Startseite
Icon Pfeil nach unten
Günzburg
Icon Pfeil nach unten

Polizei-Serie: Zwischen Unfall und Schreibtisch: Auf Streife mit der Krumbacher Polizei

Polizei-Serie

Zwischen Unfall und Schreibtisch: Auf Streife mit der Krumbacher Polizei

    • |
    Schwerer Verkehrsunfall bei Balzhausen auf der Staatsstraße 2525 mit mehreren Verletzten: Die Polizei ist als Erstes am Unfallort gewesen.
    Schwerer Verkehrsunfall bei Balzhausen auf der Staatsstraße 2525 mit mehreren Verletzten: Die Polizei ist als Erstes am Unfallort gewesen. Foto: Christian Kirstges

    Sie sind da, um die Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Doch die Polizei wird zunehmend nicht mehr als Freund und Helfer wahrgenommen. Einsatzkräfte werden immer häufiger beleidigt und verletzt. Gerade in sozialen Medien wird ihre Arbeit kritisiert – wie nach einem Schusswaffengebrauch im Frühjahr dieses Jahres in Krumbach. Doch wie arbeiten die Beamtinnen und Beamten? Wie werden sie ausgebildet? Und was machen die Attacken mit ihnen? Ein Blick hinter die Kulissen der

    Erstmal geht's zum Tanken. Schließlich weiß niemand, wie lange der nächste Einsatz dauert, wo er hinführt und wann wieder Zeit zum Nachfüllen ist – der Tank muss mindestens zur Hälfte voll sein. Also fahren Polizeihauptmeister Alexander Leisenberger und seine Streifenpartnerin, Polizeimeisterin Jana Müller, von der Polizeiinspektion (PI) Krumbach zu einer Tankstelle am Stadtrand. Ihre Spätschicht hat um 13 Uhr begonnen, jetzt ist es halb drei. Ihre ersten beiden Aufträge: Fotos von einem Unfallfahrzeug machen, was in einer früheren Schicht wegen der Dunkelheit nicht so gut möglich war. Und dann zum x-ten Mal versuchen, einen Roller zu beschlagnahmen, der offenbar zu schnell ist. Doch bislang war der Halter nie da. Oder wollte ihnen nicht öffnen. Der Auftrag der Staatsanwaltschaft muss aber warten: Die Einsatzzentrale meldet sich per Funk – es ist dringend.

    Schwerer Verkehrsunfall bei Balzhausen auf der Staatsstraße 2525 mit mehreren Verletzten. Auch der am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm stationierte Rettungshubschrauber war im Einsatz.
    Schwerer Verkehrsunfall bei Balzhausen auf der Staatsstraße 2525 mit mehreren Verletzten. Auch der am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm stationierte Rettungshubschrauber war im Einsatz. Foto: Christian Kirstges

    Schwerer Verkehrsunfall auf der Staatsstraße 2525 bei Balzhausen, mehrere Personen sollen eingeklemmt sein. Bislang sind noch keine Rettungsfahrzeuge vor Ort, die Streifenbeamten werden die ersten sein. Blaulicht und Martinshorn werden eingeschaltet, Leisenberger beschleunigt. Ein ungutes Gefühl beschleicht ihn und seine Kollegin: Was ist passiert, was werden sie gleich sehen? Doch zum Unfallort zu kommen, ist nicht so leicht. Viele Fahrer in den Autos und Lastwagen vor dem Streifenwagen reagieren sehr spät, machen kaum Platz. Deshalb hupt Leisenberger ständig. "Wenn man das Radio zu laut aufgedreht hat, hören viele das Martinshorn nicht", erklärt der 29-Jährige. Das Hupen hingegen sei gut wahrzunehmen. Und tatsächlich reagieren die Fahrer noch am ehesten darauf. Trotz Sondersignal darf der Beamte aber nicht einfach über eine Kreuzung brettern – er muss sich vergewissern, dass die anderen Fahrer das Polizeiauto registriert haben und durchlassen.

    Aufgeregt gestikulieren Ersthelfer, wo sich der Streifenwagen der Polizei Krumbach hinstellen soll

    Auf dem Weg gibt es eine kleine Unklarheit: Ein Pannenfahrzeug steht am Straßenrand. Da es immer wieder vorkommt, dass sich Erstmeldungen nicht als das herausstellen, was ein Anrufer durchgegeben hat, hält der Polizist an, Jana Müller steigt schnell aus und läuft zu dem Fahrer. Doch es geht nicht um ihn. Also – weiter! Kurz darauf ist schon ein Rückstau zu sehen. Hier muss es sein. Der Streifenwagen bahnt sich seinen Weg. Aufgeregt gestikulieren Männer und Frauen in Warnwesten, wo er denn am besten hin soll. Als das Einsatzfahrzeug steht und die Beamtin sowie der Beamte auf die Unfallstelle zulaufen, kümmern sich mehrere Ersthelfer um die Insassen von zwei Autos, die halb in einem Graben liegen. Ein Mann informiert Leisenberger und Müller, dass bei jemandem Blut aus dem Ohr laufe. Aus Angst, sie schwerer zu verletzen, habe die Person noch keiner aus dem Wrack befreit.

    Auch die Polizisten können da nicht viel tun, zumal alle in den beiden demolierten Fahrzeugen ansprechbar sind. Per Funk wird die Einsatzzentrale über die Lage informiert. Aus der Ferne ist bereits Martinshorn zu hören, die Feuerwehr ist gleich da. Der Hauptmeister und seine Kollegin können sich nun darum kümmern, in Erfahrung zu bringen, was hier eigentlich passiert ist.

    Die Staatsstraße ist eigentlich Umleitungsstrecke: Fast eine Stunde Umweg für den Schwerverkehr

    Nach und nach treffen immer mehr Fahrzeuge verschiedener Feuerwehren und Hilfsorganisationen ein. Nach ein paar Minuten ist ein Brummen zu hören – ein Rettungshubschrauber nähert sich. Die Besatzung des gelben Helikopters der ADAC-Luftrettung, stationiert am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm, sucht einen möglichst guten Landeplatz und "parkt" schließlich auf der Staatsstraße. Ein Notarzt und der Sanitäter eilen zu den Kolleginnen und Kollegen. Über die Strecke führt eigentlich die Umleitung der gerade wegen Bauarbeiten gesperrten B300, die Feuerwehr muss den Verkehr großräumig umleiten. Für den Schwerverkehr bedeutet das einen Umweg von gut 50 Minuten.

    Schwerer Verkehrsunfall bei Balzhausen auf der Staatsstraße 2525 mit mehreren Verletzten. Der stellvertretende Leiter der PI, Claus Schedel, markiert eine Unfallspur.
    Schwerer Verkehrsunfall bei Balzhausen auf der Staatsstraße 2525 mit mehreren Verletzten. Der stellvertretende Leiter der PI, Claus Schedel, markiert eine Unfallspur. Foto: Christian Kirstges

    Nach einer gewissen Zeit ist klar, dass keines der Unfallopfer lebensgefährlich verletzt ist. Aus Sicht der Polizei wäre es somit nicht nötig, einen Gutachter anzufordern und die Straße noch länger gesperrt zu lassen. Aber das muss der Bereitschaftsdienst der Staatsanwaltschaft entscheiden – der es auch so sieht. Um 15.40 Uhr können die ersten Feuerwehrfahrzeuge samt Besatzung abrücken, auch der Helikopter Christoph 22 macht sich auf den Rückweg ins Bundeswehrkrankenhaus. Ein 42-Jähriger wird dort eingeliefert. Für Leisenberger und Müller ist die Arbeit damit noch lange nicht zu Ende. Sie haben die anderen Unfallbeteiligten und Zeugen, so es geht, befragt. Ihr stellvertretender Dienststellenleiter Claus Schedel, der zur Unterstützung gekommen ist, hilft ihnen jetzt auch beim Vermessen der Unfallstelle mit Lasermessgerät und ganz klassisch per Maßband.

    Durch den Aufprall wurden die beiden Fahrzeuge in den Graben geschleudert

    Die Unfallspuren auf der Straße werden markiert und mit Fotos dokumentiert. Nach und nach zeichnet sich ab, was hier passiert ist. Doch erst nach der Aussage einer neutralen Zeugin wird es wirklich klar – und die erste Annahme, dass die beiden Autos frontal kollidiert sind, bestätigt sich nicht. Vielmehr hatte der 42-Jährige nach rechts über einen Radweg auf einen Feldweg abbiegen wollen. Zwei Fahrzeuge dahinter warteten. Das bemerkte der 71-jährige Fahrer eines Minivans aber zu spät. Um nicht auf die anderen Wagen zu knallen, leitete er eine Vollbremsung ein und fuhr nach rechts über eine Grünfläche auf den Radweg – wo sein Fahrzeug in die hintere Beifahrerseite des abbiegenden

    Der Aufprall war so heftig, dass beide in den angrenzenden Graben geschleudert wurden. Hätte auf der Rückbank des abbiegenden Wagens jemand gesessen, wäre die Person womöglich getötet worden. Und wäre das andere Fahrzeug in den vorderen Bereich "eingeschlagen", wäre der Unfall wohl auch alles andere glimpflich ausgegangen. "Millisekunden können über Leben oder Tod entscheiden", sagt Alexander Leisenberger.

    Schwerer Verkehrsunfall bei Balzhausen auf der Staatsstraße 2525 mit mehreren Verletzten. Ein Abschleppunternehmen transportiert die Wracks ab.
    Schwerer Verkehrsunfall bei Balzhausen auf der Staatsstraße 2525 mit mehreren Verletzten. Ein Abschleppunternehmen transportiert die Wracks ab. Foto: Christian Kirstges

    Die zwei Insassen des abbiegenden Wagens mussten von der Feuerwehr daraus befreit werden, das Dach wurde dazu abgetrennt. Im Minivan waren sieben Personen, die in einem "Sammeltransport", wie es die Polizei in ihrem späteren Pressebericht bezeichnet, auf dem Nachhauseweg von der Arbeitsstelle waren. Der Fahrer im abbiegenden Auto wurde mittelschwer verletzt, die Beifahrerin ebenfalls. Sie kam wie die fünf leicht Verletzten im Minivan mit Rettungswagen in Krankenhäuser. Insgesamt entstand ein Sachschaden von rund 30.000 Euro. Was sich etwas später herausstellte: Die Kennzeichen aus dem Landkreis Unterallgäu am abbiegenden Auto waren manipuliert. Denn sie trugen keine Siegel des zuständigen Landratsamtes in Mindelheim, sondern der Landeshauptstadt München. So etwas erlebt auch die

    Die Schreibtischarbeit beschäftigt die Polizei immer länger

    Was jetzt auf die Beamten zukommt, begeistert sie nicht: Der Unfall muss mit allen Details dokumentiert werden. Auf der einen Seite, sagt Schedel, erleichtere der Computer einem schon die Arbeit im Vergleich zu früher mit der Schreibmaschine. Dafür müsse immer mehr aufgeschrieben werden. So gibt es beispielsweise bei Vermisstenfällen ein siebenseitiges Formblatt und eine sechsseitige Checkliste, auf der alle Maßnahmen zu notieren sind. "Man muss sich immer häufiger rechtfertigen, ob die Polizei auch alles richtig macht", sagt der Erste Polizeihauptkommissar, wenngleich die Leute hier auf dem Land noch respektvoller seien.

    Seit den frühen 90ern ist er dabei, seither habe sich vieles verändert. Er sieht seinen Beruf noch immer im Zeichen des "Freunds und Helfers", doch es werde zunehmend schwierig, mit gewissen Bürgern umzugehen. Sein Motto sei da: Lieber fünf Minuten mehr reden als nach einem Widerstand zwei Stunden einen Bericht schreiben. Meistens funktioniere das ganz gut. Auf der anderen Seite würden sich viele auch für die Arbeit bedanken. Er könne Dienst und Privatleben gut trennen, doch die Kollegin und der Kollege, denen nach dem Schusswaffengebrauch im Frühjahr in Krumbach in den sozialen Netzen viel Kritik entgegenschlug, belaste das noch immer. Da sei es wichtig, intern zu harmonieren.

    Schneller Wechsel auf der Dienststelle

    Die Spätschicht, die von 13 bis 19 Uhr dauert, ist für Leisenberger und Müller fast vorbei. Knapp zweieinhalb Stunden war die Staatsstraße gesperrt. Nun sind sie auf dem Rückweg und hoffen, sich bis zum Dienstschluss nur noch dem Bericht widmen zu müssen. Doch per Funk kommt der nächste Auftrag: In einem Waldstück im Bereich Waltenhausen wurde ein Arbeitsunfall gemeldet. Ein Notarztfahrzeug und ein Rettungswagen waren ihnen bereits begegnet – die Vorahnung, dass es auch ein Einsatz für sie werden könnte, hatten sie. Weil es für die Polizei in diesem Fall aber nicht ganz so drängt, bleibt noch Zeit, kurz zurück zur PI zu fahren. Müller wird den Bericht tippen, für sie übernimmt Torsten Schiefele. Er hatte sich in der Schicht bislang um das Telefon, das Funkgerät und die "Besucher" gekümmert, die Anzeigen erstatten oder etwas fragen wollten.

    Polizeimeisterin Jana Müller dokumentiert den Unfall bei Balzhausen.
    Polizeimeisterin Jana Müller dokumentiert den Unfall bei Balzhausen. Foto: Christian Kirstges

    Erst eine Nachfrage bei der Einsatzzentrale vermittelt einen groben Eindruck davon, wo der Unfallort sein könnte. Im Wald gibt es schließlich keine Hausnummern. Als sie den Rettungswagen sehen, biegt Leisenberger in das Waldstück ein. Nach einem kurzen Gespräch mit den Sanitätern und dem Notarzt ist klar: Zum Glück war der Arbeitsunfall nicht so schwer. Zwei befreundete Waldbesitzer waren mit Baumfällarbeiten beschäftigt. Als ein 70-Jähriger mit einem kleinen Schlepper ohne Führerhaus zwei dünne Bäume hinter sich herzog, fuhr er mit den linken Rädern über einen kleinen Baumstumpf. Durch die Erschütterung wurde der Mann aus dem Sitz geworfen und geriet mit beiden Beinen unter die Räder des Schleppers. Kurzzeitig war er nicht bei Bewusstsein, wurde aber nur leicht verletzt. Zur Beobachtung muss er trotzdem ins Krankenhaus. Der andere Waldbesitzer macht sich Vorwürfe. Leisenberger und sein Kollege versuchen, ihn zu beruhigen.

    Ein Krumbacher Polizist ist Teil der Verhandlungsgruppe des Präsidiums Schwaben Süd/West

    Der Dienst ist nun fast vorbei, die bis 6 Uhr dauernde Nachtschicht übernimmt gleich. Der Wechsel Spät-Früh-Nacht und dann zwei Tage frei ist seit Corona fest vorgegeben, soll aber bald wieder gelockert werden, sodass man sich auch mal eine Schicht raussuchen kann. Während Leisenberger sich schon verabschieden kann, kommt seine 24-jährige Kollegin erst kurz nach 20 Uhr raus. So lange hat es gedauert, den Unfall auf der Staatsstraße zu protokollieren.

    Die Dienststelle hat eine Schleuse, in der Besucher warten müssen. Hinter Sicherheitsglas nimmt ein Beamter Kontakt auf, hier Polizeioberkommissar Siegfried Schwarz.
    Die Dienststelle hat eine Schleuse, in der Besucher warten müssen. Hinter Sicherheitsglas nimmt ein Beamter Kontakt auf, hier Polizeioberkommissar Siegfried Schwarz. Foto: Christian Kirstges

    Inzwischen ist unter anderem Polizeioberkommissar Siegfried Schwarz als Ablöse eingetroffen. Er hat noch einen "Nebenjob": Er gehört der Verhandlungsgruppe des Präsidiums an. Wann immer eine Geiselnahme, bevorstehender Suizid oder etwas dergleichen gemeldet wird, kommen die speziell geschulten Kräfte zum Einsatz. Seit 2017 ist Schwarz hier dabei. Bevor er nach Krumbach kam, war der 46-Jährige 19 Jahre lang beim Unterstützungskommando (USK) in Dachau, der Vorstufe zum Spezialeinsatzkommando SEK, wie er sagt. Meistens werde er in seiner Freizeit alarmiert, 20 bis 30 Einsätze gebe es im Jahr für die Gruppe. Jedes Mitglied werde bei jedem Einsatz im gesamten Präsidialbereich angefordert, letztlich könne man aber auch ablehnen – man hat schließlich auch mal Urlaub oder private Termine. So sei er in etwa bei der Hälfte der Einsätze dabei. Gerade wird eine hauptamtliche Verhandlungsgruppe bei der Polizei in Bayern aufgebaut, die aber eher unterstützenden Charakter haben werde.

    Wenn Vollmond ist, hat die Polizei häufig viel zu tun

    An diesem Abend ist bislang nicht viel los. Die Streife, die gerade draußen ist, kümmert sich um eine Ruhestörung in Breitenthal und einen Unfall. Zwei Wildunfälle können an die zuständigen Jagdpächter abgegeben werden. Zu einem Einbruchalarm in einem Krumbacher Supermarkt müssen jedoch Kollegen aus Burgau und Weißenhorn sowie ein Diensthundeführer fahren – denn wie schon während der Spätschicht ist auch jetzt nicht genügend Personal da, um mehr als eine Streife auf die Straße zu bekommen. Schnell stellt sich heraus: Fehlalarm. Später muss noch ein Schwertransport begleitet werden. Auch in der Umgebung ist es verhältnismäßig ruhig, wie im Funk zu hören ist. Schließlich ist nicht Vollmond – dann sei besonders viel zu tun, weiß Schwarz. Zumindest das sei eine gewisse Konstante. Seit Corona könne man nicht mehr vorhersagen, an welchem Tag es besonders stressig werden könnte.

    Lesen Sie in der nächsten Folge, welche Fälle die Kriminalpolizei besonders beschäftigen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden