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Babenhausen: Als Bub pfiff er die Oper „Carmen“ auf vier Fingern: Erinnerungen an Georg Ludwig Jochum

Babenhausen

Als Bub pfiff er die Oper „Carmen“ auf vier Fingern: Erinnerungen an Georg Ludwig Jochum

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    Georg Ludwig Jochum beim Dirigieren.
    Georg Ludwig Jochum beim Dirigieren. Foto: Repro: Dieter Spindler

    Er war ein bemerkenswerter Dirigent, deutschlandweit bekannt und darüber hinaus: Georg Ludwig Jochum. Am Sonntag jährt sich sein Todestag zum 50. Mal – ein Anlass, um auf das Leben des gebürtigen Babenhausers zurückzublicken. Etwa auf ein Geheimnis, das noch heute in der Familie erzählt wird und auf einen lustigen Einfall des Buben im Gasthaus Post.

    Am 10. Dezember 1909 wurde dem Lehrerehepaar Judith und Ludwig Jochum im alten Schulhaus in Babenhausen der Sohn Georg Ludwig geboren. Es war das vierte Kind nach Otto, Mathilde und Eugen. Die älteren Geschwister waren nun, neben ihren Aufgaben in Schule, Bürgerkapelle, Singschule und Kirchenchor, auch dazu angehalten, das Nesthäkchen (den „Audabutzel“) zu umsorgen. Rasch wuchs Georg Ludwig heran und war mit den Geschwistern beim Spielen im Hof der Sailer-Brauerei ebenso anzutreffen wie am Schlossberg beim eisengestützten „Teufelsbaum“ oder im südlichen Kirchhof beim unterkellerten Ölberg. Dort ist einmal beim Versteckspiel eine Situation entstanden, die „Schorschel“ meinte, beichten zu müssen. Noch heute wird in der Familie das gelüftete Geheimnis erzählt: „Ich bin in den Ölberg geschloffen, mehrmals!“

    Wie alle Jochum-Kinder wurde er vom Vater, dem „Regens Chori“, streng in Noten- und Instrumentenlehre unterrichtet. Die älteren Brüder spielten schon Klavier und Geige. Oft, wenn der Vater mit dem Domänendirektor, dem Dekan und Notar oder den Lehrerkollegen zum Schafkopf in der „Post“ und im „Rössle“ zusammenkam, durften die „Großen“ vierhändig etwas vorspielen. Dafür gab es „manches feine Bröcklein, das uns im sparsamen Elternhaus versagt blieb“, erinnerte sich später Otto. „Das fuchste meinen kleinen Bruder Georg, der lange Zeit vom Üben nichts wissen wollte.“ Eines Tages schlich sich dieser mit in die „Post“ und hörte zu, wie die Brüder die Herren mit Klavierspiel beeindruckten. Mit großen Augen beobachtete er, wie Otto und Eugen Würstchen verschlangen. „Plötzlich stand er mitten im Saal auf einem Stuhl, steckte vier Finger in den Mund und fing, wie die Bäckerburschen, durchdringend zu pfeifen an, aber keine Schlager, sondern die halbe Oper „Carmen“, aus der er eine Menge Querschnitte von unserem vierhändigen Spiel her kannte“, schreibt Otto. Es gab großen Beifall für das Sonderkonzert, das „Honorar“ wurde verdoppelt, welches der Bub mit schadenfrohem Grinsen sofort verzehrte.

    Er war mit 22 Jahren der jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands

    Nach dem Schulbesuch in Babenhausen kam Georg Ludwig im September 1920 auf das Gymnasium St. Stephan nach Augsburg, das zur selben Zeit auch sein Bruder Eugen besuchte. Nach dem Abitur studierte Georg Ludwig am Konservatorium in Augsburg und ging anschließend an die Akademie der Tonkunst nach München. 1931 schloss er sein Studium mit dem Dirigentenexamen ab. Kurz danach schrieb die Stadt Münster in Westfalen die Stelle eines städtischen Musikdirektors aus und Jochum bekam vor rund 100 anderen Bewerbern diese Stelle. Er war mit 22 Jahren der jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands.

    Georg Ludwig Jochum mit seinen Geschwistern Eugen, Mathilde und Otto im ehemaligen Zunfthaus „Rössle“.
    Georg Ludwig Jochum mit seinen Geschwistern Eugen, Mathilde und Otto im ehemaligen Zunfthaus „Rössle“. Foto: Repro: Fritz Settele (Archiv)

    1934 zog es ihn in die Großstadt Frankfurt am Main, wo er die Stelle des Ersten Kapellmeisters der Oper und die Leitung der berühmten Museumskonzerte übernahm. Die hektische Stadt sagte ihm aber nicht lange zu, und so trat er 1937 im beschaulicheren Plauen im Vogtland die Stelle des Operndirektors an.

    Eine interessante Aufgabe bot sich Jochum, als er 1940 dazu berufen wurde, in Linz das Bruckner-Orchester des Großdeutschen Rundfunks aufzubauen. Bis zum Kriegsende leitete er es in erfolgreichen Saisons. Schon Ende 1945 erreichte ihn der Ruf der Stadt Duisburg in der damals schwierigen Nachkriegszeit, im Ruhrgebiet ein neues Orchester mit Chor aufzubauen. Es war der Beginn einer 25-jährigen Konzertserie, die Jochum als Generalmusikdirektor plante, aufbaute und leitete. Daneben gründete er eine Singschule, rief eine Jugendkonzertreihe ins Leben und war jahrelang Chef des Konservatoriums.

    Wie alle bedeutenden Dirigenten ging er mit seinem Orchester gerne auf Reisen, wusste aber Maß zu halten und ging hektischer Betriebsamkeit aus dem Weg. Er gab Gastspiele in europäischen Konzertsälen ebenso wie in Südamerika und Japan. Die Berliner Symphoniker luden ihn wie die Bamberger zu Gastdirigaten ein. Im Duisburger Generalanzeiger wurde über Georg Ludwig Jochum geschrieben: „... er hat sich dem internationalen Musikbetrieb weder versagt noch aber auch verschrieben. Dass er fast 25 Jahre GMD der Stadt Duisburg blieb, dass er sein Haus dort im Revier baute und nicht am Tegernsee oder Genfer See, das beweist sein Streben nach Beständigkeit, einer selten gewordenen Tugend unter den Dirigenten.“

    Wenn es die Termine zuließen, traf er sich gerne mit seinen Geschwistern in der alten Heimat im „Rössle“. Zuletzt war er am 28. Oktober 1969 bei der Beerdigung Ottos in Babenhausen, damals schon von einer schweren Krankheit gezeichnet. Mitten in der Planung seiner 25. Konzertsaison musste er den Dirigentenstab aus der Hand legen. Am Allerheiligentag 1970 – vor 50 Jahren – starb er in Duisburg.

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