Cannabis als Schmerztherapie – wer sich eine solche Behandlung als Außenstehender vorstellt, denkt zwangsläufig an verrauchte Zimmer und selig vor sich hin grinsende Patienten, die ihre Schmerzen vor lauter Entspannung ganz vergessen haben. Die Realität sieht anders aus. „Ich habe heute schon fünfmal Cannabis geraucht – merkt man mir etwas an?“, fragt Stefan Langer, Mitbegründer der Bavaria Weed GmbH und Standortleiter der Niederlassung in Leipheim. In der Tat wirkt der 40-Jährige völlig nüchtern.
Langer konsumiert Cannabis seit mehr als zehn Jahren
Das Unternehmen beliefert aktuell rund 6000 Apotheken in ganz Deutschland mit medizinischem Cannabis, das, anders als das auf der Straße gehandelte Marihuana, frei ist von Bakterien, Schimmel und Schwermetallen. Cannabis der Straße werde von den Käufern genutzt, um sich zu berauschen, während medizinisches Cannabis gezielt helfen soll, Krankheiten zu lindern. Das kann Langer aus eigener Erfahrung bestätigen. Denn er konsumiert Cannabis seit über zehn Jahren.
Der Grund dafür ist seine ADHS-Erkrankung (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung). Er habe während seiner Studienzeit im Nachtleben „Schneisen durch München gezogen“, habe nicht zur Ruhe kommen können. Das zog auch Schlafprobleme nach sich. Mit Mitte 20 rauchte Langer seinen ersten Joint – und spürte die positive Wirkung sofort. „Ich bin ganz ruhig geworden, konnte ins Bett gehen und direkt schlafen.“ Als er es das nächste Mal probierte, half es nicht ganz so gut. Das weckte Langers Neugier. Er startete ein Experiment an sich selbst, konsumierte regelmäßig, um herauszufinden, was am besten gegen seine Symptome half.
Marihuana wird aus Kanada und Portugal importiert
Inzwischen gibt es kaum etwas, was Langer nicht über Cannabis weiß. So ist ihm auch längst klar, warum die Effekte des Konsums sich jedes Mal ein wenig unterscheiden: Schuld sind die sogenannten Terpene. Insgesamt gibt es sechs Hauptterpene, jedes davon mit eigenen Unterstoffen. Es handelt es sich um natürliche Verbindungen der Cannabispflanze, die für den unterschiedlichen Geschmack, Duft und vor allem die medizinische Wirkung verantwortlich sind.
Bavaria Weed selbst baut kein Cannabis an, sondern importiert die Blüten aus Portugal und Kanada. Die Hanf-Pflanze enthält mehr als 100 verschiedene Wirkstoffe, die zusammenspielen. In Leipheim werden ab Mitte des kommenden Jahres die wichtigsten davon entnommen und miteinander kombiniert. Im Moment bietet Bavaria Weed ausschließlich ganze Blüten zur Inhalation oder Teezubereitung an.
Das passiert im Bunker:
Bis Ende dieses Jahres werden acht verschiedene Sorten des medizinischen Cannabis verfügbar sein. Damit könne man die meisten Symptome sehr gut abdecken, erklärt Experte Langer.
Mit psychischen Vorerkrankungen kann Cannabis auch negativ sein
Und jede Sorte hat ihren eigenen Wirkstoff. Er selbst nutzt zwei verschiedene, je nachdem, welchen Zweck sie erfüllen sollen. So raucht der 40-Jährige tagsüber eine Variante, die ihm hilft, sich besser zu fokussieren und weniger herumzuzappeln, was ihn besonders bei der Arbeit enorm unterstützt. Abends dagegen konsumiert er eine Sorte, die ihm beim Einschlafen hilft. „Man kann wie mit einem Skalpell genau da ansetzen, wo es hilft.“
Das gilt jedoch nicht für jeden: „Wenn psychische Vorerkrankungen bestehen, könnte der Cannabis-Konsum auch Öl ins Feuer schütten“, warnt Langer.
Doch er selbst profitiert enorm davon. „Es ist schon ein Vorteil, selbst zu wissen, wie gut Cannabis helfen kann.“ Auch unter seinen Mitarbeitern, in Leipheim sind es 18, sind einige, die selbst von ADHS betroffen sind. „Ein normaler Mensch würde in unseren Besprechungen wahrscheinlich durchdrehen“, sagt Langer und lacht. „Der eine schraubt den Kugelschreiber auseinander, der nächste baut ihn wieder zusammen – es ist immer etwas in Bewegung.“
Cannabis ist keine Einstiegsdroge
Davon, dass Marihuana in Deutschland oftmals als Einstiegsdroge bezeichnet wird, hält Langer nichts. Cannabis an sich mache nicht abhängig und auch keine „Lust auf härtere Drogen“, betont er. Vielmehr sei es etwa in Kanada sogar als Ausstiegsdroge bekannt. „Ich denke, das Problem besteht beim illegalen Handel. Konsumenten kaufen in irgendwelchen dunklen Ecken Marihuana und in solchen Szenen werden dann auch härtere Drogen angeboten.“ Er selbst sagt von sich, dass er nicht wisse, wo er ohne Cannabis heute wäre. Es habe ihn zwar nicht geheilt. „Aber eine Krankheit ist nur eine Krankheit, wenn sie einen belastet. Mit Cannabis wird mein ADHS zu einer gewaltigen positiven Kraft.“
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