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Tödliches Familiendrama im Kreis Günzburg: So handelt das Jugendamt bei Kindeswohlgefährdung

Landkreis Günzburg

Tödliches Familiendrama: So handelt das Jugendamt bei Kindeswohlgefährdung

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    Wenn Kinder aus Familien genommen werden, wird darauf geachtet, dass der neue Ort für das Kind ein vertrauensvoller ist.
    Wenn Kinder aus Familien genommen werden, wird darauf geachtet, dass der neue Ort für das Kind ein vertrauensvoller ist. Foto: Christian Charisius, dpa (Symbolbild)

    Als die Polizei am 18. Dezember 2022 im Haus der Familie im Kreis Günzburg eintrifft, ist die Wohnung vermüllt und die Mutter tot. Eine Schuld trifft den Vater. Leidtragende sind bis heute die Kinder. Wenn Minderjährige Schicksalsschläge erfahren, traumatische Szenen erleben und ein Elternteil vor deren Augen stirbt, steht in diesen Momenten das unfassbare Leid im Vordergrund. Trotzdem bleibt die Frage, die sich Angehörige und Freunde stellen, noch Monate später: Hätte das Trauma für die Kinder vermieden werden können? Hätte die Mutter gar nicht sterben müssen?

    Fast ein Jahr ist es her, als im Landkreis Günzburg eine Mutter dreier Kinder im Wohnzimmer der Familie vom Rettungsdienst für tot erklärt wurde. Mehrere Wochen verbrachte sie auf dem Sofa, in Anwesenheit der Kinder lag sie im Sterben. Grund für die Bettlägerigkeit waren Verletzungen, die sie wegen eines Streits mit dem Ehemann erlitten hatte. Vor einigen Tagen wurde der 51-Jährige vom Landgericht Memmingen der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gesprochen. Das Urteil beinhaltet eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten. Er soll, auch weil er Sorge hatte, sein Drogenkonsum würde auffliegen, keine ärztliche Hilfe für seine schwer verletzte Frau organisiert haben. 

    Hätte Familie aus dem Kreis Günzburg länger überprüft werden müssen?

    Wie berichtet, hat sich nach dem Urteil die Nebenklägerin, Schwester des Todesopfers und Tante der drei minderjährigen Kinder, bei unserer Redaktion gemeldet. Nicht nur, dass sie ein härteres Urteil für angemessen empfunden hätte, auch gegen das zuständige Jugendamt hat sie schwere Vorwürfe erhoben. Nachweislich habe sie rund drei Jahre vor dem Vorfall eine Gefahrenmeldung im Günzburger Jugendamt abgegeben. Sie berichtet gegenüber unserer Redaktion, dass sie sich Sorgen gemacht und die Gewaltbeziehung in der Familie geschildert habe. "Ich habe ausdrücklich gesagt, dass ich Angst habe, dass es da mal Tote gibt", so die Frau aus dem Augsburger Raum. Auch auf den möglichen Drogenkonsum habe sie hingewiesen sowie darauf, dass ihre Schwester möglicherweise eine psychische Krankheit entwickelt habe und die Kinder leiden würden. 

    Ihr Vorwurf: Das Jugendamt habe die Meldung "nicht ernst genug genommen und die Familie nicht genau und auch nicht langfristig überprüft". Ein Gespräch mit den Eltern und den Lehrern der Kinder sei allerdings erfolgt.

    Im Fall einer verstorbenen Mutter erhebt die Schwester der Toten schwere Vorwürfe an das Jugendamt des Landkreises Günzburg.
    Im Fall einer verstorbenen Mutter erhebt die Schwester der Toten schwere Vorwürfe an das Jugendamt des Landkreises Günzburg. Foto: Bernhard Weizenegger (Symbolbild)

    Sabine Nölke-Schaufler, die Leiterin des Kreisjugendamtes in Günzburg, darf aus Datenschutzgründen nichts zu diesem konkreten Fall berichten. Allerdings kann sie erklären, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes vorgehen, denn das habe nichts mit einer willkürlichen Entscheidung zu tun, sondern ist klar vorgegeben. Wann spricht man überhaupt von Kindeswohlgefährdung und was muss passieren, dass Kinder in Obhut genommen werden? Grob gibt es vier Bereiche, die zu Kindeswohlgefährdungen zählen, erklärt die Jugendamtsleiterin: körperliche und seelische Vernachlässigung, seelische Misshandlung, körperliche Misshandlung und sexuelle Gewalt. 

    So geht das Jugendamt bei Kindeswohlgefährdung vor

    "Wenn wir in die elterliche Sorge eingreifen wollen, müssen wir das Grundrecht der Eltern beschränken", sagt Nölke-Schaufler. Das bedeutet nichts anderes, als dass es einen triftigen Grund für das Eingreifen des Jugendamtes geben muss und dieses nicht im Vorgriff oder in einer Erwartung tätig werden kann. In Artikel 6 des Grundgesetzes ist geregelt: Pflege und Erziehung der Kinder seien das natürliche Recht der Eltern. 

    Für die Arbeit des Kreisjugendamtes gelten Standards, die bayernweit die Qualität sichern sollen. Etwa, wie im Falle einer Gefährdungsmeldung gehandelt wird. "Sobald die Mitteilung eintrifft, sei es telefonisch, per Post oder persönlich, wird sofort ein Bearbeitungsverfahren mittels eines Formulars eröffnet", erklärt die Leiterin. Jede Meldung verpflichtet, darüber in einem Kriseninterventionsteam zu sprechen. Teil des Teams sind mindestens zwei Fachkräfte und eine Leitung, mindestens jeweils mit drei Jahren Berufserfahrung. Dokumentiert wird, wann, von wem und aus welchem Motiv diese Meldung eingeht, welche Form der Gefährdung vorliege, wer die betroffenen Kinder sind, wo diese zur Schule oder in den Kindergarten gehen und auch die Vorgeschichte der Familie (falls bekannt). Zwölf Seiten hat das Protokoll. 

    Oft sind Hausbesuche durch das Jugendamt die Folge

    Nach der Ersteinschätzung erfolgt eine Entscheidung des Teams. Diese führt, je nach Gefährdungslage, zu einer Vororteinschätzung. Gibt es eine akute Situation, wird die Familie maximal eineinhalb Stunden nach Eingang der Meldung im Tandem überprüft, so Nölke-Schaufler. "In etwa 85 Prozent der Fälle können wir nicht ausschließen, ob es sich um eine Kindeswohlgefährdung handelt." Deswegen sei meist der Ad-hoc-Besuch zu Hause wichtig, bei dem die Mitarbeitenden das Umfeld unangekündigt überprüfen. 

    "Wenn uns eine Mitteilung über eine Vernachlässigung eines Kleinkindes erreicht, prüfen wir, ob der Haushalt vermüllt ist, ob es Windeln und Nahrung gibt oder ob gefährliche Gegenstände für das Kind in der Nähe liegen", nennt die Leiterin ein Beispiel. Nach der ersten Analyse wird ein Schutzkonzept erstellt und mit den Sorgeberechtigten Vereinbarungen getroffen. Dieses gilt es einzuhalten. "Je nach Fall kann dieser Ablauf einen Tag bis hin zu drei Monaten dauern", erklärt Nölke-Schaufler. Das umfangreiche Protokoll sorge dafür, dass jeder Schritt des Jugendamtes gerechtfertigt ist. Denn aus Amtsermittlungsgründen kann das Vorgehen der Behörde immer durch die Staatsanwaltschaft geprüft werden. Beispielsweise nach dramatischen Vorfällen in Familien, die zu Ermittlungen der Kripo und der Staatsanwaltschaft führen. 

    Eine Inobhutnahme bedeutet laut Nölke-Schaufler übrigens nicht automatisch, dass der oder die Schutzbedürftige in ein Heim komme. "Es gibt Kriterien, wann ein Ort als sicher gilt. Es sollte ein Ort des Vertrauens des Kindes sein, das kann zum Beispiel auch bei der Großmutter sein." Ziel sei nicht, den Eltern die Kinder zu entziehen, sondern "diese für eine Kooperation zu gewinnen". (mit wk)

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