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Landkreis Günzburg: Ein Einbrecher zerstörte (fast) sein Leben

Landkreis Günzburg

Ein Einbrecher zerstörte (fast) sein Leben

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    Fridolin Waschhauser hatte Glück: Er überlebte den Messerstich eines Einbrechers, doch unter den Folgen leidet er noch heute.
    Fridolin Waschhauser hatte Glück: Er überlebte den Messerstich eines Einbrechers, doch unter den Folgen leidet er noch heute. Foto: Bernhard Weizenegger

    Fridolin Waschhauser kommen die Tränen, wenn er daran denkt, dass er in der Nacht vom 15. auf den 16. Dezember 2015 hätte sterben können. Die Wunde an seinem Körper ist fast verheilt, die an seiner Seele noch lange nicht. „Ich hatte großes Glück, dass die Rippen das Messer aufgehalten haben und die Leber nur leicht verletzt wurde“, sagt der 57-Jährige. „Sonst wäre ich innerhalb weniger Minuten verblutet.“ Es ist zwischen Mitternacht und 2 oder 3 Uhr, erinnert er sich, als ein Einbrecher ins Haus einsteigt. Kurz darauf beginnt ein Kampf zwischen den beiden, bei dem der inzwischen in Untersuchungshaft sitzende Tatverdächtige ein Messer zückt und Waschhauser damit lebensgefährlich im Bauch verletzt. Die Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen inzwischen abgeschlossen, will sich momentan aber nicht weiter äußern. Nach Informationen unserer Zeitung wird Anklage gegen den Mann erhoben. Das Opfer will als Nebenkläger beim Prozess, der Ende des Jahres beginnen könnte, dabei sein. Auch um das Geschehene zu verarbeiten.

    Ein Vergessen ist unmöglich

    Das werde allerdings wohl lange dauern und ein Vergessen unmöglich sein, sagt seine Anwältin Marion Zech. Die Augsburgerin hat auch die Polizistin vertreten, deren Streifenpartner Matthias Vieth von zwei inzwischen rechtskräftig verurteilten Brüdern erschossen wurde und die selbst verletzt wurde. Die Fachanwältin für Strafrecht kümmert sich insbesondere auch um das Thema Opferschutz und sagt, dass die Folgen eines Einbruchs für die Betroffenen nicht zu unterschätzen seien – auch wenn sie nicht auf den Täter treffen oder gar verletzt werden: „Ihr Sicherheitsgefühl wird erheblich gestört.“ In den meisten Fällen funktioniere es heute gut, dass die Polizei direkt die Kontaktdaten von Hilfsorganisationen wie dem Weißen Ring weitergibt. Es gebe aber auch Opfer, die denken, das alleine meistern zu können. „Das dicke Ende kommt dann oft später“, sagt Zech. Wer psychologische Hilfe in Anspruch nehmen will, stehe oft vor dem Problem, einen Termin bei einem kassenzugelassenen Therapeuten zu bekommen. Mehrere Monate Wartezeit seien nicht selten, was gerade in Krisensituationen ein immenses Problem sei – das so seit Jahrzehnten bestehe.

    Das bestätigt Dr. Marie Christine Dekoj, leitende Psychologin des Bezirkskrankenhauses Günzburg: „Die Hilfsangebote sind grundsätzlich gut, aber durch die langen Wartezeiten kann sich das Erlebte manifestieren.“ Allerdings gebe es auch bei einer Therapie keine Garantie, dass das nicht passiert. Dekoj betont, dass eine Bedrohung große Ängste hervorrufe, das Gefühl von Hilflosigkeit und Furcht traumatisch sei. Aber das führe nicht automatisch bei jedem zu einer psychischen Störung. Es gebe Fälle, in denen die Betroffenen nach einigen Wochen wieder in den Alltag zurückkehren können.

    Was in der Nacht geschah

    So schützen Sie Ihr Haus vor Einbrechern

    Wenn Sie Ihr Haus verlassen, immer abschließen, aus versicherungstechnischen Gründen am besten zweimal.

    Verschließen Sie Fenster, Balkon- und Terrassentüren. Gekippte Fenster sind eine Einladung für Einbrecher.

    Verstecken Sie Ihren Schlüssel niemals draußen. Einbrecher kennen fast jedes Versteck. – Wenn Sie Ihren Schlüssel verlieren, wechseln Sie den Zylinder aus.

    Achten Sie auf Fremde in Ihrem Umfeld, auch in der Nachbarschaft. Wenn Sie im Urlaub sind: nie Rollläden dauerhaft unten lassen und Briefkasten überquellen lassen.

    Per Zeitschaltuhr Haus innen beleuchten und Anwesenheit simulieren. Für außen ratsam: Bewegungsmelder.

    Für alle Fälle Telefoniermöglichkeit im Schlafzimmer schaffen (Notruf: 110).

    Liste mit Wertsachen anfertigen, am besten inklusive Fotos. Das erleichtert die Abwicklung mit der Versicherung.

    Technische Vorbeugung: Eine Alarmanlage ist nur sinnvoll, wenn sie mit einer Bewachungsfirma verbunden ist. Viele Einbrecher lassen sich von der Sirene nicht abhalten, sagt Rainer Rindle von der Kripo Augsburg.

    Prüfen lassen, ob Haus-, Terrassen-/Balkontüren und Fenster nachgerüstet werden sollten, am besten von einem Kripo-Berater. Zuständig sind: Kripo Augsburg (Stadt/Kreis Augsburg, Aichach-Friedberg), Kripo Dillingen (Stadt/Kreis Dillingen, Donau-Ries), Kripo Fürstenfeldbruck (Kreis Landsberg), Kripo Ingolstadt (Stadt Ingolstadt, Neuburg-Schrobenhausen), Kripo Kempten (Stadt/Kreis Kempten, Kaufbeuren, Ober-, Ostallgäu, Lindau), Kripo Memmingen (Stadt Memmingen, Unterallgäu), Kripo Neu-Ulm (Stadt/Kreis Neu-Ulm, Günzburg).

    Opferhilfe: Die Organisation Weißer Ring unterstützt nicht nur Opfer von Gewaltkriminalität oder Mobbing, sondern auch Einbruchsopfer. Nach Angaben von Adolf Präntl bietet sie mehrere Hilfestellungen.

    Der Weiße Ring bietet vertrauliche Gespräche im Akutfall, die Vermittlung von Experten wie Traumatherapeuten. Au helfen sie beim Umgang mit Behörden und Versicherungen und Begleiten Geschädigte zu Gerichtsterminen.

    Fridolin Waschhauser ist das noch nicht gelungen. Das Erlebte beschäftigt ihn sehr, der selbstständige Bankbetriebswirt ist krankgeschrieben. Immer wieder muss er an die Nacht im Dezember denken. Gegen 22 Uhr schaut er noch Fußball im Fernsehen, die Rollläden sind nicht geschlossen. „Es war also von außen zu sehen, dass jemand im Haus ist“, sagt Waschhauser. Erst nach 23 Uhr geht er ins Bett. „Ich kann mir gut vorstellen, dass der Einbrecher das Haus vorher beobachtet hat.“ Einige Zeit später steht seine Schwiegermutter, die mit der Familie zusammenlebt, im Schlafzimmer und sagt, es sei jemand im Erdgeschoss, im Büro. „Mein Gedanke war sofort: Ich muss so schnell wie möglich runter und den Einbrecher vertreiben, damit er nicht weiter ins Haus eindringt. Ich wollte meinen jüngsten Sohn, der damals 16 war, beschützen, der direkt im Zimmer neben dem Büro schlief.“ Die Polizei zu rufen oder sich irgendwie zu bewaffnen kommt ihm da nicht in den Sinn. Die Tür ist nur angelehnt, erzählt Waschhauser, er schaltet das Licht ein und reißt sie auf. Nur wenige Meter von ihm entfernt steht der Einbrecher. „Hau ab, was willst du da herinnen“, schreit er den maskierten Mann an. Dann geht der 57-Jährige wieder aus dem Büro raus, um nachzusehen, ob im Gang noch ein zweiter Einbrecher ist, der ihn von hinten überraschen könnte. Doch da ist niemand.

    Er kehrt er in den Raum zurück – in der Hoffnung, dass der Mann inzwischen weg ist. Doch das ist nicht der Fall. Da geht Waschhauser auf ihn zu, um ihn mit bloßen Händen zu vertreiben. Es entwickelt sich ein Kampf. Das Messer, das er dann in der Hand des Einbrechers sieht, versucht er abzuwehren, doch ohne Erfolg. Der Mann sticht zu und schubst ihn auf den Gang. Waschhauser fällt gegen den Schirmständer, greift sich einen Schirm und schlägt nach dem Mann. Als er aufsteht, ist der Einbrecher weg. „Dann habe ich gemerkt, dass ich an der rechten Seite blute.“ Seine Frau und die Schwiegermutter kommen dazu, er legt sich im Bad auf den Boden und wartet dort auf Polizei und Rettungsdienst, die seine Frau inzwischen alarmiert hat. Sie kommen schnell. Noch schneller wäre Hilfe da gewesen, wäre die Rettungswache in Kötz jeden Tag rund um die Uhr besetzt. Doch das ist sie nicht, der Rettungsdienst kommt aus Günzburg. Waschhauser wird im Krankenhaus notoperiert.

    Körperlich geht es schnell aufwärts

    Nur drei Tage muss er dortbleiben. Körperlich geht es schnell aufwärts. Doch die Seele leidet. Wie er gehört hat, handelt es sich bei dem Einbrecher womöglich um einen jungen Mann aus einem Nachbarort, der die Familie kennt, schon zu Besuch im Haus war. „Ich habe mich vorher getröstet, dass es eine Bande war, aber dass es jemand ist, den du kennst und der dich hätte umbringen können, tut wahnsinnig weh. Zum Glück war er wenigstens nicht im Schlafzimmer, dem intimsten Bereich.“ Seither plagen ihn Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Albträume von Zombies, die seine Familie angreifen, oder der eigenen Beerdigung. Er hat Angst, den Telefonhörer abzuheben, es könnte ja eine schlimme Nachricht geben. Anrufe schiebt er vor sich her. „Momentan schaffe ich es nicht, aus dem Tief rauszukommen“, sagt Waschhauser. Trotz der ersten Betreuung durch den Kriseninterventionsdienst des Roten Kreuzes und der späteren durch einen Psychologen. Das Haus hat er umgerüstet, unter anderem elektrische Rollläden installiert, die schwerer von Hand zu öffnen sind. Doch auch die ganze Familie leidet. Seine Mutter, die alleine wohnt, war bereits in psychologischer Behandlung, bei ihr gehe es jetzt wieder. Doch die Kinder wollen nicht mehr alleine schlafen, seiner Schwiegermutter stellte er ein Pfefferspray auf den Nachttisch. „Es ist schon eine schlimme Vorstellung, dass das Leben von einer Minute auf die andere vorbei sein kann, dabei plant man gerade für seine Rente. Es ist auch eine schlimme Vorstellung, dass meine Frau und die Kinder jetzt alleine sein könnten.“

    Wie Einbruchsopfern am besten zu helfen ist, beschäftigt unter anderem den Weißen Ring, der Kriminalitätsopfer unterstützt. „Pauschal lässt sich das nicht sagen, jeder Fall ist individuell“, erklärt Bundesgeschäftsführerin Bianca Biwer. „Wir machen die Erfahrung, dass es bereits helfen kann, über Erlebtes zu sprechen. Darüber hinaus hilft es aber auch, sich zu informieren, was man tun kann, um einem künftigen Einbruch bestmöglich vorzubeugen.“ Im Januar taten das auch viele Kötzer, als die Polizei einen Vortrag zum sicheren Haus hielt. Manche stellten schnell Schilder mit der Warnung vor Hunden auf, andere verweigerten selbst einem neuen Kaminkehrer den Zutritt. Peter Hirsch, der sich bei der Kripo Neu-Ulm für die Kreise

    Früher hatte er im Jahr 70 bis 80 Beratungen, heute sind es gut 240. Die hohen Einbruchzahlen lösen bei mehr Leuten die Angst aus, zum Opfer zu werden. Zudem gehe die Polizei stärker auf die Bürger zu. Wie eine unabhängige Untersuchung der Dualen Hochschule Heidenheim 2014 ergeben habe, setzten auch mehr als 60 Prozent der Beratenen die Empfehlungen der Kripo um. Bis zu 2500 Euro würden dafür investiert. Die gestiegene Nachfrage zeigt sich auch daran, dass es inzwischen bis zu acht Wochen dauern kann, einen Termin bei Hirsch zu bekommen, bei anderen Dienststellen kann es gar ein Vierteljahr oder länger sein. „Wir spüren auch das Trauma der Opfer und nehmen uns viel Zeit, ihnen zuzuhören. Wir wollen für sie da sein.“ Bei ihnen habe er das noch nicht gehört, aber bei Vorträgen bekommt er oft mit, dass sich Bürger am liebsten bewaffnen würden. Problematisch ist auch, dass viele Einbrüche nicht geklärt werden. Im Kreis Günzburg gab es im ersten Halbjahr dieses Jahres 37 Wohnungseinbrüche, die Aufklärungsquote lag bislang aber nur bei knapp elf Prozent. Im Vorjahr waren es 41 Fälle, nur fünf Prozent wurden geklärt, heißt es beim Präsidium Schwaben Süd/West. Bei 85 Wohnungseinbrüchen im vergangenen Jahr wurden gerade einmal neun Verdächtige ermittelt. Davon waren drei keine Deutschen und einer jünger als 18 Jahre.

    Fridolin Waschhauser setzt seine Hoffnungen nun in den Prozess und die Aufarbeitung. Er würde sich wünschen, dass die Familie des Verdächtigen auf ihn zukommt, „das alles wird sie ja auch belasten“. Er will dem Einbrecher vergeben können, denn als Christ ist ihm die Barmherzigkeit wichtig. Trotz allem, was geschehen ist. „Der Glaube hilft mir.“

    Prävention Die Beratungsstelle bei der Kripo Neu-Ulm ist zu erreichen unter der Telefonnummer 0731/8013-289.

    Auf unserer Sonderseite Einbruchsradar (hier entlang) finden Sie viele nützliche Informationen zum Thema Einbruch.

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