Zwischen dem Schreibtisch und einem großen Spiegel hat Mila Bissinger mit ihrer Mutter Anja seit dem letzten Lockdown ein Trainingszimmer eingerichtet. Das Herzstück ist ein violetter Schwebebalken der Simone-Biles-Edition. Für Mila Bissinger ist die US-amerikanische Turnerin, inzwischen 24 Jahre alt, ein Vorbild. Sie beweise, dass die Kleinsten die Größten sein können. Die Geräteturnerin ist nur 1,42 Meter groß; und Mila acht Zentimeter kleiner – noch. Außerdem sei es eh von Vorteil, in ihrem Sport nicht zu groß zu sein.
Die Neunjährige ist Kunstturnerin, seit sie fünf Jahre alt ist. Der Weg war nicht vorgezeichnet: Ihre Mutter schickte sie früh ins Ballett. Die Antwort der Tochter: „Das ist viel zu langweilig. Ich will Rad und Handstand können.“ Also meldete Anja Bissinger ihr Kind im Turnverein an. Bereits damals sei aufgefallen, dass Mila Bissinger überall und sehr lange, ungefähr eine Minute, im Handstand bleiben konnte.
Die Familie kann derzeit nur Videos aus dem Training sehen
Die Trainerin beim TSV Günzburg sprach Anja Bissinger damals an, ob ihre Tochter in die Leistungsgruppe wolle. Aus zweimal Training pro Woche wurden schnell drei- bis viermal. Doch Mila hatte noch nicht genug. Sie wechselte nach Ulm. Inzwischen ist sie beim TSV Jetzendorf und trainiert sechsmal in der Woche. Der Fokus des Vereins liege auf der Nachwuchsförderung, betont ihre Mutter. „Dort gibt es eine tolle Pädagogik. Sie hat Freunde und darf Kind sein.“ Bis 13 Uhr geht sie zur Schule, danach fahren die Mutter oder die Großeltern sie ins eine Stunde entfernte oberbayerische Jetzendorf. Dann kommen nochmals drei bis dreieinhalb Stunden Training obendrauf.
Vom Training kann die Neunjährige selbst Familienmitgliedern derzeit nur Videos auf dem Handy zeigen. Eltern dürfen die Halle nämlich coronabedingt nicht betreten.
Mila Bissingers Lieblingsfigur, der Stalder, ist auf Smartphone-Video auch zu sehen. Dieser Vorgrätsch-Felgumschwung in den Handstand, bei dem die Turnerin sich nach hinten schwingt und die Beine in Richtung Schultern grätscht, müsste Mila erst in zwei Jahren können. Das gelingt aber jetzt schon, aber „meine Trainerin sagt auch: Dieses Element ist wie für mich gemacht, das fällt mir supereinfach“.
Aber auch auf dem Schwebebalken zu turnen, findet sie „faszinierend. Der Balken geht mir nur bis zur Schulter, ist nur zehn Zentimeter breit. Dann machst du darauf tolle Sachen wie einen Salto“.
Für die Wettkämpfe braucht die Günzburgerin starke Nerven
Auch während der Osterferien hatte Mila Bissinger an zwei Tagen Training. Lohn für den Aufwand sind möglichst gute Platzierungen bei den Wettkämpfen. Die Wettbewerbe liebt die junge Turnerin. Eines sei absolut nötig: „Wenn man keine starken Nerven hat, dann kann man das nicht machen.“
Wettkämpfe bestreitet die Günzburgerin, seit sie sechs Jahre alt ist. In ihrem Zimmer klebt an der weißen Schranktür ein Zeitungsartikel über sie. Auf dem Regal daneben liegen die Preise, die sie gewonnen hat: Bronze- und Silbermedaillen, ein silberner Pokal. Und das Maskottchen des Bundeskaders, eine schwarz-weiß gefleckte Kuh, die Mila Bissinger „Lissi“ getauft hat.
Mit ihr teilt sie sich den schwarzen Turnanzug des Bundeskaders. Auf der Rückseite prangen die drei Buchstaben „GER“. Das steht für Germany – Deutschland.
Welche Vorteile der Bundeskader Mila Bissinger bietet
Seit der Altersklasse 7 war sie bereits im Landeskader. Für den Bundeskader konnte sie sich ab Altersklasse 10 qualifizieren. Geschafft hat sie das, weil Mila im vergangenen Oktober beim Turn-Talentschulpokal in Mannheim die nötigen 60 Punkte erreicht hat.
Sie war eine von insgesamt zwölf Turnerinnen. In vier Kategorien musste sie sich damals beweisen: Am Barren, auf dem Balken, am Boden und im Sprung. Dass sie in den Bundeskader aufgenommen wurde, erfuhr sie erst per E-Mail. „Ich hab’ mich da richtig gefreut.“
Da sie nun im Bundeskader ist, kann Mila Bissinger zusätzliche Workshops für dieses Niveau belegen. So ein Angebot gibt es auf Landesebene für ihr Alter nicht mehr. Zudem bekommt sie Sportuntersuchungen bezahlt. Auch Mentaltraining kann sie in Jetzendorf in Anspruch nehmen, weil in dem Verein viele Kaderathleten trainieren – so wie die drei anderen Mädchen im Team des Turn- und Sportvereins, mit denen sie in den Bundeskader aufgestiegen ist.
Die Günzburgerin hat große Ziele – wie ihr Vorbild Simone Biles
Mila Bissinger turnt nicht nur leidenschaftlich gern, sie spielt auch Gitarre und zeichnet gern – vor allem Hunde und Pandas. Bis zum Alter von zwölf Jahren kann Mila Bissinger in Jetzendorf bleiben. Dann möchte sie in eines der großen Leistungszentren für Turner in Deutschland nach Stuttgart oder Chemnitz gehen. Ab diesem Alter ist auch eine Qualifikation für die deutschen Meisterschaften möglich. Das ist ihr großes Ziel für 2023.
Und vielleicht taucht sie mit ihrem Markenzeichen, dem dunkelblonden Dutt mit zwei eingeflochtenen Zöpfen, später noch woanders auf: bei den Olympischen Spielen, ihr Vorbild Simone Biles hat es 2016 vorgemacht: Sie gewann vier Goldmedaillen vor fünf Jahren.
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