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Landkreis Günzburg: Im Landkreis Günzburg kehren Gläubige der Kirche in Scharen den Rücken

Landkreis Günzburg

Im Landkreis Günzburg kehren Gläubige der Kirche in Scharen den Rücken

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    Seit Beginn dieses Jahres haben so viele Menschen wie selten im Landkreis Günzburg der Kirche den Rücken gekehrt.
    Seit Beginn dieses Jahres haben so viele Menschen wie selten im Landkreis Günzburg der Kirche den Rücken gekehrt. Foto: Silvio Wyszengrad (Symbolbild)

    Das Münchner Missbrauchsgutachten erschüttert die Kirche. Immer mehr Katholiken kehren ihr den Rücken, alleine beim Standesamt München sind Hunderte von Terminen für Kirchenaustritte gebucht. Auch im Landkreis Günzburg ist die Zahl der

    Nach der Vorstellung des Missbrauchsgutachtens für das Erzbistum München und Freising wollen ungewöhnlich viele Gläubige aus der Kirche austreten. So viele, dass die Landeshauptstadt inzwischen zusätzliches Personal einsetzen muss. So extrem ist die Lage am Standesamt Günzburg zum Glück noch nicht, die Termine für Kirchenaustritte lassen sich mit dem normalen Personal bewältigen. Aber "rekordverdächtig" findet Ulrich Peichel die Zahl schon, die er auf Nachfrage unserer Redaktion heraussucht: 58 Kirchenaustritte hat der Standesbeamte bis zum 7. Februar gezählt. Mitte Januar hätten die Anfragen zugenommen, Spitzentag sei der 25. Januar gewesen. Zum Vergleich: Im Januar 2021 war das Amt mit gerade mal 15 Austritten beschäftigt gewesen, im gesamten Jahr waren 208 Personen aus der Kirche ausgetreten. Mehr als ein Viertel davon sei jetzt schon nach fünf Wochen erreicht.

    Das Standesamt Ichenhausen verzeichnet 2022 schon 30 Kirchenaustritte

    Nicht besser sieht es in Ichenhausen aus. Während es zum selben Zeitpunkt vor einem Jahr nur acht Kirchenaustritte gab, verzeichnet das Ichenhauser Standesamt allein seit dem 1. Januar bis einschließlich 7. Februar 30 Austritte. Im gesamten vergangenen Jahr hatten 80 Gläubige der Kirche den Rücken gekehrt. Dass die Zahl jetzt so hoch ist, darüber ist Lisa Prösel "schockiert". Innerhalb weniger Tage sei die Terminbuchung am

    Auch in Burgau gab es einen deutlichen Anstieg von Kirchenaustritten, seit Jahresbeginn hat Stefan Mayer 33 Austritte beurkundet, allein in den wenigen Tagen im Februar schon neun. Das sei fast die Hälfte der Gesamtzahl von 2021: Da waren es insgesamt 76 Austritte in Burgau. Mayer ist sich sicher, dass das Missbrauchsgutachten hinter der hohen Zahl der Kirchenaustritte steckt. Es sei aber nicht seine Aufgabe, bei den Antragstellern nachzuhaken oder mit ihnen zu diskutieren. Von der Altersstruktur sei alles dabei, von jung bis alt, "es vermischt sich".

    Zahl der Kirchenaustritte ist sukzessive gestiegen

    In der Verwaltungsgemeinschaft Ziemetshausen, in deren Bereich die bekannte Wallfahrtskirche Maria Vesperbild ist, haben im Januar sechs Gemeindemitglieder die Kirche verlassen. Klingt nach wenig, doch im Vergleich zu den vergangenen Jahren sei diese Zahl hoch, sagt Angelika Reichhardt: Im gesamten Jahr 2021 habe es 28 Kirchenaustritte gegeben, 2020 waren es gar nur 17. Reichhardt ist aufgefallen, dass die Zahl der Kirchenaustritte in den vergangenen zwei Jahren sukzessive gestiegen ist.

    "Wir im Standesamt merken es immer sofort, wenn in der Kirche etwas vorgefallen ist. Das ist ein Auf und Ab", sagt Thomas Mayer vom Standesamt Krumbach. 54 Kirchenaustritte hat er bis jetzt registriert, 2021 waren es über das gesamte Jahr verteilt 196. "Das kann sich aber auch wieder beruhigen", glaubt er.

    Dem Bistum Augsburg liegen noch keine aktuellen Zahlen der Kirchenaustritte vor

    Eine Nachfrage beim Bistum Augsburg ergibt, dass für den gesamten Landkreis Günzburg noch keine aktuellen Zahlen vorliegen. Ein Sprecher teilt Folgendes mit: "Wie jedes Jahr werden die diözesanen Eckdaten des kirchlichen Lebens, sprich neben der Anzahl der gespendeten Sakramente und Gottesdienstbesuche auch die Zahlen zu Austritt, Eintritt und Wiederaufnahme aus dem Vorjahr am gleichen Tag wie die bundesweiten Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlicht." Dieser gemeinsame Termin sei stets erst Mitte des Jahres. Was die Entwicklung der Austrittszahlen im Raum Günzburg über einen längeren Zeitraum angeht, sei es sinnvoll, nur bis zum Jahr 2012 zurückzublicken. Zu diesem Zeitpunkt sei das Dekanat

    Auch in der evangelischen Kirche sind laut Dekanat Neu-Ulm erhöhte Austrittszahlen zu verzeichnen. Die Gründe dafür seien nicht bekannt, da der Austritt im Standesamt und nicht im Pfarramt erklärt werde. Zahlen für das Jahr 2021 liegen erst Mitte dieses Jahres vor.

    Stadtpfarrer Christoph Wasserrab bietet persönliche Gespräche an

    Noch hat Günzburgs Stadtpfarrer Christoph Wasserrab nicht die aktuellsten Zahlen auf dem Tisch liegen. Denn jeder Kirchenaustritt wird ihm versetzt mitgeteilt. Dass jedoch mehr Gläubige als sonst der Kirche den Rücken kehren, sei deutlich spürbar. Die Zahlen schwarz auf weiß zu sehen, sei das eine, "aber hinter jeder Zahl steht ein Mensch, das tut weh", sagt Wasserrab. Hatten sich im Jahr 2020 von der Pfarreiengemeinschaft Günzburg 110 Gläubige abgewandt, waren es im vergangenen Jahr schon 154. Bisher wurden ihm von der Diözese Augsburg im Monat Januar 15 Austritte im Günzburger Stadtgebiet gemeldet. Das Missbrauchsgutachten werde wohl erst später durchschlagen, vermutet der Pfarrer.

    Sobald er vom Standesamt über einen Kirchenaustritt informiert wird, schreibt der Pfarrer jeden Betroffenen persönlich an und bittet darum, ihm die Gründe zu erläutern. Er biete außerdem noch ein Gespräch an. Dies handhabe er seit Jahren so. Der Rücklauf sei bislang immer gering gewesen, doch zuletzt sei die Quote gestiegen, die Menschen antworteten teils sehr ausführlich. Was Wasserrab dabei noch auffällt: Auch wenn die Leute den Gesamtweg der Kirche nicht mittragen könnten, äußerten sie sich wertschätzend über die Kirche vor Ort. "Das schmerzt sehr, da ist man ein Stück weit ohnmächtig." Umso mehr habe er sich im vergangenen Jahr darüber gefreut, als drei Katholiken, die einst aus der Kirche ausgetreten waren, wieder eintraten.

    Hätten bisher Menschen die Kirche verlassen, die ohnehin nicht viel mit ihr zu tun gehabt und auch nicht am Gemeindeleben teilgenommen hätten, sind jetzt laut Wasserrab auch Personen dabei, die er gut gekannt habe, die einen Bezug zur Kirche und sich engagiert hatten. Dies berühre ihn besonders. Kirche solle doch die Menschen zum Glauben führen und sie nicht davon abbringen. Viel Arbeit sei jetzt nötig, er versuche, seinen Teil beizutragen. Den Kopf in den Sand stecken, sei der falsche Weg. Er findet das Bild aus der Bibel von Paulus passend: Wenn ein Glied des ganzen Körpers leide, litten alle anderen mit. "So ist es jetzt auch, wir leiden gemeinsam und müssen uns alle zusammen herausarbeiten."

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