Startseite
Icon Pfeil nach unten
Günzburg
Icon Pfeil nach unten

Leipheim: Ein Jahr mit Spezialanzug: So geht es Annalisa Ventura mit der MS-Erkrankung

Leipheim

Ein Jahr mit Spezialanzug: So geht es Annalisa Ventura mit der MS-Erkrankung

    • |
    Seit einigen Jahren ist die zweifache Mutter auf den Rollstuhl angewiesen, da sich ihre MS-Erkrankung verschlechtert hat. Doch sie gibt nicht auf, wie sie beim Gardetraining beweist.
    Seit einigen Jahren ist die zweifache Mutter auf den Rollstuhl angewiesen, da sich ihre MS-Erkrankung verschlechtert hat. Doch sie gibt nicht auf, wie sie beim Gardetraining beweist. Foto: Sophia Huber

    "Fünf, sechs, sieben acht!" – Annalisa Ventura zählt noch einmal ein. 18 Fußpaare hört man auf dem Hallenboden marschieren – mal mehr, mal weniger gleichzeitig. "Gleich noch mal! Hört auf mein Zählen", ruft Trainerin Ventura, die anderen sind mucksmäuschenstill. Sie ist die Einzige im Raum, die nicht mittanzen kann. Im Rollstuhl gibt sie die Anweisungen, anhand von Handbewegungen und Klatschen wissen die Gardemädchen genau, welcher Schritt wann kommt. 

    Die Mutter zweier Kinder ist seit 1988 Mitglied im Faschingsverein, tanzte in allen Garden, war Güssenprinzessin und trainiert seit vielen Jahren schon beim Leipheimer Haufen. Ihre Tochter Alessia ist als Nachwuchstrainerin zusammen mit ihrer besten Freundin Leevke heute im Einsatz, um ihre Mama zu unterstützen. Vor rund 18 Jahren wurde bei Annalisa Ventura aus Multiple Sklerose (MS), eine entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems, diagnostiziert. Jahrelang konnte sie gut mit der Krankheit leben, hat als Fremdsprachenkorrespondentin gearbeitet. Vor gut drei Jahren haben sich die Symptome massiv verschlechtert, inzwischen muss sie die Weiß-Blaue Garde vom Rollstuhl aus trainieren. Schon einmal durften wir Familie Ventura besuchen – damals in der Wohnung der Familie in Leipheim. Anlass war eine Spendenkampagne, die ihr half, einen besonderen Anzug, der 10.000 Euro kostet, zu finanzieren. Seit einem Jahr trägt sie ihn regelmäßig – und bemerkt erste Erfolge.

    Rund 20 Kinder sind in der Weiß-Blauen-Garde in Leipheim

    "Eigentlich habe ich heute keinen besonders guten Tag", gibt die fast immer gut gelaunte 47-Jährige zu Beginn der Stunde zu. In der Jahnhalle in Leipheim wärmen sich die 16 Gardemädchen im Alter von sechs bis zehn Jahren gerade mit den beiden Jungtrainerinnen auf, ein paar wenige sind heute krank, draußen regnet es in Strömen. "Das Wetter schlaucht mich heute sehr", erklärt Ventura. Warum genau die MS-Symptome dann schlimmer werden, kann sie sich auch nicht genau erklären. Abgesehen davon hatte sie heute Morgen schon Physiotherapie, kochte anschließend für ihre Kinder, danach ging es gleich weiter in die Jahnhalle, später noch zum Einkaufen. Der Alltag der Familie ist vollbepackt. Und die Mutter kann endlich wieder mehr daran teilnehmen. 

    Die elfjährige Alessia (im rosafarbenen T-Shirt) hilft ihrer Mutter beim Training der Weiß-Blauen Garde und macht die Schritte vor.
    Die elfjährige Alessia (im rosafarbenen T-Shirt) hilft ihrer Mutter beim Training der Weiß-Blauen Garde und macht die Schritte vor. Foto: Sophia Huber

    Sie lächelt, wenn sie erzählt, was sich seit dem Tragen des Anzugs verändert hat. "Eigentlich habe ich vorher bei allem Unterstützung gebraucht, jetzt kann ich zu Hause wieder mehr machen – und natürlich das Training am Freitag abhalten." Ungefähr alle drei Tage zieht sie den sogenannten Exopulse Mollii Suit an, dieser besteht aus einem Oberteil und einer Hose. Durch elektrische Signale sollen die geschwächten Muskeln stimuliert werden, für rund eine Stunde sollte man den Anzug tragen, danach verbessert sich laut Hersteller die Bewegungsfähigkeit. "Es hat sich sicherlich nicht auf einen Schlag verändert", blickt Ventura zurück. Doch ihr fallen Dinge ein, die noch vor einem Jahr nicht gegangen wären, etwa alleine nach unten zu gehen, um die Wäsche zu holen. Trotz des Anzugs ist die Leipheimerin weiter auf den Rollstuhl oder ihren Rollator angewiesen.

    Vorn zeigen Leevke und Alessia, wie es gehen soll. Trainerin Annalisa Ventura erklärt im Rollstuhl durch Handbewegungen die Schrittabfolge.
    Vorn zeigen Leevke und Alessia, wie es gehen soll. Trainerin Annalisa Ventura erklärt im Rollstuhl durch Handbewegungen die Schrittabfolge. Foto: Sophia Huber

    Trinkpause bei den Gardemädchen: "Annaaa, kannst du mir helfen", fragt ein Mädchen und streckt ihrer Trainerin ihre Trinkflasche entgegen, der Deckel geht nicht ab. Keine zehn Sekunden später sitzt eine andere aus der Gruppe auf ihrem Schoß. "Die Mädels haben keine Berührungsängste, trotz Rollstuhl", sagt Ventura und lacht. Sie ist froh um diese eineinhalb Stunden am Freitagabend, auch wenn sie anstrengender sind als früher. "Die Garde hat einfach schon immer zu meinem Leben gehört, und es ist ein Stück Normalität", erklärt sie, eine Art positiver Anker im Alltag. Während die 47-Jährige erzählt, hat ihre Tochter das Kommando wieder übernommen. Mit elf Jahren war sie selbst bis vor Kurzem noch in der kleineren Garde, inzwischen tanzt Alessia bei den Güssenfunken – oder übt mit den Mädchen den Russenkreisel, der gar nicht mal so leicht ist, vor allem für die, die neu dazugekommen sind. 

    Annalisa Ventura hat in den Alltag mit Multipler Sklerose gefunden

    Die Schritte für die neuen Choreografien hat sich Ventura zusammen mit der zweiten Trainerin, Isabel Giesenberg, zu Hause überlegt. "Wir schreiben den Tanz auf in Takten", erklärt Ventura. Obwohl sie es nicht mittanzen kann, hört sie genau, an welcher Stelle ein Spagat, ein Kreis oder Ähnliches kommt. "Isabel und ich verstehen uns so gut, dass sie sofort weiß, was ich meine." Und auch die Kinder checken sofort, welcher Schritt es ist, wenn Annalisa Ventura bestimmt Hand- und Fingerbewegungen macht. Bevor sie ihre Tochter und deren Freundin bei den Übungen weiter unterstützt, fällt ihr noch eine positive Sache ein, die sich seit dem letzten Besuch verändert hat. Sie strahlt und sagt: "Ich darf bald wieder Auto fahren." 

    Auch Mann Francesco hat Annalisa am Freitag beim Training besucht. Er ist stolz, wie seine Ehefrau ihr Schicksal meistert.
    Auch Mann Francesco hat Annalisa am Freitag beim Training besucht. Er ist stolz, wie seine Ehefrau ihr Schicksal meistert. Foto: Sophia Huber

    Ihr Mann und sie haben ein Auto mit Handbetrieb gefunden und gekauft, statt einer Kupplung gibt es einen Knüppel am Lenkrad. "Es ist eine Umstellung, aber ich freu' mich so." Anfang Juni habe sie noch eine praktische Prüfung, um zu schauen, ob alles klappt, dann darf sie selbst wieder Auto fahren. Hinten passt sogar der Rollstuhl rein. "Das hat mich wirklich mit am meisten belastet, das ich nicht einmal meine Tochter alleine zum Ballett nach Günzburg fahren konnte", gibt sie zu. "Ein weiteres Stück Freiheit." 

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden