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Illertissen: Warum ein Sprayer aus Costa Rica Illertissen bunter macht

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Warum ein Sprayer aus Costa Rica Illertissen bunter macht

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    Edwin Céspedes Vargas hat sich auf der Graffiti-Wand des Kunstzirkels vor der Skaterbahn in Illertissen mit Künstlernamen Ewin verewigt. Rechts unten im Bild hat er die Kürzel seiner Gruppen aufgeführt.
    Edwin Céspedes Vargas hat sich auf der Graffiti-Wand des Kunstzirkels vor der Skaterbahn in Illertissen mit Künstlernamen Ewin verewigt. Rechts unten im Bild hat er die Kürzel seiner Gruppen aufgeführt.

    Ein neues Graffito ziert seit Kurzem die Wand des Kunstzirkels am Skaterplatz in Illertissen: türkisblaue, rotumrandete Buchstaben für den Schriftzug „Ewin“, daneben der braungefiederte Kopf eines Adlers. Edwin Céspedes Vargas hat seinen Künstlernamen samt „Charakter“ hingesprüht. Damit hat sich der in Costa Rica geborene und in Au wohnende Familienvater als Sprayer geoutet.

    In Costa Rica sprühte er aus politischem Protest

    Der 34-Jährige fertigt leidenschaftlich gerne Graffitis und hofft, dabei mit gutem Bespiel voran zu geben: „Ich möchte legal sprühen und damit die Welt bunter machen.“ Schmierereien oder illegales Sprühen sind ihm zuwider.

    Als Charakter hat sich der Künstler den Kopf eines Fischadlers ausgesucht.
    Als Charakter hat sich der Künstler den Kopf eines Fischadlers ausgesucht.

    Etwas mulmig ist dem gelernten Biologen und ausgebildeten Zerspanungsmechaniker mit seinem Outing nun aber doch. Er hat die Welt der illegalen Sprayer als Jugendlicher in Costa Rica kennengelernt. Und selbst weist er all die Eigenschaften auf , die man typischerweise einem Sprayer zuordnen möchte: Talent zum Malen, Prostest gegen soziale Ungerechtigkeit und der Reiz, interessante Vorbilder nachzuahmen. Ganz besonders beeindrucke ihn ein Landsmann, der sich mit seinem Künstlernamen „Mush“ überall verewige. Mit dem Hinterlassen ihres Kürzels wollten Sprayer ausdrücken, „ich war da“, Wobei sie nie ihre wahre Identität preisgäben. Céspedes – jetzt nicht mehr anonym – nennt sich auf dem Graffito an der Kunstwand „Ewin“.

    Die Mutter malte für Touristen

    Der Sprayer wuchs in Alajuela, der zweitgrößten Stadt Costa Ricas, in bürgerlichen Verhältnissen auf. Das Talent zum Malen hat er von der Mutter geerbt, die Acrylbilder fertigt und Tongefäße für Touristen verziert. Er erinnert sich: „Ich male von Kindheit an, meine Mutter hat mir viel gezeigt.“ Aber später habe ihn nur noch das Sprayen interessiert. Da war Céspedes etwa 15 Jahre alt. Er orientierte sich an anderen Jugendlichen, sprühte auch mal nicht ganz legal, aber keine Schmierereien, wie er betont: „Ich fertigte meine Graffiti aus Protest gegen die vielen Ungerechtigkeiten, die ich gesehen habe.“ Doch das wilde Herummalen fand er bald selbst nicht in Ordnung und ließ es bleiben. Er hatte auch erkannt, dass die unerlaubt und in Eile verfassten Graffiti oft nicht schön ausfielen. „Doch ich kann die illegalen Sprayer gut verstehen“, versichert er. So ließe sich trefflich darüber streiten, wem eine Brücke tatsächlich gehöre, der Stadt etwa oder doch den Menschen, die sie täglich überqueren.

    Gesprüht wird nur mit Augen- und Mundschutz.
    Gesprüht wird nur mit Augen- und Mundschutz.

    Er selbst habe sich angewöhnt, Eigentümer einfach zu fragen, ob ihre Flächen für Malereien zur Verfügung stünden. Céspedes konnte sich erst mit 25 Jahren regelmäßig Spraydosen leisten und musste dafür sparen. Daher beschränkte er sich auf die Farben Rot oder Gelb sowie Schwarz zum Einrahmen. Dazu kaufte er einen Eimer weißer Farbe zum Grundieren. Er sagt: „Es war wie ein Markenzeichen von mir, ich habe stets einfarbige Graffiti angefertigt.“ Seine Kunst ließ ihn nicht mehr los. Er probierte aus, experimentierte mit Farbeffekten und bildete sich weiter. „Ich bin mir selbst der größte Konkurrent“, sagt er kritisch. Solange das Graffito nicht seinen Vorstellungen entspricht, gibt er sich nicht zufrieden. In Costa Rica habe er mindestens einmal pro Woche gesprüht. Dabei hatte sich Céspedes ein gutes Argument zurecht gelegt: „Die von zahlreichen Werbeplakaten eingesäumten Straßenränder sahen so hässlich aus, dass ich mir dachte: Wenn die alles verunstalten dürfen, kann ich mich auch betätigen.“

    Ein Auslandssemester brachte den Künstler nach Ulm

    Beruflich schlug der Sprayer zunächst eine akademische Laufbahn ein und wurde Biologe. Sein Auslandssemester führte ihn nach Ulm. Er lernte Deutsch und bald auch seine spätere Frau, ebenfalls Biologin, kennen. Sie besuchte ihn in seiner Heimat, es wurde geheiratet und eine Familie gegründet. Zwei Jahre lebten sie in Costa Rica, dann wechselten sie nach Deutschland in die Region. Als Biologe fand Céspedes keine Arbeit. Doch er war mit der Arbeit seines Vaters, der einen kleinen Metallbetrieb führte, ebenfalls vertraut. „Als Kind hatte ich vom Mithelfen stets schmutzige Hände“, erzählt er. So absolvierte er die Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker und fand auch gleich Arbeit. Die Kunst machte zunächst Pause. Doch beim Besuch der Skaterbahn mit seinem Sohn entdeckte er die Graffiti-Wand des Kunstzirkels.

    Zunächst habe er nicht verstanden, warum sich interessierte Sprayer bei Jugendpfleger Harry Heckenberger melden sollten, sagt Céspedes. Nun hätten die neuen Kontakte sein Comeback eingeläutet: Der Sprayer in ihm kehrte zurück. Ein neues Graffito ziert die Kunstwand, weitere sollen folgen. Jugendpfleger Heckenberger hat mit dem sprayenden Familienvater aus Au bereits Pläne gemacht. Und der Kunstzirkel freut sich über ein neues Mitglied.

    Auf die Frage nach seinen Motiven hat Céspedes eine schnelle Antwort: „Buchstaben natürlich und Themen aus der Natur, schließlich bin ich immer noch Biologe.“ Seine Notizbücher sind voller Entwürfe. Er habe sie – sogar nebenzu in der Berufsschule – lange gesammelt, erzählt er schmunzelnd. Und betont: „Nun sprühe ich nicht mehr aus Protest, sondern weil ich die Welt bunter machen will.“

    Mehr zu dem Kunstprojekt im Skatepark lesen Sie hier: Illertissen hat jetzt eine Graffitimauer – mit zwei Gemälden

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