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Kreis Neu-Ulm: Endlich Frau: Wie aus Gerhard Heike wurde

Kreis Neu-Ulm

Endlich Frau: Wie aus Gerhard Heike wurde

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    Heike Benz hat inzwischen ihr Glück gefunden. Vor ein paar Jahren ließ sie sich operieren und wurde so auch optisch zu einer Frau.
    Heike Benz hat inzwischen ihr Glück gefunden. Vor ein paar Jahren ließ sie sich operieren und wurde so auch optisch zu einer Frau. Foto: Alexander Kaya

    Heike Benz ist eine große Frau, die dunkelbraunen Haare trägt sie schulterlang und offen, ihre braunen Augen hat sie mit etwas Schminke leicht betont. Freundlich stellt sie sich vor und beginnt zu erzählen. Von damals, als sie noch Gerhard war, vom Kindergarten, der Schule, der Bundeswehr und von der Arbeit, von ihrem Leben als Bub und Mann und davon, wie es war, als die Fassade nach und nach zu bröckeln begann. Bis sie es nicht mehr aushielt, sie nicht mehr immer nur den „Mann“ stehen konnte und aus Gerhard Siegfried Adolf Benz schließlich Heike wurde.

    Doch bis es soweit war – die Namensänderung erfolgte im Dezember 2015, die erste Operation 2016 – vergingen Jahre des Schauspiels, wie Benz sie rückblickend nennt. Denn über die Jahre hinweg hatte sie sich ein Leben als Mann aufgebaut, für die Familie, Freunde, Arbeitskollegen. Doch irgendwann kam der Wendepunkt, sie konnte nicht mehr, wollte nicht mehr und stand zu dem, was sie schon immer fühlte: eine Frau zu sein. „Das hat schon im Kindergarten angefangen“, erinnert sie sich. Sie habe lieber mit den Mädchen spielen wollen, als mit den Buben, es wurde ihr aber untersagt. „Ich war eine Einzelgängerin. Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben.“ Im Sportunterricht wollte sie lieber Gymnastikübungen machen, statt zu kicken – doch ihr blieb nichts anderes übrig, als sich zu fügen.

    Niemand sah, was sich hinter der Fassade des jungen Gerhards, geboren in Hürben bei Giengen, aufgewachsen in Ulm, verbarg. „In der Knabenkabine habe ich mich überhaupt nicht wohlgefühlt. Mein Geist hat sich dagegen gewehrt“, sagt die 58-jährige Benz heute. Sie sei ausgegrenzt, geschlagen, gehänselt worden. „Bis mir die Tuberkulose dazwischen kam.“ Heike Benz wurde krank, musste zur Kur ins Allgäu – sich mit sich selbst beschäftigen. Doch anschließend gingen die Schickanen an der Schule weiter, bis sich Benz überwand und einen ihrer Gegner in den Schwitzkasten nahm. Von dem Tag an hätten die Buben von ihr abgelassen, sagt sie.

    Pubertät als Bub: „Ich habe gewartet, dass mir Brüste wachsen“

    Doch damit waren die Probleme, die sich im Kopf des einstigen Jungen abspielten, noch lange nicht gelöst. Es folgte eine anstrengende Zeit: die Pubertät. „Ich habe wirklich gewartet, dass mir Brüste wachsen“, sagt Benz. Aber dann „ist es zwischen den Beinen losgegangen“. Auch der Bartwuchs ließ nicht lange auf sich warten. Rasiert habe sie sich anfangs nicht, sagt sie. Das täten die meisten Frauen ja auch nicht im Gesicht. „Ich war völlig durcheinander, habe übertrieben den Jungen gespielt. Ich war vorlaut und hatte mir einen Schutzpanzer angelegt.“ Schließlich kannte sie aus der Vergangenheit: „Wenn ich mich zurückziehe, dann passiert mir Schlimmes.“

    Transidentität: Hochzeit in Damenunterwäsche unter dem Smoking

    Zuhause bei den Eltern war der innere Zwiespalt des einzigen Sohnes – Benz hat noch eine ältere Schwester – kein Thema. „Mutti hat mich einmal erwischt, als ich in ihren Klamotten herumgelaufen bin“, sagt die großgewachsene Frau. Gesagt habe sie nichts. „Mein Vater war sehr konservativ und streng.“ Geoutet hat sich Gerhard als Heike deshalb erst viele Jahre später. Die Reaktion: „Mein Vater wollte mich ans Kreuz nageln.“ Ihre Mutter, zu jener Zeit 88 Jahre alt, wollte sie jedoch als Frau sehen. „Sie hat gesagt, sie hat eine hübsche Tochter“, erzählt Benz. Sie lacht. Dennoch: Es kam zum Bruch mit der Familie. Der Vater wollte sie aus dem Haus schmeißen, das Grundstück hatte er ihr Jahre zuvor geschenkt.

    Damals, als Heike noch Gerhard hieß und eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker gemacht hatte, die Wehrpflicht absolvierte und sich in der Gemeinschaftsdusche unglaublich unwohl fühlte. „Ich hatte einfach das Schamgefühl, ich gehöre da nicht hin.“ Sie sei froh gewesen, als diese Zeit vorüber war. Später lernte Heike Benz, damals immer noch offiziell Gerhard, eine Frau kennen – und lieben. „Da war ich endlich ich. Ich konnte mich fallen lassen, zeigen, wer ich wirklich bin.“ Sie sei in Damenunterwäsche in der Wohnung herumgelaufen, habe Nachthemden getragen und sich wohlgefühlt. 1984 folgte die Hochzeit. Benz’ Frau im Kleid, sie selbst im Smoking mit Damenunterwäsche drunter. Der Schein des Mannes wurde nach außen hin stets gewahrt. „Ich habe mein ganzes Leben lang Theater gespielt, wenn man so will. Die anderen wussten das nicht.“ Außer ihrer Ehefrau. „Sie hat mich sehr unterstützt. Ich habe beispielsweise Kleidung auf ihren Namen bestellt.“

    1986 wurde die erste gemeinsame Tochter geboren, es folgten zwei weitere in den Jahren darauf. Benz war bei jeder Untersuchung während der Schwangerschaften ihrer Frau dabei, sie habe die Nähe gesucht, sagt sie. „Natürlich war ich neidisch, dass meine Frau das erleben durfte.“ Die Familie – für Benz ein Heiligtum. Sie ist es auch heute noch, sie liebt ihre drei Töchter. Obwohl ihr alle Kinder nach dem Outing nach und nach den Rücken kehrten. Das war 2009.

    Transident: Die Familie wandte sich von ihr ab

    Die Augen geöffnet wurden ihr aber schon früher in den 1990er-Jahren, als sie das erste Mal über den Begriff „Transsexualität“ gestolpert war. „Dass das, was ich fühle, einen Begriff hat, das war ein Aha-Erlebnis für mich. Bis dahin hatte ich gedacht, ich bin verrückt. Ab da wusste ich, dass ich nicht alleine bin.“ Jahre später versuchte Benz es immer wieder, sich einem Psychologen anzuvertrauen. Funktioniert hat es nie. „Ich hatte Schiss, dass mein Kartenhaus zusammenfällt, dass meine Fassade plötzlich bröckelt“, sagt sie rückblickend.

    Als sie den Schritt 2009 wagte und ihrem Chef, der sie gezwungen habe, die Karten auf den Tisch zu legen, ihre Transidentität offenbarte, hätten sich viele Kollegen von Benz abgewandt – allen voran die Männer. Ihre Frau, die sie jahrelang in ihrem heimlichen Tun bestärkt hatte, verließ sie, es kam zur Scheidung. Für Benz ein Schlag ins Gesicht. Sie fiel in ein tiefes Loch, es folgten Depressionen, Antriebslosigkeit, Arbeitslosigkeit. „Meine Kinder waren sauer, weil ich sie belogen hatte. Aber ich liebe meine Kinder.“ Es sei nicht einfach gewesen, mit dem Outing an die Öffentlichkeit zu gehen.

    Aus Gerhard Siegfried Adolf Benz wurde während der vergangenen Jahre Heike Benz.
    Aus Gerhard Siegfried Adolf Benz wurde während der vergangenen Jahre Heike Benz. Foto: Felicitas Macketanz

    Heute ist Benz wieder glücklich verliebt in eine Frau. Und sie wohnt übrigens immer noch in Obenhausen, in jenem Haus, aus dem sie ihr Vater einst rauswerfen wollte. Aus ihrer schwierigen Zeit von damals hat Benz gelernt: Sie ist selbstbewusst, hält Vorträge, macht anderen Mut. Und sie engagiert sich seit 2017 in der Politik: „Bei den Linken habe ich meine Heimat gefunden. Die sind offen für transidente Menschen, Schwule und Lesben“, sagt sie. Natürlich werde sie in der Öffentlichkeit manchmal schief angeguckt, gibt sie zu. „Aber wir sind eine bunte Welt. Da muss man doch was für tun“, sagt sie. In ihrem Wohnort habe es aber nie Probleme wegen ihrer Transidentität gegeben. Und komme dann doch mal jemand mit einem Spruch daher, dann weise sie denjenigen zurecht, etwa, dass man sie als Frau und nicht als Mann ansprechen solle. Denn als Mann habe sie sich eigentlich noch nie gefühlt.

    Geschlechtsumwandlung: Heike Benz hat sich mehreren Operationen unterzogen, außerdem nimmt sie Hormone, die für verstärktes Brustwachstum und für eine höhere Stimme sorgen sollen. Ihre erste Operation war 2016. Dabei wurden die Hoden entfernt und Teile des Penis. Aus dem Hodensack wurden Schamlippen geformt. Die Operation dauerte rund sieben Stunden. Benz zufolge habe sie Gefühle in ihren „neuen“ Geschlechtsteilen. „Ich bin nicht umgebaut, sondern angepasst worden“, betont Benz.

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