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Landkreis: Die Bürger im Landkreis Neu-Ulm rüsten auf

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Die Bürger im Landkreis Neu-Ulm rüsten auf

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    Schreckschusspistolen sind von scharfen Waffen kaum zu unterscheiden. Mit dem kleinen Waffenschein dürfen sie auch öffentlich getragen werden – die Zahl der Anträge im Kreis Neu-Ulm ist in den vergangenen Jahren gestiegen.
    Schreckschusspistolen sind von scharfen Waffen kaum zu unterscheiden. Mit dem kleinen Waffenschein dürfen sie auch öffentlich getragen werden – die Zahl der Anträge im Kreis Neu-Ulm ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Foto: Alexander Kaya (Archiv)

    Eine neblige Nacht im Oktober in Illertissen: Gegen 1 Uhr kontrollieren Polizisten an der Hauptstraße einen Passanten. Was sie entdecken, kann beunruhigen: Der 35-Jährige trägt in seiner Hosentasche einen sogenannten Totschläger mit sich. Die Waffe habe er selbst gebaut, um sich im Ernstfall verteidigen zu können, sagte er den Beamten. Zuletzt ereigneten sich mehrere solcher Fälle: Rüsten die Menschen im Landkreis Neu-Ulm auf? Die Statistik des Landratsamts gibt eine Antwort darauf: Die Zahl der Anträge für einen sogenannten kleinen Waffenschein ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.

    Er gilt als Erlaubnis, sich legal zu bewaffnen: Wer den Schein hat, darf eine Schreckschuss-, Reizgas- oder Signalwaffe (kurz: SRS) nicht nur besitzen – sondern auch in der Öffentlichkeit mit sich führen. Ein Grund muss bei der Beantragung nicht angegeben werden, sagt Wolfgang Höppler, Leiter des Fachbereichs Sicherheitsrecht am Neu-Ulmer Landratsamt. Und das, obwohl solche SRS-Waffen für Laien kaum von scharfen Pistolen oder Revolvern zu unterscheiden seien.

    Immer mehr Menschen besitzen einen kleinen Waffenschein

    Im Grunde kann jeder in einen Waffenladen gehen und sich eine Gas- oder Schreckschusspistole kaufen – und deutschlandweit beantragen offenbar immer mehr Menschen zusätzlich den kleinen Waffenschein. Eine Umfrage der Rheinischen Post offenbarte unlängst, dass derzeit rund 640000 Menschen in Deutschland eine solche Erlaubnis haben und damit auch auf offener Straße eine SRS-Waffe mit sich führen dürfen. In den vergangenen Jahren ist die Zahl deutlich angestiegen – 2014 wurden gerade einmal 260000 Bürger mit einem kleinen Waffenschein gezählt.

    Dieser Trend macht auch vor dem Kreis Neu-Ulm nicht halt: Während 2014 nur 57 Bürger einen kleinen Waffenschein im Landratsamt beantragt hatten, schnellte die Zahl der Anträge anschließend in die Höhe. 2016 waren es fast zehnmal so viele (557). Dieses Jahr wollten immerhin bereits 109 Menschen den Schein, um SRS-Waffen auch außerhalb der eigenen vier Wände führen zu dürfen.

    Der Totschläger des Mannes in Illertissen wäre nicht von einem Erlaubnisschein gedeckt – es handelt sich um einen sogenannten „verbotenen Gegenstand“. Wie der genau aussah, das gibt die Polizei nicht bekannt: „Wir wollen möglichen Nachahmern keine Anleitung zum Nachbauen geben“, sagt Alexander Kurfürst, stellvertretender Leiter der

    Vielzahl der Anträge hängt wohl mit dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen zusammen

    Doch zurück zu den SRS-Waffen: Wie ist es zu erklären, dass immer mehr Bürger offenbar eine solche besitzen wollen? Laut Höppler vom Landratsamt hängt die Vielzahl der Anträge für den kleinen Waffenschein wohl mit dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen zusammen.

    Dabei spielen mutmaßlich verschiedene Gefühle eine Rolle: Ob das eine grundsätzliche Angst, die Entfremdung von Rechtsstaat oder gar ein Hass auf das politische System ist – darüber können die Vertreter der Behörden nur spekulieren. Höppler will sich dazu nicht äußern. Klar ist nur: Wer den kleinen Waffenschein beantragt, der bekommt ihn meistens auch. Eine Bedürfnisüberprüfung, wie bei der Waffenbesitzkarte (für Jäger und Sportschützen) gibt es nicht. Man muss mindestens 18 Jahre alt sein, seine körperliche und geistige Eignung nachweisen und darf nicht vorbestraft, drogen- oder alkoholabhängig sein.

    Beim „normalen“ Waffenschein sind die Auflagen ungleich strenger, sagt Höppler: Nur eine einzige Person im Kreis Neu-Ulm ist im Besitz eines solchen und darf deshalb eine Schusswaffe mit sich führen. Im Landkreis seien derzeit 12475 Schusswaffen registriert – diese Zahl bleibe seit geraumer Zeit relativ konstant, so Höppler. Viele Gewehre und Pistolen seien im Besitz von Jägern oder Sportschützen, die eine Waffenbesitzkarte haben und ihre Waffen nur im Revier, auf dem Weg dorthin oder am Schießstand benutzen dürften. Außerdem gebe es immer schärfere Vorschriften, wie die Waffen aufbewahrt werden müssen.

    SRS-Waffen sind schwer von scharfen Pistolen zu unterscheiden

    Dass immer mehr täuschend echt aussehende SRS-Waffen in Umlauf sind und auch in der Öffentlichkeit getragen werden dürfen, stimmt Höppler kritisch: „Ich sehe darin eher eine Gefährdung.“ Nur wenige könnten auf den ersten Blick eine SRS-Pistole von einer echten unterscheiden: „Die Situation kann dadurch weiter eskalieren.“ Außerdem sei eine Gaspistole ganz und gar nicht ungefährlich: „Wenn der Schütze jemanden an der Schläfe trifft, kann das sogar tödliche Folgen haben“, sagt Höppler.

    Sicherheit ist ein Grundbedürfnis vieler Menschen – das glaubt auch Polizeisprecher Stabik. Allerdings klafften das Empfinden vieler Bürger und die tatsächliche Sicherheitslage weit auseinander. Die Furcht, Opfer eines Verbrechens zu werden, sei mit Blick auf die Polizeistatistik nicht nachvollziehbar. Zuletzt haben sich im Kreis Neu-Ulm zwar mehr Gewaltdelikte ereignet (2014 waren es 245, im vergangenen Jahr 349), viele davon allerdings im häuslichen Bereich. Die Delikte auf offener Straße – dazu würden neben Raub oder Diebstahl auch gefährliche Körperverletzung und Vergewaltigung gezählt – sind Stabik zufolge im selben Zeitraum zurückgegangen: Von 1386 Fällen 2014 auf 1144 Fälle im vergangenen Jahr. Die Zahl der Verstöße gegen das Waffengesetz schätzt der Polizeisprecher als überschaubar ein: 2018 waren es 147, heuer wohl weniger.

    Doch dieser Zahlen zum Trotz und auch wenn man über die Gründe nur spekulieren kann: In der Region scheint das Bedürfnis, sich zu bewaffnen, zu steigen. Das zeigt nicht nur die hohe Nachfrage nach dem kleinen Waffenschein – sondern auch die neblige Oktobernacht in Illertissen.

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