Startseite
Icon Pfeil nach unten
Illertissen
Icon Pfeil nach unten

Kellmünz: Vor 50 Jahren: So erlebten Zeitzeugen das Zugunglück von Kellmünz 1971

Kellmünz

Vor 50 Jahren: So erlebten Zeitzeugen das Zugunglück von Kellmünz 1971

    • |
    Das schwere Zugunglück vor 50 Jahren hat sich bei vielen Kellmünzern ins Gedächtnis eingebrannt.
    Das schwere Zugunglück vor 50 Jahren hat sich bei vielen Kellmünzern ins Gedächtnis eingebrannt. Foto: Zita Schmid (Repro)

    Dienstag, 18. Mai 1971. Auf der Bahnstrecke nach Ulm entgleisen in Kellmünz an diesem Tag die beiden letzten Wagen des Schnellzuges Oberstdorf-Dortmund. Es war ein schreckliches Zugunglück mit fünf Toten und über 30 teils Schwerverletzten. Bei vielen Kellmünzern hat sich dieses Ereignis tief ins Gedächtnis eingegraben.

    Dieser 18. Mai vor 50 Jahren war ein heißer Tag. Der Postbeamte Martin Mayerhofer verbrachte seine Mittagspause zu Hause. „Erst um 15 Uhr musste ich wieder meinen Schalterdienst antreten“, erzählt er. Er war im Garten vor dem Haus, als er um kurz vor 13 Uhr von einem gewaltigen Krachen aufgeschreckt wurde. In der Straße „Schönblick“, wo er nach wie vor wohnt, standen 1971 noch nicht viele Häuser. „Ich hatte freie Sicht hinunter ins Illertal“, erklärt der inzwischen pensionierte Postbeamte.

    Der Postbeamte Martin Mayerhofer war einer der ersten an der Unglücksstelle.
    Der Postbeamte Martin Mayerhofer war einer der ersten an der Unglücksstelle. Foto: Zita Schmid

    Von dort unten, wo das Krachen hergekommen war und auch die Bahnlinie verläuft, konnte er deshalb eine riesige Staubwolke sehen. Er fragte sich, was wohl geschehen sein mag und vermutete Schlimmes. Mayerhofer, der auch aktiver Feuerwehrmann war, lief sofort zum Feuerwehrhaus. Das befand sich zu dieser Zeit noch an der Ecke Marktstraße/Friedhofstraße. Hier traf er auf den damaligen Bürgermeister Andreas Bürzle. Noch bevor die Feuerwehr selbst ausrückte, fuhren beide mit dessen Auto sofort zur Unglücksstelle.

    Zugunglück in Kellmünz: Im Schotter der Bahngleise lag ein Hut

    „Wir waren unter den Ersten“, berichtet Mayerhofer von der Situation vor Ort. Auch Leute aus umliegenden Häusern waren aus der Mittagsruhe gerissen worden und zur Unfallstelle geeilt. Sie begannen mit der Bergung von Verletzten. In der Zeitung sollte hier später stehen: „Es war ein unbeschreibliches Durcheinander. Aus den zerstörten Waggons drangen Hilfeschreie. Arbeiter und Einwohner von Kellmünz bargen durch die zerborstenen Fenster und ein riesiges Loch im Dach des letzten Waggons die ersten Opfer bis Krankenwagen und Polizeitrupps aus umliegenden Orten eintrafen“. Bei seinem Einsatz als Feuerwehrmann machte Mayerhofer dann einen grausamen Fund. „Im Schotter lag ein Hut“, berichtet er. Als er ihn hob, entdeckte er darunter den Kopf einer Frau.

    Zugunglücke in Kellmünz

    18. Mai 1971: Der Schnellzug D 1013 Oberstdorf-Dortmund, der mit zehn Waggons bestückt war, hatte den Bahnhof Oberstdorf um 11.17 Uhr verlassen. Bis Memmingen waren etwa 130 Reisende zugestiegen. Der Zug war mit fast 130 Stundenkilometer unterwegs und hatte gerade den Kellmünz Bahnhof passiert, als vom Zugpersonal ein Schleudern der beiden letzten Waggons festgestellt und um 12.54 Uhr die Notbremse gezogen wurde. Die beiden hinteren Wagen, in denen sich rund 30 Fahrgästen befanden, waren aus den Schienen gesprungen (bei Kilometer 51,7). Diese schleuderten noch mehrere hundert Meter weit über Schotter und Schwellen und legten sich dann nach rechts (Kilometer 52,2). Beim Hinunterstürzen der zwei Waggons in die Böschung wurde die Außenwand des hintersten Waggons von einem tonnenschweren Betonklotz, der sich am Bahndamm befand, durchbohrt und riss ihn mehrere Meter weit auf. Die Kupplung zum anderen Teil des Zuges brach und dieser kam aufgrund der Schnellbremsung nun auch zum Stehen. Als Unglücksursache wurde später im Abschlussbericht „Gleisverdrückung“ angegeben. Das Gelände, an dem das Unglück passierte, war erst kurz zuvor aufgeschüttet und die Gleise neu verlegt worden. Ohne den Betonklotz am Bahndamm, der vermutlich von einer früheren Signalanlage stammte, wäre das Unglück harmloser verlaufen, hieß es damals. Denn in dem hintersten Waggon saßen die vier Frauen und der Mann, die ums Leben kamen. Der Sachschaden ging in die Hunderttausende.

    Gut ein Jahr zuvor, am 14. März 1970, hatte sich in Kellmünz bereits ein Zugunglück ereignet. Um 20.14 Uhr rammte ein Güterzug vier führerlose Waggons. Diese hatte sich beim Rangieren im Kellmünzer Bahnhof selbstständig gemacht und rollten die abschüssige Bahnstrecke Richtung Altenstadt davon. Sie prallten auf den entgegenkommenden Güterzug, der von zwei Dieselloks gezogen wurde und die beide zu brennen begangen. Der Lokführer wurde dabei leicht verletzt. Es entstand Millionenschaden.

    Jahrzehnte später, am 17. Juli 2013, sollte in Kellmünz dann wieder ein tragisches Zugunglück geschehen. An dem damals noch unbeschrankten Bahnübergang am Steinweg prallte ein Auto mit der Regionalbahn zusammen. Das Unglück forderte unter anderem drei Schwerverletzte. Dass es angesichts des aus den Schienen gekippten Waggons und des komplett demolierten Autos keine Toten gab, grenzte damals an ein Wunder. (zisc)

    Da er um 15 Uhr seinen Postschalter wieder öffnen musste, verließ Mayerhofer um etwa 14.30 Uhr die Unglücksstelle. Auf seinem Nachhauseweg habe er den auswärtigen Helfern noch den Weg zur Leichenhalle gezeigt, erzählt er. Denn dorthin wurden die Toten des Zugunglücks zunächst gebracht. Während seines Schalterdienstes am Nachmittag habe dann andauernd das Telefon geläutet. „Es war aber kein einziges dienstliche Gespräch dabei“, sagt er. Das tragische Zugunglück hatte sich bereits wie ein Lauffeuer herumgesprochen.

    Marianne Anders sah vom Dach ihres Hauses aus, wie der Zug in Kellmünz entgleiste.
    Marianne Anders sah vom Dach ihres Hauses aus, wie der Zug in Kellmünz entgleiste. Foto: Zita Schmid

    Vom Dach aus sah eine Kellmünzerin den Zug aus den Schienen springen

    „Ich kann mich noch sehr gut an das Unglück erinnern“, berichtet Marianne Anders. Zusammen mit ihrem Vater saß sie um kurz vor 13 Uhr auf dem Dach ihres Hauses, das sich damals gerade im Rohbau befand. Sie half ihm beim Verlegen der Firstziegel.

    Von der Unglücksstelle zum Haus sind es Luftlinie etwa 200 Meter. „Wir sahen, wie der Zug aus den Schienen sprang“, berichtet sie. Sie hörten auch das mächtige Gerumpel und die riesige Staubwolke. „Es war der Wahnsinn“, erzählt sie.

    Die Waggons polterten, hüpften und schleuderten hinter dem Zug her, bevor sie schließlich umkippten. „Wir konnten es zunächst gar nicht realisieren“, versucht sie die schockierende Situation zu erklären. Vater und Tochter machten sich sofort auf zur Unglücksstelle. Die verzweifelten Hilferufe und das Bild, wie die Menschen aus den Waggons krochen, sind ihr bis heute in Erinnerung geblieben. Sie hörte einen Mann nach seiner Frau oder Mutter rufen und erkannte in dem Stimmengewirr und Geschrei unter anderem die holländische Sprache von Verunglückten heraus. Später konnte sie noch sehen, wie die Toten in die Särge gelegt wurden. „Es war richtig schlimm“, sagt sie.

    Waltraud Mutzels Mann war Fahrdienstleiter, als das Zugunglück in Kellmünz 1971 geschah.
    Waltraud Mutzels Mann war Fahrdienstleiter, als das Zugunglück in Kellmünz 1971 geschah. Foto: Zita Schmid

    Bischof Stimpfle bedankte sich beim Fahrdienstleiter in einem Brief

    Dieser tragische Tag vor 50 Jahren ist auch Waltraud Mutzel im Gedächtnis geblieben. „Mein Mann hatte an diesem Tag Dienst“, erzählt sie. Christian Mutzel war Fahrdienstleiter am Kellmünzer Bahnhof. Ob ihr inzwischen verstorbener Mann damals den ersten Notruf abgeben hat, kann sie heute nicht mehr sagen. Sie weiß aber, dass er sich um geistlichen Beistand gekümmert hat. „Das war nicht einfach“, erzählt Mutzel. Denn sie meint sich zu erinnern, dass die hiesigen Pfarrer an diesem Tag einen Ausflug gemacht haben und nicht erreichbar waren.

    Später stand dazu in der Zeitung: „Für fünf Menschen kam jedoch jede Hilfe zu spät. Geistliche beider Konfessionen – Pfarrer Wagner, Kirchhaslach und Pfarrer Schroeder, Illertissen – konnten nur noch ein stilles Gebet sprechen beziehungsweise die Sterbesakramente spenden.“ Wie in Geschichtsunterlagen zu lesen ist, waren nach dem Unglück innerhalb kürzester Zeit dann alle Bedienstete des Kellmünzer Bahnhofs im Einsatz. Um den Nahverkehr aufrechtzuerhalten, wurden Busse eingesetzt und Schnellzüge wurden über Augsburg umgeleitet. Die Kellmünzerin erinnert sich, dass ihr Mann an diesem Tag erst sehr spät nach Hause gekommen ist. Einige Zeit darauf habe er ein Schreiben vom Augsburger Bischof Josef Stimpfle erhalten. Darin bedanke sich der Bischof, für seinen Einsatz. „Das Schreiben hat er sich aufgehoben“, sagt sie.

    Wie die Feuerwehr den belastenden Einsatz damals erlebt hat, lesen Sie hier: Zugunglück: "Es bot sich ein Anblick des Grauens"

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden