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Sportmedizin: Kreuzbandriss: Warum Matevz Kunst so schnell wieder Handballspielen kann

Sportmedizin

Kreuzbandriss: Warum Matevz Kunst so schnell wieder Handballspielen kann

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    Aus dem Stand auf den Kasten hüpfen und auf einem Bein landen: Auf der zweiten von vier Behandlungsstufen möchte Physiotherapeut Thomas Buhl sicherstellen, dass das Knie von Matevz Kunst stabil ist.
    Aus dem Stand auf den Kasten hüpfen und auf einem Bein landen: Auf der zweiten von vier Behandlungsstufen möchte Physiotherapeut Thomas Buhl sicherstellen, dass das Knie von Matevz Kunst stabil ist. Foto: Bernhard Weizenegger

    Es geschah wie so viele Unglücksfälle ohne Vorwarnung, bei einer im Handball alltäglich ausgeübten Bewegung. Für einige Minuten dachte Matevz Kunst an diesem 14. April 2021 sogar daran, wieder ins Training des Drittligisten VfL Günzburg zurückzukehren. Aber es ging nicht. Das vordere Kreuzband war gerissen. Eine Hiobsbotschaft für jeden Leistungssportler, umso mehr, da der junge Mann gerade seine Heimat Slowenien verlassen hatte, um in Günzburg sportliches Glück zu finden.

    Vertrauen ins Behandlungskonzept

    Neun Monate später, an einem kalten Januarnachmittag 2022, ist Matevz Kunst in die Physiotherapie-Praxis von Thomas Buhl in Großkötz gekommen. Zum x-ten Mal inzwischen. Von Beginn an wurde er hier versorgt, fasste schnell Vertrauen in das von Buhl vorgeschlagene, im Amateursport noch selten praktizierte Behandlungskonzept.

    Der Weg zurück aufs Spielfeld war natürlich trotzdem steil und steinig. Es ist ja nicht nur eine Frage des Knies, ob ein Sportler nach einer derart schweren Verletzung wieder zurückkommt. Buhl weiß von einer Statistik, nach der im Anschluss an diese Horrorverletzung lediglich 44 Prozent aller Sportler wieder den Leistungsstand erreichen, den sie vor dem Kreuzbandriss hatten. Was nach seiner Überzeugung in erster Linie an Fehlern in der postoperativen Behandlung liegt.

    Warum Matevz Kunst "Glück im Unglück" hatte

    Kunst könnte das Comeback gelingen. Was vermutlich vielerlei Ursachen hat. Zunächst zog er sich „nur“ den Kreuzbandriss zu. Dass es keinerlei Begleitverletzungen gab, bezeichnet Buhl im Nachhinein als „Glück im Unglück“.

    Als Physiotherapeut der Günzburger Handballer war Buhl auch von der ersten Minute an in die Behandlung des 23-jährigen Spielers eingebunden, konnte zum Beispiel schon vor dem Operationstermin Mitte Mai 2021 wichtige Weichen für einen Erfolg stellen.

    Der Slowene Matevz Kunst beim Y-Balance Test in der Physiotherapie-Praxis von Thomas Buhl in Großkötz.
    Der Slowene Matevz Kunst beim Y-Balance Test in der Physiotherapie-Praxis von Thomas Buhl in Großkötz. Foto: Bernhard Weizenegger

    Zusätzlich war der Slowene selbst jederzeit in der Lage, Angstgefühle auszublenden. Er führte sämtliche Rehabilitationsübungen ganz einfach aus, ohne lange zu studieren, ob das Knie die zunehmende Belastung auch wirklich aushalten würde. „Für mich ist das vom Kopf her egal. Mein Fokus ist: Knie, Knie, Knie“, bestätigt der Handballer und wendet sich zum Aufwärmen einer Bewegungsform zu, die zu den ersten während seines Aufbautrainings zählte. Beim sogenannten Y-Balance Test geht es einmal darum, das Gleichgewicht zu wahren und zum anderen wird kontrolliert, ob der Patient in etwa seitengleich beweglich ist. Erfasst werden also funktionelle Zusammenhänge unter Belastung. „Das schaut leicht aus. Aber jemand, der das nach drei Monaten Pause machen muss, kommt an die Grenze“, versichert Buhl.

    Ausbildung zum OS Coach absolviert

    Das nötige Fachwissen haben sich Thomas Buhl und seine Kollegin Katrin Maaßmann als Zusatzqualifikation angeeignet, indem sie die Ausbildung zum OS Coach absolvierten. Das der Aufbauarbeit mit dem Patienten zugrunde liegende Schema ist der sogenannte RTA-Algorhythmus (RTA steht für Return to Activity, sinngemäß also Zurück zu körperlicher Aktivität), also ein funktionelles Behandlungsschema, das stufenweise umgesetzt wird.

    Thomas Buhl: "Individuelles, funktionelles Vorgehen"

    Den Vorteil dieser im Profisport längst etablierten Methode gegenüber klassischen Reha-Maßnahmen erklärt Buhl allgemeinverständlich so: „Die bisherigen Konzepte waren zeitlich bestimmt. Da sagte der Arzt zum Sportler, dann und dann kannst du radfahren oder joggen. Das tritt nun in den Hintergrund. Wir setzen auf ein individuelles, funktionelles Vorgehen. Bei uns wird trainiert, was der Patient in seinem Alltag und in seinem Sport benötigt. Und wir gehen dabei immer nur so weit, wie er belasten kann.“

    Weil der Heilungsprozess bei Kunst schon vielversprechend begann und der Slowene bis heute keinerlei Motivationsdellen erkennen lässt, sei er „das ideale Opfer, um die Methode erstmals auszuprobieren“, sagt Buhl mit einem breiten Grinsen.

    Umso besser müssen beide Seiten darauf achten, es nicht zu übertreiben. Hier gibt das Verfahren, richtig angewendet, das richtige Tempo vor: Bevor Übungen einer höheren Stufe beginnen, muss Kunst jedes Mal einen Test absolvieren. Und er muss voll beweglich sowie schmerzfrei sein, um aufzusteigen. Erst wenn er an der Spitze seiner persönlichen RTA-Reha-Pyramide angekommen ist, sprich bei 100 Prozent Leistungsfähigkeit, wird die Nachbehandlung wirklich beendet sein.

    272 Tage Zwangspause

    Wesentlich schneller als mit konservativen Maßnahmen funktioniert die Rückkehr in den Wettkampfsport mit dem RTA-Algorhythmus nicht unbedingt, räumt Buhl ein. Das sei freilich gar nicht denkbar, denn: „Es dauert einfach ein Jahr, bis das Kreuzband komplett eingewachsen ist. Das können wir nicht beschleunigen. Aber wir können den Sportler so stark herrichten, dass er das kompensieren kann.“ Bei Kunst hat es exakt 272 Tage gedauert, ehe er in den sportlichen Wettkampf zurückkehren konnte. „Das ist verdammt gut“, sagt Buhl, der seit 16 Jahren eine Praxis in Großkötz führt.

    Der sich abzeichnende Behandlungserfolg bei Kunst ist für beide Seiten ein Quantensprung. Buhl sieht sich in seinem Mut bestätigt, Neues zu wagen, um zusammen mit seinen Patienten schonender als früher zu Behandlungserfolgen zu kommen und im Idealfall messbar bessere Ergebnisse zu erzielen. Und Kunst glaubt fest daran, dass er sein früheres Leistungsniveau schon bald wieder erreicht.

    Bleibt Kunst ein Günzburger?

    Ob er dann noch Tore für den VfL Günzburg wirft, lässt der Handballer offen. Für die laufende Runde aber sind seine Ziele definiert: „Für mich persönlich hoffe ich, dass ich wieder gesund werde. Aber als Team wollen wir unbedingt in der Dritten Liga bleiben.“

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