sowieso einen echten Pink-Fimmel“, sagt sie und lacht. Da passe es sehr gut, dass sich auch das Projekt diese Farbe auf die Fahnen geschrieben habe. „Meine Freundinnen backen für meinen Stand sogar pinke Törtchen“, so Schwägerl.

    Sie freue sich auf diesen Tag – auf ihren Tag. Denn seit ihrer Diagnose habe sie gelernt, ihre Vorhaben zu priorisieren und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Sie könne jetzt einfacher „Nein“ sagen. „Ich muss jetzt auf mich achten. Jetzt bin ich dran“, sagt sie tapfer. Die Aktion in Tiefenbach helfe ihr dabei, genauso wie ihre braune Stute, die gute Fee.

    Die Initiative Pink Ribbon:

    Zweck: Pink Ribbon gibt es in ganz Europa. Ziel ist es, die Menschen für das Thema Brustkrebs, insbesondere die Vorsorgeuntersuchungen beim Frauenarzt, zu sensibilisieren.

    Kampagne: Jeder kann sich mit seiner eigenen Aktion an Pink Ribbon beteiligen und so Geld für die Organisation sammeln. Dieses wird dann verwendet, um noch besser über die Krankheit informieren zu können.

    Kreisreiterball: Tatjana Schwägerl macht mit einem Stand am Kreisreiterball am 17. November auf Brustkrebs aufmerksam. Auch im Internet unter www.pinkribbon-deutschland.de hat sie zum Spenden aufgerufen. Diese Frist gilt bis 30. November.

    Lesen Sie dazu auch unseren Kommentar: Die Brustkrebs-Aktion verdient großen Respekt

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