Startseite
Icon Pfeil nach unten
Günzburg
Icon Pfeil nach unten

Landkreis Günzburg: Polizisten im Kreis Günzburg werden immer häufiger beleidigt und attackiert

Landkreis Günzburg

Polizisten im Kreis Günzburg werden immer häufiger beleidigt und attackiert

    • |
    Polizisten werden immer häufiger Opfer verbaler Attacken – auch körperliche Angriffe sind keine Seltenheit.
    Polizisten werden immer häufiger Opfer verbaler Attacken – auch körperliche Angriffe sind keine Seltenheit. Foto: Alexander Kaya (Symbolfoto)

    Ein Betrunkener hat einen Polizisten in Kötz bei einem Einsatz mit einem Kopfstoß schwer verletzt und wurde jetzt unter anderem zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. In Augsburg sind mehrere Beamte sowie eine Wirtin und ihre Mutter bei einem Einsatz auf der Maximilianstraße verletzt worden; Umstehende solidarisierten sich mit den Frauen, warfen Tische und Stühle um, skandierten „Polizeigewalt“ – die beiden ebenfalls verletzten Frauen wurden nun angeklagt. In Berlin wurden dutzende Polizisten bei den Corona-Demos Ende August verletzt, auch Demonstranten. Gewalt gegen Polizeibeamte macht zunehmend Schlagzeilen – und nach den Worten von Günzburgs Inspektionsleiter Stefan Müller sind die Dienststellen im Landkreis und gerade in der Kreisstadt im Bundesvergleich hier vorne dabei.

    Nach einer Auswertung des Präsidiums Schwaben Süd/West gab es im Jahr 2010 insgesamt 34 Gewaltdelikte gegen Polizisten der Inspektionen Günzburg, Krumbach, Burgau und der Autobahnpolizeistation Günzburg. Darunter fielen acht Beleidigungen. Im Jahr 2018 waren es 63 beziehungsweise 22 Fälle, 2019 stiegen die Zahlen auf 94 beziehungsweise 38 und in diesem Jahr gab es bereits 48 Gewaltdelikte, davon elf Beleidigungen. Präsidiumsweit – eine lokalere Auswertung sei nicht möglich – stieg die Zahl der Dienstausfalltage in Folge von Angriffen von 67 im Jahr 2015 auf 346 im vergangenen Jahr. In die Gewalt-Statistik fließen sowohl Fälle ein, in denen Polizisten aus heiterem Himmel angegangen werden als auch solche, bei denen sich Personen etwa gegen eine Überprüfung oder Festnahme wehren.

    Eine junge Polizistin findet die Zunahme der Respektlosigkeit "schockierend"

    Anhand dieser Zahlen, aber auch gefühlt, haben Beleidigungen und körperliche Angriffe auf Polizisten in der Region deutlich zugenommen, sagt Stefan Müller. Er findet das „erschreckend“. Vor allem, weil es sich hier nicht um eine spezielle Gruppierung handele, von der dies ausgehe. „Der allgemeine Werteverfall, die zunehmende Respektlosigkeit ist in der ganzen Gesellschaft wahrzunehmen.“ Und gerade wenn Kollegen länger unter den Folgen leiden, sei das natürlich besonders bitter.

    Auch Polizisten im Landkreis Günzburg tragen Bodycams an ihrer Uniform. Die Zahl der Geräte pro Dienststelle ist unterschiedlich.
    Auch Polizisten im Landkreis Günzburg tragen Bodycams an ihrer Uniform. Die Zahl der Geräte pro Dienststelle ist unterschiedlich. Foto: Christian Kirstges

    Isabel Schreck, 25, ist seit anderthalb Jahren mit der Ausbildung fertig, kommt aus Augsburg und arbeitet jetzt in der Inspektion Günzburg. Auch sie als junge Polizeikommissarin findet es „schockierend“, wie Kollegen angegangen werden, dass sich dann oft Unbeteiligte mit den Angreifern solidarisieren, Ausschnitte von Handyaufnahmen ins Internet stellen, welche Verachtung der

    Corona-Maßnahmen spielen auf dem Land keine Rolle bei zunehmender Aggression

    Problematisch ist, sagt Müller, dass vor allem Alkohol und Drogen – gerade Kräutermischungen – zu Ausrastern führten. Dann bringe die Kommunikation, auf die bei der Polizei immer größerer Wert gelegt wird, nicht mehr viel. Zu vernebelt sei das Gegenüber. Die Corona-Beschränkungen hingegen spielten zumindest hier auf dem Land keine Rolle bei der Aggression gegenüber den Repräsentanten des Staates. Eher sei es der zunehmende Verlust der Fähigkeit, Konflikte ohne Gewalt und Beleidigung auszutragen. Wie Schreck ergänzt, „sind wir bei den Corona-Maßnahmen auch mit viel Fingerspitzengefühl rangegangen“.

    Und Müller sagt, dass gerade am Anfang sich so viele Regeln verändert hätten, dass man nicht mit Sanktionen habe arbeiten können, weil viele den aktuellen Stand nicht gewusst hätten. Und das Konfliktpotenzial einer Partymeile wie der Augsburger Maximilianstraße, wo sich Hunderte im Freien versammeln, weil Clubs nicht öffnen dürfen, gebe es im Landkreis nicht.

    Lieber eine gründliche Analyse als Schnellschüsse von Politikern

    Nicht förderlich sei sicherlich so manche Aussage von Politikern, die nun im Licht der Proteste gegen Polizeigewalt in den USA und von einzelnen offenbar rechtsextrem gesinnten Kollegen hierzulande alle Polizisten unter Generalverdacht stellten.

    Stefan Müller, Leiter der Polizeiinspektion Günzburg.
    Stefan Müller, Leiter der Polizeiinspektion Günzburg. Foto: Bernhard Weizenegger (Archiv)

    Die Polizei sei ein Querschnitt der Gesellschaft, natürlich gebe es auch hier solche Fälle, aber sie seien nach seiner Ansicht kein generelles Problem. Lieber solle man das Thema gründlich analysieren, als mit einem Schnellschuss falsche Schlüsse zu ziehen. Auch die Kolumne in der Zeitung taz, in der Polizisten in angeblicher Satire mit Müll verglichen wurden, sei sicherlich nicht hilfreich.

    Die Bodycam ist für die Polizei und Justiz von großer Bedeutung

    Was hingegen hilfreich ist: die Bodycam. Die kleine Kamera, die Polizisten an der Uniform tragen und bei Bedarf einschalten können, sei sowohl von den Bürgern als auch von den Kollegen inzwischen akzeptiert, sagt der Inspektionsleiter. Im Oktober 2019 wurde sie hier eingeführt, die Dienststelle verfügt über vier davon. So kann jedes Streifenteam eine dabei haben. „Und viele halten sich dann doch eher zurück, wenn sie die

    Am Amtsgericht Günzburg gab es bislang nur ein Verfahren, bei dem die Bilder als Beweismittel genutzt wurden, erklärt Gerichtsdirektor Walter Henle. „Wir würden gerne öfter darauf zurückgreifen“, denn im Gegensatz zu Zeugenaussagen seien die Aufnahmen objektiv, weil sie unverfälscht und ungeschnitten ab dem Zeitpunkt des Einschaltens den gesamten Einsatz zeigten – und vor allem auch die Stimmung transportierten.

    Das sagen andere Polizei-Dienststellen im Kreis Günzburg

    Polizei Krumbach Wie viele Bodycams die Dienststelle hat, will Inspektionsleiterin Susanne Höppler nicht sagen – das tue sie aus einsatztaktischen Gründen bei der Zahl der Beamten ja auch nicht. Aber man habe genügend, und die Erfahrungen seien seit der Einführung im Oktober vergangenen Jahres positiv. „Die Akzeptanz bei den Kollegen ist hoch.“ Grundsätzlich stelle man auch auf der ländlichen Dienstelle fest, dass die Hemmschwelle für Aggression und Gewalt gegenüber der Polizei über die Jahre gesunken sei, gerade Alkohol spiele hier eine Rolle. Die Bodycam helfe dabei, sie zumindest etwas zu erhöhen. Sie trage zudem bei Gerichtsverfahren zur Aufklärung eines Sachverhalts bei – und auch die Bürger akzeptierten das Gerät. Zumindest habe sie nichts Gegenteiliges gehört, erklärt Höppler.

    Polizei Burgau Die Dienststelle verfügt über zwei Bodycams, die grundsätzlich jeder Kollege nutzen könne, sagt Inspektionsleiter Stefan Eska. Besondere Kriterien dafür gebe es nicht. Jeder, der wolle, könne sich aus dem Pool der beiden Geräte bedienen. Die Erfahrungen seien bislang positiv, bei einzelnen Widerstandshandlungen gegen die Beamten hätten sie sich als Beweismittel vor Gericht bewährt. Eine wirkliche Bilanz könne man aber erst ziehen, wenn das erste Jahr der Nutzung vorüber ist, also Ende November. Die beiden Geräte seien jedenfalls für die Inspektion ausreichend.

    Autobahnpolizei Alle Beamten im Außendienst können die eine Bodycam der Station nutzen. Die Kollegen berichteten, dass sie im einen oder anderen Fall hilfreich war, sagt Dienststellenleiter Werner Schedel. Doch besonders bei Personen, die unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen stehen, bringe sie zumindest dahingehend nicht so viel, dass die Hemmschwelle für Aggressivität oder Gewalt sinke. Schließlich seien die Sinne im Rausch vernebelt. Als Beweismittel vor Gericht sei das Gerät aber sinnvoll, Schedel hätte für die Autobahnpolizei gerne weitere Bodycams, wobei größere Dienststellen natürlich zuerst damit ausgestattet würden. (cki)

    Die Polizei habe bei der Justiz keinen Bonus oder Malus, aber er neige dazu, den Strafrahmen bei Angriffen auf die Beamten auszuschöpfen und möglichst auch ein Schmerzensgeld zahlen zu lassen. „Denn ich habe keinerlei Verständnis, wenn jemand seinen Dienst ausübt und dann angegriffen wird.“ Die Polizei, betont Stefan Müller, habe sich von der Justiz nichts zu wünschen, sie solle objektiv urteilen. Aber er sei zufrieden, wie sie mit den Fällen umgehe.

    Ohne Verstärkung geht es für die Polizei kaum noch

    Was der Inspektionsleiter auch beobachtet: Zunehmend reiche eine Streifenbesatzung nicht mehr, um in schwierigen Situation die Situation in den Griff zu bekommen. Dann müsse man Verstärkung anfordern. Die Polizei Günzburg habe zwar das Glück, normalerweise mindestens zwei Streifen auf die Straße zu bringen, in Burgau und Krumbach reiche es oft nur für eine. Aber mit der Hilfe von Dienststellen aus der weiteren Umgebung könne man eine Lage beruhigen – wenngleich die Zeit bis zum Eintreffen der Kollegen lang werden könne.

    Der Günzburger Amtsgerichtsdirektor Walter Henle.
    Der Günzburger Amtsgerichtsdirektor Walter Henle. Foto: Bernhard Weizenegger (Archiv)

    Auch in solchen Fällen werde ein Zuständigkeitsgebiet übrigens nie „entblößt“, die Polizei bleibe dann auch für andere Einsätze greifbar. So oder so könne keine Dienstelle jede Situation nur mit eigenen Kräften beherrschen, unabhängig von ihrer Größe. Sukzessive sollen sie bis zum Jahr 2025 mit neuen Beamten verstärkt werden. Das dauert noch etwas, weil die jungen Kollegen erst einmal fertig ausgebildet werden müssen.

    Polizisten als Redner bei Demos sieht der Inspektionsleiter kritisch

    Mit Strafen allein werde man jedenfalls keine Trendwende bei Angriffen herbeiführen. In vielen Fällen habe sich über die Jahre bei Angreifern etwas aufgestaut, was sich dann entlade. Mit Deeskalation und Kommunikation allein aber auch nicht. Es brauche ein gesellschaftliches Umdenken, wie man mit Konflikten umgeht. Die Justiz, sagt Henle, versuche auch mit sozialen Trainings und Entzugsprogrammen bei Alkohol und Drogen etwas zu bewirken.

    Was Kollegen angeht, sieht der Inspektionsleiter auch etwas kritisch: wenn sich jemand wie bei den Corona-Demos als Redner präsentiert und die staatlichen Maßnahmen kritisiert – und gar andere Beamte zum Widerstand auffordert. „Jeder Polizist hat das Recht auf eine freie Meinungsäußerung. Aber er hat auch eine Treuepflicht zur Verfassung und zum Dienstherrn.“ Und in die, sagt der Gerichtsdirektor, habe sich jeder, der im Öffentlichen Dienst arbeitet, freiwillig begeben.

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar von Christian Kirstges:

    Gewalt gegen Polizisten ist ein Angriff auf uns alle

    Das könnte Sie dazu auch interessieren:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden