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Illertissen: Obdachloser stiehlt Essen in Supermarkt: Wie groß ist die Not in der Region?

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Obdachloser stiehlt Essen in Supermarkt: Wie groß ist die Not in der Region?

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    Ein 29 Jahre alter Mann hat in einem Illertisser Supermarkt Lebensmittel verspeist – Geld, um die Waren zu bezahlen, hatte er offenbar nicht. Der Fall erregte Aufmerksamkeit.
    Ein 29 Jahre alter Mann hat in einem Illertisser Supermarkt Lebensmittel verspeist – Geld, um die Waren zu bezahlen, hatte er offenbar nicht. Der Fall erregte Aufmerksamkeit. Foto: Patrick Lux, dpa (Symbol)

    Ein Mann packt in einem Illertisser Supermarkt ein Sandwich aus und verspeist es – ohne zu bezahlen. Er habe kein Geld dabei und sei obdachlos, sagt er später gegenüber der Polizei. Der Schaden beläuft sich auf einen einstelligen Euro-Betrag, eine Anzeige bekam der 29-Jährige trotzdem. Unser Bericht über den Fall hat große Aufmerksamkeit erregt: Zahlreiche Leser diskutierten auf unserer Facebook-Seite. Sie drückten Mitleid aus, boten sogar an, das verspeiste Sandwich zu bezahlen. Der Tenor: Man solle den Mann doch in Ruhe lassen. Es ging um Fragen wie: Musste er vor Hunger zum Dieb werden? Gibt es so etwas in Deutschland überhaupt? Und: Hätte man bei der Strafverfolgung nicht ein Auge zudrücken können? Wir haben bei

    „Niemand ist in Deutschland dazu verdammt, Hunger zu leiden“: Das sagt Alexander Kurfürst, der stellvertretende Leiter der Polizeiinspektion Illertissen. Er verweist auf „soziale Sicherungssysteme“. Seiner Erfahrung nach komme es vor, dass staatliche Leistungen von den Empfängern zweckentfremdet werden. Sprich: Dass für Nahrung bestimmtes Geld für Alkohol oder Tabak ausgegeben wird. Kurfürst will diese Aussage allgemein verstanden wissen und bezieht sie nicht auf den Fall mit dem Sandwich.

    Polizei: Es gibt keine Entschuldigung für Diebstähle

    Aus Sicht des Polizisten gibt es jedoch keine Entschuldigung für Diebstähle – auch nicht, wenn ein geringer Schaden entstanden ist. „Wir müssen jeder Straftat nachgehen, egal, um welche es geht.“ Eine Bewertung der Polizei sei vom Gesetz nicht vorgesehen, das sei Sache der Justiz. Ob ein Verfahren eingestellt wird, entscheide der Staatsanwalt. Das sei wegen Geringfügigkeit zwar möglich, „aber wenn jemand zum Beispiel mehrfach Centbeträge stiehlt, wird das sicher irgendwann verfolgt“, weiß Kurfürst.

    Wenig Verständnis für den Sandwich-Esser äußert die Leiterin eines Supermarkts in Illertissen auf Nachfrage: Jeder Diebstahl werde zur Anzeige gebracht. Schon wegen der Abschreckung. Ansonsten täten das wohl mehrere „Kunden“.

    Wer keinen Job hat und bedürftig ist, bekommt Geld vom Staat: Auch Obdachlose können Hilfe nach Hartz IV beantragen, teilt das zuständige Jobcenter in Neu-Ulm auf Anfrage mit. Der Regelsatz liegt bei 424 Euro pro Monat. Wer in einer Unterkunft untergebracht ist und ein Konto hat, erhalte das Geld per Überweisung. Menschen ohne Wohnsitz könnten auch Tagessätze (zu je rund 14 Euro) ausgezahlt bekommen: Sie bekommen Schecks, die sie in Supermärkten einlösen können. Das werde so gehandhabt, wenn Bedürftige „auf der Durchreise“ sind. Solche Fälle seien im Kreis

    Die meisten von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen sind in Unterkünften untergebracht, für die die Kommunen zuständig sind. In Illertissen gibt es durchaus eine Nachfrage, heißt es dazu aus dem Rathaus. Derzeit sind 35 Menschen untergebracht, sie belegen etwa 40 Prozent der 36 zur Verfügung stehenden Wohnungen. „Wir sind sehr gut aufgestellt“, sagt eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung dazu. Bei den Bewohnern handele es sich nicht um Menschen, die auf der Straße lebten, so wie man sich das vielleicht vorstelle. Vielmehr helfe die Stadt Bürgern, die plötzlich in Notlagen geraten und „von heute auf morgen vor dem Nichts stehen“.

    Brand in Illertissen machte mehrere Menschen obdachlos

    Ein Beispiel: der Brand eines ehemaligen Bauernhofs in der Vöhlinstraße im Januar. Mehrere Menschen konnten nach dem Feuer nicht zurück in ihre Wohnungen und mussten zunächst in städtische Notunterkünfte ziehen. Mit Schicksalen wie diesen bekommt es die Mitarbeiterin immer wieder zu tun. Auch dann, wenn Bürger mit kleinen Einkommen die Miete nicht mehr zahlen können und es zur Zwangsräumung kommt. Daneben gibt es aber auch Anträge von Menschen aus dem Ausland, die hier „ihr Glück versuchen“. Jeder Antrag werde genau geprüft.

    Die Illertisser Unterkünfte seien für mittellose Menschen gedacht: Der Bedarf ist in Illertissen spürbar, sagt die Mitarbeiterin. Was auch an den derzeit hohen Mieten liege. Quadratmeterpreise von sieben oder acht Euro könnten Arbeitslose oder Geringverdiener nicht zahlen. Die Unterbringung in Illertissen sei auf drei Monate begrenzt, dann müsse eine andere Lösung her. „Das ist oft eine schwierige Geschichte“, sagt die Mitarbeiterin. Sie betont: „Heutzutage wird vom Staat niemand ohne Geld oder ohne Wohnung auf der Straße gelassen.“ Hungern oder gar zum Dieb werden müsse niemand. Zwar gebe es in Illertissen keine „Suppenküche“, in der Bedürftige warme Mahlzeiten erhalten. Allerdings könnten sich Notleidende für wenig Geld im Tafelladen eindecken. Zudem gebe es eine Kleiderkammer – und die finanzielle Unterstützung vom Staat.

    Bedürftige müssen Anträge stellen

    Auch wenn die „nicht gerade riesig“ ausfalle, wie die Mitarbeiterin sagt: „Man kann damit durchkommen.“ Voraussetzung sei allerdings, dass die Notleidenden die entsprechenden Anträge stellen und die nötigen Unterlagen einreichen. Wenn es um Hartz-IV-Leistungen geht, gehören etwa die Kontoauszüge der vergangenen Monate dazu. Nicht alle Betroffenen täten das.

    Ob der Mann mit dem Sandwich dazu zählt, ist unbekannt. Er stamme nicht aus Illertissen, heißt es. Was genau ihn zu der Tat in dem Supermarkt veranlasste, bleibt unklar. Aber der Vorfall richtet den Blick auf Not leidende Menschen. Und die gibt es auch in Illertissen.

    Hier können Sie die Polizeimeldung noch einmal nachlesen: Kein Geld dabei: Obdachloser verspeist Lebensmittel in Supermarkt

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