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Illertissen: Schulsozialarbeiter warnen: „Noch einen Lockdown verkraften viele Familien nicht“

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Schulsozialarbeiter warnen: „Noch einen Lockdown verkraften viele Familien nicht“

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    Die Corona-Krise mit der zwischenzeitlichen Schulschließung trifft Familien hart. Sozialarbeiter an Schulen in Illertissen gaben jetzt Einblicke in die Situation. Von psychischen und emotionalen Problemen ist dabei die Rede.
    Die Corona-Krise mit der zwischenzeitlichen Schulschließung trifft Familien hart. Sozialarbeiter an Schulen in Illertissen gaben jetzt Einblicke in die Situation. Von psychischen und emotionalen Problemen ist dabei die Rede. Foto: Nicolas Armer/dpa

    Der Lockdown im Frühjahr dieses Jahres hat Familien hart getroffen. Wie sehr wochenlanger Distanzunterricht daheim und der Ausfall von Ausgleichsangeboten Eltern und Kindern zu schaffen gemacht hat, wurde im Kultur- Bildungs- und Sozialausschuss des Illertisser Stadtrats deutlich: Die zuständigen Mitarbeiter der Bischof-Ulrich-Grundschule und der Erhard-Vöhlin-Schule zeichneten ein teilweise erschreckendes Bild der vergangenen Monate.

    Eigentlich sollten im Ausschuss die coronabedingt verschobenen Jahresberichte der Schulsozialarbeit für 2019 das Thema sein. Doch weit dramatischer war das, was Sozialpädagogin Verena Schweinstetter für die Grundschule sowie Sozialpädagogin Jutta Sternecker und Sozialarbeiter Johannes Weber aus dem aktuellen Jahr zu berichten hatten. Von der Zeit, als die Schulen geschlossen bleiben und die Familien zu Hause auf sich selbst gestellt waren.

    Familien im Lockdown: Schulen in Sorge wegen häuslicher Gewalt

    Kinder, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, konnten im Frühjahr in die Notbetreuung in der Schule kommen. Schweinstetter erzählt, dass dort auch Kinder unterkamen, bei denen die Voraussetzungen erfüllt waren. Doch bei anderen Familien stand die Sorge vor Vernachlässigung oder gar häuslicher Gewalt im Raum. Schweinstetter: „Wir haben auch Kinder von Familien in die Notbetreuung geholt, bei denen die Lehrkräfte ein komisches Gefühl hatten.“ Immer wieder hätten aber auch Eltern angerufen, die völlig überfordert gewesen seien. „Auch hier habe ich die Situation dann geprüft, ob die Kinder reinkommen können.“

    Für die meisten Grundschüler galt jedoch wie für alle: Gelernt wird daheim. Zumindest sollte es das werden. Die Grundschule habe alles drangesetzt, dass dies so einfach wie möglich laufe: Zunächst mit Aufgaben per E-Mail, die daheim ausgedruckt werden konnten, nach den Osterferien dann mit Unterrichtsblättern, die in der Schule ausgedruckt und teilweise sogar zu den Familien gefahren wurden. Doch nicht überall machten die Familien mit. „Es ist erschreckend, wie viele Kinder im Lockdown schulisch gar nichts gemacht haben“, sagt Schweinstetter. Sie befürchtet, dass die großen Wissenslücken sich erst noch bemerkbar machen werden. „Da kommen noch ganz große Lücken auf.“

    Die Sozialpädagogin berichtet von Kindern mit Schulangst, von Schulverweigerinnen in der dritten und vierten Klasse. Aber auch von der großen finanziellen, emotionalen und psychischen Belastung, der die Eltern in dieser Zeit ausgesetzt waren und zum Teil auch noch sind. Sie ist sich sicher: „Viele Eltern werden einen zweiten Lockdown nicht mehr packen.“

    Viele Kinder nutzten den Lockdown zum Zocken

    Viele Kinder hätten die Situation einfach ausgenutzt, macht Verena Schweinstetter deutlich. Nicht wenige hätten in der Zeit des ersten Lockdowns immens viel am Computer, Tablet oder Handy gezockt. Bei einzelnen Grundschülern habe sich eine Suchtproblematik gezeigt. Dass die Kinder die Situation für sich nutzen, ist laut Schweinstetter auch derzeit bemerkbar. Denn momentan müssten aufgrund der Corona-Vorsichtsmaßnahmen Kinder auch in Fällen vom Unterricht abgeholt werden, in denen man sie sonst eher in der Klasse behalten hätte. „Da heißt es dann: Ich habe Bauchweh oder Kopfweh. Und die Kinder kommen nach Hause und dürfen am Tablet zocken.“

    Sozialpädagogin Jutta Sternecker und Sozialarbeiter Johannes Weber hatten an der Erhard-Vöhlin-Mittelschule ein weiteres großes Problem. Dort sollte im Lockdown über digitale Kanäle gelernt werden. Jedoch: „Wir kamen zu Familien, die im ganzen Haus keinen WLAN-Zugang haben. Oder zu fünfköpfigen Familien, die nur ein einziges Prepaid-Handy zur Verfügung haben“, berichtet Jutta Sternecker. Auch an der Schule war die technische Ausstattung bei Weitem nicht ausreichend, schildert Johannes Weber: „Wir hatten an der ganzen Schule einen einzigen Laptop.“ Mittlerweile hat der Stadtrat eine deutlich bessere technische Anbindung der Mittelschule beschlossen – doch draußen bei den Familien sieht Weber immer noch Probleme. „Die Schere zwischen den bildungsfernen und bildungsnahen Familien geht immer weiter auseinander.“ Jutta Sternecker hat zudem auch an der Mittelschule immer mehr mit psychischen Problemen der Schülerinnen und Schüler zu tun. Depressive Verstimmungen und selbstverletzendes Verhalten seien nicht erst durch die Corona-Krise aufgetreten: „Diese Tendenz hat sich bereits im Vorjahr abgezeichnet.“

    Kriseneinsätze kosten die Schulsozialarbeiter Zeit und Kraft

    Die drei Mitarbeiter der Schulsozialarbeit stimmen darüber ein, dass ihr Job in der Corona-Zeit nicht einfacher geworden ist, Gruppenangebote beispielsweise nicht stattfinden können – die Kriseneinsätze und Einzelbetreuungen kosten die drei jedoch noch deutlich mehr Zeit und Kraft als vorher.

    Für ihre Arbeit in dieser schwierigen Situation gab es aus den Reihen der Illertisser Stadträte viel Lob. „Ich bin gottfroh, dass es Menschen gibt wie sie, die Eltern unterstützen“, so Kasim Kocakaplan (SPD). Susanna Oberdorfer-Bögel (FW) findet es „entsetzlich, wie Familien während des ersten Lockdowns komplett missachtet wurden“. Den Kindern werde durch Corona alles Schöne wie Martinsumzüge oder Kindergeburtstage genommen. „Ich hoffe, dass dieser Spuk bald vorbei ist.“

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