Die zwei Punkte waren schon eingepackt und mit Schleifchen versehen. 28:24 führten die Handballer des VfL Günzburg im Regionalligaspiel beim SV Anzing. Vier Minuten und ein paar Sekunden standen noch auf der Spieluhr. Und obwohl es in diesem Sport zuweilen ruckzuck geht: Diesen Vorsprung hätten die Weinroten ins Ziel bringen müssen. Doch urplötzlich verloren sie ihren kühlen Kopf. Und dann verloren sie das Spiel. Ernüchternd 28:29 (18:15) stand es nach 60 Minuten - und so richtig verstehen konnte das keiner in der Reisegruppe aus Schwaben.
Die von einem Hallensprecher in größter Form aufgeheizte Stimmung unter der regionalligawürdigen Kulisse sprang auf die Sportler über. Beide Abwehrreihen packten entschlossen zu, in Höchstgeschwindigkeit wurde über das Spielfeld gefetzt. Ordentliches Regionalliga-Niveau gab es in der ersten Halbzeit zu sehen. Nach neun Minuten erzielte Nicolai Jensen das 5:3 für die Gäste.
Früher Platzverweis
Die Schiedsrichter Florian Güßregen und Stefan Murrmann hielten die Mannschaften sicher an der langen Leine und zerpfiffen körperlichen Einsatz nicht. Als sich der Anzinger Lukas Eichinger ein rüdes Foul leistete, schickten sie ihn allerdings gerechterweise mit der Roten Karte vom Feld. Die Disqualifikation half den Günzburgern. Gabriel Scholz und wieder Nicolai Jensen schraubten die Führung auf 7:3. Der VfL hatte hier seine beste Phase. Temporeich wurde über die starken Außen David Pfetsch und Noah Heisch gespielt. Am weinroten Handball-Faden wurde sicher kombiniert.
Vielleicht lag es am hohen Tempo der ersten Halbzeit, vielleicht an zupackenden Abwehrreihen. Tore waren plötzlich Mangelware, der VfL blieb dennoch am Drücker. In der 38. Minute gelang Jonathan Cremer, der effektivster Angreifer seiner Farben war und auch umsichtig deckte, das 22:17.
Anzing stellte auf eine offensivere Deckungsformation um. Jussi Hofmann und später Jonas Kiefel gelangen die Treffer zum Anschluss. Den taktischen Einbruch seiner Jungs sollte VfL-Chefcoach Stephan Hofmeister später als „schwer verständlich“ kritisieren. Immerhin blieb er vorerst folgenlos, da die Oberbayern im Angriff nur mehr Stückwerk produzierten, die VfL-Abwehr von eigenen Angriffsfehlern unbeeindruckt blieb und Patrick Bieber über 58 Minuten sein Tor immer wieder vernagelte. Michael Jahn und Nicolai Jensen brachten Günzburg wieder 26:23 nach vorn. Alles war gut. Als Manuel Scholz zum 28:24 einnetzte, schien die Sache durch.
Aber sie war es nicht, denn es sollte das letzte Tor der Gäste sein. Die fingen sich in den verbleibenden vier Minuten fünf Stück. Die spannende Schlussphase war geprägt von plötzlich treffsicheren Anzingern und jurplötzlich disziplinlosen Schwaben.
Jonas Kiefer traf zum 25:28. Gabriel Scholz erhielt eine Zeitstrafe. Anzing hatte plötzlich Raum, warf das 26:28. Noch nichts Unlösbares. So eine Zeitstrafe vergeht ja. Urplötzlich eine Spielunterbrechung durch das Kampfgericht. Ein Wechselfehler von Patrick Bieber wurde gemeldet. Es folgte ein regeltechnisch berechtigter Siebenmeter, weil mit dem Pfiff eine klare Torgelegenheit der Gastgeber vereitelt wurde. Florim Hoxha verwandelte. 27:28. Plus doppelte Unterzahl für Günzburg und noch mehr Raum für Anzing.
In dieser Spielkrise wurde bei den Weinroten, so schilderte es zumindest Hofmeister, „der Verstand ausgeschaltet“. Verschwörungstheorien gegen das Kampfgericht und die Schiedsrichter brachen sich Bahn. Ein weiteres Tor von Florian Ehrenstorfer sorgte für den Ausgleich.
Zehn Sekunden vor dem Ende erhielt der VfL auf der günstigen Rückraum-Mitte-Position einen Freiwurf. Mit noch sieben Sekunden auf der Spieluhr wurde der nach Ansicht der Schiedsrichter zeitverzögernd falsch ausgeführt. Es gab Rot für Daniel Jäger und Siebenmeter für die Gastgeber. Wieder durch eine Ordnungswidrigkeit. Florim Hoxha traf zum Endstand.
Hofmeister wollte bei aller Rage nicht allzu vorschnell urteilen. Einerseits brandmarkte er: „Wechselfehler und die meisten Wurfausführungen sind eine Frage der Disziplin. Es sind vermeidbare Ordnungswidrigkeiten ohne Spielraum für die Schiedsrichter.“ Andererseits meldete er als Möglichkeit an, dass auch Zeitnehmer, Sekretäre und Schiedsrichter Fehler machen können. Er möchte sich deshalb erst einmal per Videostudium schlaumachen. Für den Fall, dass die Strafen gegen sein Team zu Recht ausgesprochen wurden, zog er nach einer freudlosen Heimfahrt das Fazit: „Nach dem Spielbericht haben wir zweimal kurz hintereinander zu unserem eigenen Schaden rote Regel-Ampeln überfahren und uns auch noch erwischen lassen.“
So haben sie gespielt
VfL Günzburg Bieber, Langhans; Pfetsch (3), T. Jensen, M. Jahn (3), Spengler, A. Jahn (1), N. Jensen (4), Heisch (4), Telalovic (1), Schmidt, Jäger, G. Scholz (5/5), M. Scholz (3), Cremer (4), Prechtl
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden