Darf man sich auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar freuen? „Auf keinen Fall“, macht der in Medien aller Art seit Monaten verbreitete Zeitgeist glauben. „Aber sicher“, antworten Fußball-Fans auch im Landkreis Günzburg. Und das ist beileibe nicht der einzige bemerkenswerte Beitrag zu unserer Umfrage vor der Winter-WM in der Wüste, die am 20. November mit dem Eröffnungsspiel zwischen dem Gastgeber und Ecuador eröffnet wird.
Gerhard Jauernig wird vor Ort dabei sein
Hautnah in Katar dabei sein wird Günzburgs Oberbürgermeister Gerhard Jauernig. Nach seinen unbeschreiblich schönen Erlebnissen als Gast bei der WM 2018 in Russland stand für ihn fest, dass er auch das aktuelle Erlebnis nicht missen möchte. Natürlich dürfe und müsse man vieles im Umfeld dieser Weltmeisterschaft kritisch sehen, aber „Fußball ist herrlich, eines meiner liebsten Hobbys – und wenn die Besten bei einer WM gegeneinander spielen, fiebere ich mit“, formuliert der Politiker.
Im Freundeskreis habe man sich bereits zu Jahresbeginn 2022 offiziell bei der Fifa um Karten beworben und den Zuschlag für die drei Vorrundenspiele der deutschen Nationalmannschaft erhalten. Das Thema Unterkunft stellte sich nicht wirklich, denn: „Ein guter Bekannter unserer Reisegruppe lebt und arbeitet seit über 20 Jahren in Katar. Wir können bei ihm wohnen und haben damit die Gelegenheit, auf ganz unterschiedliche Art und Weise Land, Leute und Kultur des Emirats kennenzulernen. So können wir uns unser eigenes Bild machen.“
Sportlich glaubt Jauernig an die Turniermannschaft Deutschland. Das Team werde zumindest ins Achtelfinale einziehen – „und dann schauen wir mal.“ Selbst den Titelgewinn traut der Oberbürgermeister den Jungs von Trainer Hansi Flick zu.
Einig ist er sich in dieser Hinsicht mit einem Denkmal des regionalen Fußballs, Dragan Trkulja. Der frühere Bundesliga-Angreifer des SSV Ulm 1846 und aktuelle Trainer des VfL Bühl sieht „Brasilien und Deutschland immer vorne – zusammen mit Argentinien und Frankreich.“ Allerdings sei die Qualität innerhalb der absoluten Fußball-Weltspitze nach der Corona-Pandemie schwerer einzuschätzen als zu „normalen“ Zeiten, sagt der 58-Jährige.
Seine serbische Nationalmannschaft sieht Trkulja in einer schwer zu bewältigenden Gruppe mit Brasilien, der Schweiz und Kamerun. „Aber das ist WM, das ist normal. Wir haben eine gute Truppe, die Charakter zeigt. Ich hoffe, wir gehen weiter ins Achtelfinale. Aber der Ball ist rund – irgendeiner überrascht immer.“
Dragan Trkulja freut sich drauf
Die gesellschaftlichen Diskussionen über die Winter-Wüsten-Weltmeisterschaft registriert der frühere Profi mit Erstaunen. „Jetzt groß zu reden ist viel zu spät, das ist blöd eine Woche vor der WM. Warum haben die Leute damals nichts gesagt?“, fragt Trkulja und setzt hinzu: „Jetzt ist Zeit für Fußball – und ich freue mich drauf.“
Wesentlich kritischer steht Luna Brüller diesen Titelkämpfen gegenüber, in denen sie nach spannendem Verlauf Argentinien ganz vorne sieht – „wegen Messi“, wie die Tischtennisspielerin der TSG Thannhausen sagt. Die 17-Jährige wird die Spiele aber höchstens am Rande verfolgen; aktiv zuschauen möchte sie nicht. „Ich finde, dass man so eine Weltmeisterschaft nicht unterstützen sollte. Es ist offensichtlich, dass beim Bau der Stadien sehr stark die Menschenrechte verletzt wurden und viele sterben mussten“, sagt sie.
Luna Brüller: "Schade für die Spieler"
Die Tischtennisspielerin ist überzeugt, dass viele Menschen ihre Ablehnung teilen und glaubt deshalb, dass diese Weltmeisterschaft ganz anders wird als alle vorherigen. „Es ist nur schade für die Spieler, weil die natürlich am wenigsten dafür können.“
Neben diesen konkreten Erwägungen hat Brüller auch einen ganz allgemeinen Grund, den Titelkämpfen die kalte Schulter zu zeigen. Sie versteht nicht, „warum überhaupt Länder wie Katar zur Verfügung stehen, eine WM austragen zu dürfen, wenn es auch viele andere Länder gibt, die genügend Stadien hätten.“
Vergleichsweise unpolitisch begegnet dagegen Michael Klaußer den Tagen in Katar. „Die richtige Entscheidung war es nicht, das dort hinzugeben. Aber es bleibt doch Sport“, sagt er knapp.
Das Feeling fehlt Michael Klaußer
Klaußer ist Sportler durch und durch, spielt Handball beim Landesligisten TSV Niederraunau und Fußball beim Kreisklassisten SpVgg Krumbach. Was ihm an sich selbst aufgefallen ist: „Man freut sich nicht so ganz drauf wie auf frühere Weltmeisterschaften, es ist nicht so das Feeling da.“ Ob das allein am umstrittenen Schauplatz und an der „verkehrten“ Jahreszeit liegt oder vielleicht auch andere Ursachen hat, vermag er nicht zu sagen. Jedenfalls freut er sich auf die Begegnungen der deutschen Mannschaft mit dem großen Block von Spielern seines Lieblingsvereins Bayern München. Das Geschehen wird er statt beim Public Viewing nun eben mit seinen Freunden auf dem Sofa diskutieren.
Auch Konrad Nöbauer kann nicht gutheißen, dass die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar stattfindet; es sei „verwerflich“, dass diese Entscheidung 2010 getroffen wurde, sagt der Trainer des Bezirksligisten VfR Jettingen. Er fügt aber umgehend hinzu: „Die fußball-begeisterten Fans können nichts dafür, dass die Fifa das so vergeben hat. Dafür sind ihre stimmberechtigten Mitglieder zu kritisieren.“
Wer ausgerechnet hierzulande zum Boykott der WM aufrufe, müsse gedanklich auch den zweiten Schritt machen, betont Nöbauer. „Dann müsste man sich, wenn man ein Auto bestimmter deutscher Hersteller fährt, fragen, ob das richtig ist, weil die Katarer nämlich an den Firmen beteiligt sind. Und die ganzen Bayern-Fans müssten einräumen, dass sie mit dem Kauf einer Eintrittskarte indirekt Werbung machen für Katar. In sofern ist das alles ein bisschen Doppelmoral.“
Konrad Nöbauer irritiert der Gedanke an Fußball mit Glühwein
Als Freund des Spiels freut sich Nöbauer auf die Begegnungen in den klimatisierten Arenen und er wird sie auch intensiv verfolgen, obwohl er der deutschen Auswahl diesmal nur das Erreichen des Viertelfinales zutraut. Eines freilich irritiert ihn: „Alle Weltmeisterschaften haben im Sommer stattgefunden, mit Public Viewing im Freien und einem kühlen Getränk. Ich weiß noch nicht, ob ich mich an Fußball mit Glühwein gewöhnen kann.“
Auf dieselbe heiße Tasse linst Henry Burkert, wenn er sagt: „Die Zeit passt nicht. Ich will Fußball-WM im Biergarten genießen. Im Winter gehe ich zum ESV Burgau, Eishockey schauen.“ Letzteres ist für das Mitglied des Eisbären-Fanclubs Hurricanes Hobby und Herzenssache, aber dem Fußball ist er grundsätzlich ebenfalls zugeneigt.
Echte Vorfreude empfindet Burkert in diesen Tagen vor dem Anpfiff dennoch nicht. Er wird aufgrund der Anstoßzeiten auch deutlich weniger Spiele verfolgen als sonst bei großen Turnieren. „Die Deutschland-Spiele will ich mir aber schon ansehen.“
An einen privaten Boykott der Spiele hat Burkert nie ernsthaft gedacht – obwohl er die Vergabe der Titelkämpfe an Katar als „Riesenfehler“ bezeichnet. „Aber es ist jetzt so und es ist auch niemandem geholfen, wenn man da wegschaut. Man muss einfach in Sachen Fifa grundsätzlich umdenken, finde ich.“
Ein mutiger Tipp von Henry Burkert
Der deutschen Fußball-Auswahl traut der Eishockey-Spezialist alles zu. „Ich glaube schon, dass trotz der schlechten Vorzeichen zumindest ein Final-Einzug drin ist. Das ist ein mutiger Tipp, aber in unserer Mannschaft werden einige Jungs überraschen.“
Wenn’s klappt, wird er immerhin sieben Spiele sehen. Und vielleicht packt ihn das WM-Fieber ja doch noch.