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Landkreis Günzburg: Einsatzkräfte am Limit: "Menschen zu helfen, ist die größte Motivation"

Landkreis Günzburg

Einsatzkräfte am Limit: "Menschen zu helfen, ist die größte Motivation"

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    Hans Reichhart senior im Gespräch mit seinem Sohn Hans Reichhart junior, Ministerpräsident Markus Söder und Innenminister Joachim Herrmann (von links).
    Hans Reichhart senior im Gespräch mit seinem Sohn Hans Reichhart junior, Ministerpräsident Markus Söder und Innenminister Joachim Herrmann (von links). Foto: Matthias Balk, dpa

    Seit Freitag sind Einsatzkräfte im ganzen Landkreis im Kampf gegen die Wassermassen unterwegs, haben zwischendrin lediglich ein paar Stunden geschlafen. Das Jahrhunderthochwasser bringt sie an ihre Grenzen. „Man sieht in den Gesichtern, dass manche weit über das gehen, was ein Mensch leisten kann“, sagt Hans Reichhart senior. Als Vorsitzender des BRK-Kreisverbands macht er sich in diesen Tagen ein Bild davon, wie es "seinen Leuten" geht. 

    Durch seine Zeit als Feuerwehrmann und als Bürgermeister von Jettingen-Scheppach sei Reichhart schon seit Jahrzehnten in solche Sachen involviert, „aber solch ein Ausmaß ist was anderes“. Die ganze Bandbreite an Einsatzkräften sei gefordert, auch beim BRK: Sanitäter, Wasserwacht, Kriseninterventionsdienst – statt wie sonst je nach Situation, alle auf einmal. Die Problematik sei diesmal die Dauer und die Großflächigkeit des Ereignisses, so Reichhart.

    Wie können Einsatzkräfte diese Belastung aushalten?

    Wie können die Einsatzkräfte das aushalten? „Sie sind müde und ausgelaugt, aber sie spüren, dass sie mit ihrem Einsatz Menschen helfen. Das ist die größte Motivation.“ Der BRK-Kreisvorsitzende fährt in diesen Tagen selbst zu den Katastrophenorten: „Meine Unterstützung ist, dass ich zu den Leuten gehe und Danke sage und zeige, jawoll, wir sind auch da.“ Eine große Aufgabe sei aber auch, die Einsatzkräfte zu überzeugen, dass sie ein paar Stunden schlafen müssen. Manche müsste man förmlich dazu zwingen. „Darum kümmern sich auch die Einsatzleiter, sie müssen sehen, wie setze ich die Kräfte klug ein.“ Eine Herausforderung, gerade wenn man nicht weiß, wie sich Situationen weiterentwickeln. 

    Innenminister Joachim Herrmann (links) verschafft sich mit BRK-Kreisvorsitzendem Hans Reichhart senior nahe der Donaubrücke einen Überblick über die Hochwasserlage.
    Innenminister Joachim Herrmann (links) verschafft sich mit BRK-Kreisvorsitzendem Hans Reichhart senior nahe der Donaubrücke einen Überblick über die Hochwasserlage. Foto: Matthias Balk, dpa

    Viele Stunden sei er unterwegs gewesen, vor allem im nördlichen Landkreis, und hätte gemerkt, dass den Menschen diese Anerkennung guttut. Der ehemalige Kommunalpolitiker ist aber nicht nur seinen Leuten dankbar, sondern allen Helfern. "Jeder Handgriff tut gut, wir hätten das alles nicht geschafft, wenn die Bevölkerung nicht mitgeholfen hätte." Ihn freut es, dass alle zusammenhielten. Unterstützung gab es auch von außerhalb: „Heute früh war ich um halb acht im Legoland, um die Kolonne aus Franken zu verabschieden“, erzählt Reichhart am Donnerstag. Mit 24 Fahrzeugen seien die Bayern angereist und hätten in Günzburg unterstützt, etwa in der Versorgung der rund 700 Evakuierten, die im Feriendorf des Freizeitparks untergekommen sind.

    Der 72-Jährige habe viele Gespräche mit Betroffenen geführt und das Leid vor Ort gesehen. "Eine alte Frau kam weinend zu mir und sagte: 'Jetzt lebe ich schon 50 Jahre in Offingen und muss mit einem Boot aus meinem Haus geholt werden.'" Da helfe es einfach zuzuhören und Zeit zu schenken. Der Vater des Landrats sei in Gedanken aber auch bei den Familien, der tödlich verunglückten und vermissten Menschen, "das berührt mich sehr". Umso dankbarer sei er, dass bisher vom BRK alle wieder gesund vom Einsatz zurückgekommen sind. In dieser außerordentlichen Situation müsse zudem der normale Dienst weitergehen. „Menschen müssen zum Beispiel zur Dialyse gefahren werden.“ Und das bei jeder Menge Straßensperrungen. „Ich habe größten Respekt vor meinen Mitarbeitern, auch vor den Ehrenamtlichen.“

    Dem Feuerwehrkommandanten hört man die Strapazen in seiner Stimme an

    An vorderster Hochwasserfront ist auch die Feuerwehr. Andreas Böller, Kommandant aus Wattenweiler, hat mit seinen Kameraden intensiv mitgeholfen. Im Gespräch mit der Redaktion berichtet er, dass er an den Hochwassertagen zusammen vielleicht gerade mal sechs Stunden geschlafen habe. Besonders in Wattenweiler sei die Günz in so einer „atemberaubenden Geschwindigkeit“ gekommen, das habe sich niemand ausgemalt. Am Freitag habe er noch mit dem Landrat die Karten für ein 100-jährliches Hochwasser angeschaut, um sich in den Bereichen gezielt vorbereiten zu können. Aber keiner habe geglaubt, dass es so schlimm komme, wie in den Karten eingezeichnet. „Und dann kam es sogar schlimmer“, sagt er, und seiner Stimme hört man die Strapazen der vergangenen Tage an. 

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    In Günzburg und anderen Orten beginnt nach dem Jahrhunderthochwasser das Aufräumen. Keller werden leergepumpt, Schutt entsorgt. Bilder, die sprachlos machen.

    Ob noch genügend Ressourcen für die kommenden Tage vorhanden sind, gerade, wenn es wieder regnen sollte, ist schwer zu beantworten. Aktuell gehe es noch darum, mit der Bundeswehr und dem THW den Menschen zu helfen, die keinen Familienverbund oder Freundeskreis haben, und Sperrmüll wegzuräumen, so Hans Reichhart senior. Er glaubt, dass seine Einsatzkräfte Kraft tanken könnten, wenn es ein paar Tage ruhiger werde. „Sicher werden die dann in ein Loch fallen“, fürchtet er. Wie viel psychologische Unterstützung für die Helfer nach der Katastrophe nötig sein wird, das müsse sich zeigen.

    In den kommenden Wochen oder Monaten werden die Ereignisse aufgearbeitet

    Wichtig sei, dass die Einsatzkräfte innerlich zur Ruhe kommen und als Nächstes untereinander sprechen. „Danach werden wir bald zum Kreis einladen.“ Mit den Erkenntnissen soll in den kommenden Wochen oder Monaten ein Resümee gezogen werden.

    Glücklich sei etwa gewesen, dass der Hochwasserschutz in Scheppach und Thannhausen funktioniert hat. „Manche Wasserläufe können sich aber erfahrenste Leute nicht erklären“, sagt der gebürtige Jettinger mit Blick auf Burgau, Offingen und die Günzburger Innenstadt. Vor zehn, 15 Jahren wäre seiner Meinung nach das Ganze aber noch schlimmer ausgegangen. Die Ereignisse im Ahrtal seien da ein Fingerzeig gewesen. Positiv wertet Reichhart, dass das Landratsamt den Katastrophenfall so zeitig ausgerufen hat: „Dadurch blieb uns mehr Zeit zur Vorbereitung.“ (mit adö)

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