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Polizei-Serie: Neu-Ulmer Kripo-Chef: "Haben im Fall Popa alles genutzt, bis hin zu XY"

Polizei-Serie

Neu-Ulmer Kripo-Chef: "Haben im Fall Popa alles genutzt, bis hin zu XY"

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    So sieht die bekannte "Marke" der Kriminalpolizei aus. Allerdings wird sie eher nur intern verwendet. Gegenüber den Bürgern weisen sich die Beamten mit ihrem Dienstausweis aus.
    So sieht die bekannte "Marke" der Kriminalpolizei aus. Allerdings wird sie eher nur intern verwendet. Gegenüber den Bürgern weisen sich die Beamten mit ihrem Dienstausweis aus. Foto: Alexander Kaya

    Sie ist da, um die Bürger zu schützen. Doch Polizisten werden zunehmend nicht mehr als Freund und Helfer wahrgenommen. Sie werden immer häufiger beleidigt und verletzt. Gerade in sozialen Medien wird ihre Arbeit kritisiert - wie nach einem Schusswaffengebrauch in Krumbach. Doch wie arbeiten die Beamten? Wie werden sie ausgebildet? Und was machen die ständigen Attacken mit ihnen? Ein Blick hinter die Kulissen der Polizei im Landkreis Günzburg.

    Herr Graf, welcher Fall aus dem Landkreis Günzburg hat die Kriminalpolizei Neu-Ulm in den vergangenen Monaten am meisten beschäftigt

    Robert Graf: Der Vermisstenfall beziehungsweise das vermeintliche Tötungsdelikt Constantin Popa aus Kötz. Nach wie vor bekommen wir Hinweise, noch sind nicht alle Ermittlungsansätze abgeschlossen. Außerdem die Explosion am Günzburger Bahnhof, bei der wir brutales Glück hatten, dass keiner schwerer verletzt wurde. Ein Leck in einer Gasleitung hatte ja dazu geführt.

    Wie viele Beamte waren mit dem Fall Popa betraut?

    Graf: In der Hochphase bis zu zehn, jetzt noch zwei. Über die Monate wurden alle Spuren geprüft, sodass sich die Kollegen nicht mehr nur darum kümmern. Aber bei einem passenden neuen Ansatz würden wir wieder eine Ermittlungsgruppe bilden, die sechs bis zehn Kollegen umfassen könnte und die sich dann wieder nur um diesen Fall kümmert. Insgesamt sind bei uns rund 50 Hinweise eingegangen.

    Geben Sie uns bitte einen Einblick: Wie arbeitet die Kripo?

    Graf: Nach Checklisten wird ein Fall bearbeitet, wobei jeder natürlich ganz individuell ist. Wenn man bei einem Vermisstenfall merkt, dass es wohl ein Tötungsdelikt ist, schwenkt man um. Aber wir brauchen einen roten Faden zur Orientierung.

    Herr Popa stammt ja nicht aus dem Landkreis, seine Angehörigen sind nicht hier. Wenn jemand hier lebt, seine Familie ist vor Ort, er ist vielleicht in einem Verein aktiv - hat das auch für die Polizei eine andere emotionale Dimension? Wenn man ständig mit den Angehörigen und Freunden gewissermaßen konfrontiert ist?

    Graf: Da kommt mit Sicherheit ein Stück emotionaler Druck dazu. Aber wir sind Profis, wir wollen jedes Delikt bestmöglich aufklären. Auch in diesem Fall haben wir alle Möglichkeiten genutzt, bis hin zur Fernsehsendung "Aktenzeichen XY".

    Robert Graf ist Chef der Kriminalpolizeiinspektion Neu-Ulm, die auch für den Altlandkreis Günzburg zuständig ist.
    Robert Graf ist Chef der Kriminalpolizeiinspektion Neu-Ulm, die auch für den Altlandkreis Günzburg zuständig ist. Foto: Alexander Kaya

    Wann entscheidet man sich eigentlich, mit "Y" an die breite Öffentlichkeit zu gehen?

    Graf: Man braucht in jedem Fall ein gutes Faktenwissen, um ihn im Fernsehen zu präsentieren. Auch muss man abwägen, was die Persönlichkeitsrechte angeht, und die Schwere des Delikts spielt eine Rolle. Und man muss davon ausgehen können, dass durch die Ausstrahlung Hinweise eingehen könnten, die einen weiterbringen.

    Wie sehr können Ermittlungen Sie und Ihre Kollegen belasten, gerade wenn man einen Fall zunächst nicht aufklären kann - etwa wenn jemand vermisst wird und die Ungewissheit für die Angehörigen groß ist? Wie gehen Sie damit um?

    Graf: Die von Ihnen geschilderten Fälle können natürlich auch die Ermittler persönlich stark belasten. Wir helfen uns in der Gemeinschaft in vielen Gesprächen. In wenigen Ausnahmefällen sind professionelle externe Hilfen notwendig. Es gibt auch polizeiinterne Seminare, welche den Umgang mit Belastungserfahrungen zum Inhalt haben. Die einzelnen Sachbearbeiter tauschen sich generell sehr häufig im Kollegenkreis aus. Aus Fürsorgegründen haben in diesen Fällen die direkten Vorgesetzten, aber auch ich dann ein Auge darauf. Die Familien geben sicherlich oft einen Rückhalt in belastenden Situationen. Bei herausragenden Verfahren ist es auch üblich, eine sogenannte "Parallelbewertung" von einer zunächst unbeteiligten Kriminaldienststelle einzufordern beziehungsweise darum zu bitten. Die Kollegen haben dann nochmals einen unvoreingenommenen Blick auf bereits getätigte Maßnahmen und Ermittlungen. Vielleicht ergibt sich von dieser Seite dann ein weiterer Ermittlungsansatz. Für den Sachbearbeiter ist die Parallelbewertung natürlich auch hilfreich, denn er hat dann quasi mehr Sicherheit, dass nicht nur er der Meinung ist, alles erdenklich Mögliche getan zu haben, sondern auch weitere erfahrene Kollegen einer anderen Dienststelle. Die Kriminalpolizei Lindau hat den Fall Popa "parallel" bewertet, ohne weitere Ermittlungsansätze zu erkennen.

    Wie beginnt überhaupt ein Fall für die Kripo?

    Graf: Für mich meistens mit einem Anruf auf dem Privathandy, wenn irgendjemand von den Kollegen anruft. Dann läuft die Alarmierungskette an, wir bilden Ermittlerteams. Bei einer Sonderkommission sind es mehr als 20, bei einer Ermittlungsgruppe ein paar weniger. Ins Spiel kommen auch die jeweiligen Fachkommissariate.

    Sind Sie dann eher draußen oder läuft die meiste Arbeit für Sie am Schreibtisch?

    Graf: Zu 95 Prozent oder mehr am Schreibtisch. Leider. Ich möchte schon gerne noch mit anpacken. Aber ein Fan des Tatorttourismus bin ich nicht. Da wäre ich nur einer mehr, der da rumtrappt. Ich habe meine Leute draußen und kann mir auch anhand der Akten ein Bild machen.

    Schauen Sie sich eigentlich Krimis an?

    Graf: Nur selten, die sind mir einfach zu unrealistisch. Da wird fleißig DNA am Tatort verteilt und später landet man einen DNA-Treffer bei einem Verdächtigen. Da wird verhört, ohne den Beschuldigten über seine Rechte zu belehren - bei manchen Vernehmungen muss inzwischen sogar immer ein Pflichtverteidiger dabei sein und alles auf Video aufgenommen werden. Administrative Tätigkeiten wie Aktenvermerke oder Zwischenberichte an die Staatsanwaltschaft kommen im Krimi auch eher selten vor, dabei machen sie einen großen Teil der Arbeit aus. Und ich würde auch nie in ein Tütchen mit Drogen fassen, um zu testen, was drin ist. Womöglich ist was zusammengepanscht worden, das lebensgefährlich ist. Auch wird da ständig die Waffe gezogen, was bei uns zum Glück kaum vorkommt. Mir fällt kein Krimi ein, der wirklich realistisch ist.

    Robert Graf ist Chef der Kriminalpolizeiinspektion Neu-Ulm, die auch für den Altlandkreis Günzburg zuständig ist.
    Robert Graf ist Chef der Kriminalpolizeiinspektion Neu-Ulm, die auch für den Altlandkreis Günzburg zuständig ist. Foto: Alexander Kaya

    In manchen Krimis ist immer der Kriminaldauerdienst, der KDD, zuerst vor Ort. Das ist aber realistisch, oder?

    Graf: Ja, das ist so. Wir müssten ja mitunter erst aus der Freizeit kommen, bis man sich dann privat organisiert hat, vergeht etwas Zeit. Die Kollegen, die richtig gut sind, übernehmen dann die erste Weichenstellung. Bis jemand vom Fachkommissariat da ist. Dann stimmt man sich fortlaufend am Telefon ab. Denn wenn am Anfang ein Fehler gemacht würde, könnte er uns unwiderruflich Probleme bringen. Wirklich zuerst da ist aber normalerweise die Schutzpolizei. Schließlich ist der Kriminaldauerdienst, der in Memmingen sitzt, für das komplette Dienstgebiet des Präsidiums zuständig. Wenn etwa jemand gestorben ist und die Schutzpolizei kommt, verständigt sie einen leichenschauenden Arzt. Geht dieser von einer ungeklärten Todesursache aus, kommt der KDD ins Spiel. Er macht dann die polizeiliche Leichenschau und informiert beim Verdacht eines Tötungsdeliktes den Leiter der Kripo oder den Kommissariatsleiter. Dann geht die erwähnte Alarmierungskette los.

    Wie beurteilen Sie aus kriminalpolizeilicher Sicht den Landkreis Günzburg? Wie sicher lebt man hier?

    Graf: Sehr sicher. Nichtsdestotrotz kommt es natürlich auch hier zu schweren Straftaten, aber es gibt dabei keine Auffälligkeiten oder Häufungen. Da sind alle Delikte dabei, auch harte Drogen - dazu gab es ja zuletzt mehrere Gerichtsprozesse. Wie überall haben auch Fälle von Internetkriminalität zugenommen, und Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, etwa Kinderpornografie. Seit es mehr Stellen gibt, die das Internet überwachen, haben wir eine massive Steigerung dieser Fälle, auch durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Und wenn Telemediendienstanbieter verpflichtet werden, auch da drauf zu schauen, könnten es noch mehr werden.

    Das ist die Kripo in Neu-Ulm

    Die Kriminalpolizeiinspektion (KPI) Neu-Ulm betreut eine Gesamtfläche von 972 Quadratkilometern und gut 250.000 Einwohner.

    Der Zuständigkeitsbereich im Bereich der Sachbearbeitung umfasst die Landkreise Neu-Ulm und Günzburg, hier aber ohne das Gebiet des ehemaligen Landkreises Krumbach.

    Die Beamten kümmern sich um schwere und schwerste Delikte sowie um vermeintlich kleinere Fälle, die aber ein großes Ausmaß etwa bei der Schadenssumme haben und ein öffentliches Interesse. Grob gesagt: Wo der Schutzpolizei die Expertise fehlt, kommt die Kripo ins Spiel, wenngleich man sich gegenseitig hilft.

    Übergeordnet ist das Polizeipräsidium. In Neu-Ulm gibt es ebenfalls die KPI Z, die Kriminalpolizeiinspektion mit Zentralaufgaben, unter anderem zuständig für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sowie religiös motivierte Taten. In den Polizeiinspektionen gibt es keine Kriminal-, dafür aber Ermittlungsbeamte in zivil.

    Wenn Sie dann nach zum Teil langen Ermittlungen sehen, wie die Strafen bei Gericht ausfallen - sind Sie damit zufrieden?

    Graf: Überwiegend stehen die Strafen der Justiz im Einklang mit der Realität. Aber es gibt immer mal wieder Fälle, bei denen man ein Urteil für zu milde hält, und manchmal überrascht einen die Härte der Entscheidung. Man braucht bei der Schutzpolizei und auch bei der Kripo ein hohes Maß an Frustrationstoleranz. Wenn man über Monate das Vermögen eines Verdächtigen ermittelt und die Justiz es dann nicht abschöpft, ist da eine gewisse Enttäuschung dabei. Aber dann muss es wieder weitergehen. Wir sind auch mit dem Gesetzgeber nicht immer zufrieden, so lehnen er und Teile der Gesellschaft ja die Vorratsdatenspeicherung ab. Wenn man dann schwerste Kriminalität inklusive Kindesmissbrauchs nicht richtig bekämpfen kann, weil man nicht mehr an die Daten kommt, ist das schwierig. Denn Repression ist ja auch Prävention.

    Verfolgen Sie den Ausgang der Gerichtsverfahren?

    Graf: Bei großen Verfahren schaue ich schon, was daraus wird, aber nicht bei jedem Prozess.

    Wie viele Beamte sind denn bei einem Fall wie den vier jungen Männern aus dem Landkreis Günzburg, die vor einiger Zeit vor Gericht standen wegen der Einfuhr von Kokain, beteiligt?

    Graf: In diesem Fall dauerten die Ermittlungen mehrere Monate. Zwei Kollegen waren ausschließlich damit beschäftigt, sporadisch bis zu vier weitere meiner Dienststelle, etwa wenn es um Observationen ging.

    Die Kriminalpolizeiinspektion Neu-Ulm kümmert sich auch um den Altlandkreis Günzburg.
    Die Kriminalpolizeiinspektion Neu-Ulm kümmert sich auch um den Altlandkreis Günzburg. Foto: Alexander Kaya

    Wie viele Kriminalbeamte sind bei der Kripo Neu-Ulm beschäftigt?

    Graf: Die genaue Zahl möchte ich aus taktischen Gründen nicht nennen, aber sie liegt im mittleren zweistelligen Bereich. Hinzu kommt eine weitere Kriminalpolizeiinspektion, nämlich die mit Zentralaufgaben. Sie kümmert sich etwa um die Organisierte Kriminalität.

    Angesichts immer neuer Aufgaben und Fälle klingt das nicht nach viel. Kommen Sie damit über die Runden?

    Graf: Wir kriegen es immer irgendwie hin, denn alle Kollegen sind hochengagiert. Wir sind manchmal aber am Rande des Leistbaren, wenn beispielsweise in einer Woche 25 neue Verfahren wegen Kinderpornografie reinkommen. Und mit Internetkriminalität, den verschiedenen Formen des Callcenter-Betrugs und vielem mehr gibt es immer neue Formen der Kriminalität. Wir bräuchten also Zuwachs beim Personal, was ja vielen Dienststellen so geht. Es wäre enorm wichtig, wenn durch das Stellenprogramm des Innenministeriums bis 2025 neue Leute kämen. Da hoffen wir drauf.

    Wie lang ist im Schnitt Ihr Arbeitstag?

    Graf: Ich komme gegen 7 Uhr und versuche, gegen 17 Uhr Feierabend zu machen - wenn denn nichts Aktuelles reinkommt. Aber es passiert nicht selten, dass ich am Wochenende zum Grillen verabredet bin und das Steak dann eben abends kalt esse.

    Merken Sie, dass die Menschen immer kritischer werden, was die Arbeit der Polizei angeht, und besser wissen wollen, wie Sie zu arbeiten haben?

    Graf: Wir hatten immer schon bessere Ermittler, im Krimi sieht man ja, wie es laufen muss. Aber darum geht es weniger. Wir haben auch viel mit Juristen zu tun. Mit einem Augenzwinkern gesagt: Die mögen keine Menschen und haben gerne Recht. In der Gemeinschaft erträgt man vieles. Die Schutzpolizei ist da sicherlich in größerem Ausmaß Gewalt, Beleidigung und fehlendem Respekt ausgesetzt. Das berichten gerade junge Kollegen, die zu uns kommen. Aber man darf nicht vergessen, dass die Ausbildung bei der Polizei immer stärker auf Kommunikation und Deeskalation ausgerichtet wird - wenngleich es da eine Grenze gibt. Irgendwann gibt es einen Punkt, an dem nur die Deeskalation durch Stärke hilft.

    Vorfälle wie bei der Polizei in Ulm, wo zwei Beamten eine Freiheitsstrafe und die Suspendierung droht, weil sie nach einem Einsatz gegen einen Afrikaner gelogen haben sollen, erleichtern die Kommunikation aber nicht gerade.

    Graf: So etwas zerstört das Image und das Vertrauen. Wer sich nicht an wichtige Regeln hält, hat bei der Polizei nichts verloren. Wir sind aber auch nur ein Querschnitt der Gesellschaft, und wenn sich zum Beispiel von 42.000 Polizisten in Bayern 20 nicht korrekt verhalten, kann man durchaus von Einzelfällen sprechen - gegen die man mit allen Konsequenzen vorgehen muss.

    Zur Person Kriminalrat Robert Graf ist 44 Jahre alt, verheiratet und Vater dreier Kinder. Seit 1996 ist er bei der Polizei, seit Oktober 2019 leitet er die Kriminalpolizeiinspektion (KPI) Neu-Ulm. Sie ist zuständig für den Landkreis Neu-Ulm und den Altlandkreis Günzburg. Schwerste Straftaten aufzuklären und Kriminalität zu bekämpfen, ist für ihn die Motivation, bei der Kripo zu arbeiten. Das in leitender Funktion tun zu können, ist für ihn ein Traumjob.

    Lesen Sie in der nächsten Folge, wie die Hubschrauberstaffel der Landes- und Bundespolizei arbeitet.

    Ergänzung zur letzten Frage: Die beiden Polizisten wurden inzwischen freigesprochen.

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