"Etwa um 17.45 Uhr am Ostermontag, als ich an der Stadtpfarrkirche vorbeiging, hörte ich Mauerwerk vom Turm herabrieseln und Scheiben klirren. Wenige Minuten darauf war ein starkes Rauschen zu vernehmen. Im Zeitlupentempo sackte sodann der Turm der Pfarrkirche zusammen. Wie ein Fahrstuhl sauste die Turmspitze auf den Trümmerhaufen herab." Mit dieser Schilderung des Augenzeugen Franz Endhardt beginnt der Bericht von Redakteurin Waltraud Finkele, der am 1. April 1964 in unserer Zeitung zu lesen war. Die Schilderung war kein Aprilscherz, sondern gab die Realität wieder: Zwei Tage zuvor war der Kirchturm der Ichenhauser Stadtpfarrkirche in sich zusammengestürzt. Wie durch ein Wunder kamen keine Menschen zu Schaden. Was ist damals passiert?
Die Bilder in unserer Zeitung zeigten damals das Ausmaß der Zerstörung: Der 37 Meter hohe Turm wurde bis auf die Grundmauern zerstört, die herabstürzenden Trümmer beschädigten zudem einen Teil des Langschiffs der Kirche. Dort hatten sich noch kurz vor dem Unglück offenbar Kinder aufgehalten, Augenzeugen hatten sie rechtzeitig zum Verlassen der Kirche aufgerufen.
Das war die Ursache für den Kirchturmeinsturz in Ichenhausen
Schnell war klar, wie es zu dem Einsturz gekommen ist: Im Jahr 1964 fanden umfangreiche Baumaßnahmen an der Ichenhauser Kirche statt. Anlass für die Bauarbeiten war die Erweiterung der Kirche: Das Kirchenschiff war für die damalige große Pfarrgemeinde zu klein und bereits Monate zuvor abgerissen worden. Ein Langhausneubau in Nord-Südachse sollte die Kirche erweitern, Turm und alter Chor jedoch erhalten bleiben. Mehrere Wochen vor dem Unglück begannen die Arbeiten an einem neuen Fundament für den Turm, 180 Kubikmeter Betonstahl von hoher Güte und 7,5 Tonnen Rundstahlbewehrung kamen damals laut unserer Zeitung zum Einsatz. Risse oder Absenkungen hatten sich keine gezeigt - am Gründonnerstag waren die Arbeiten abgeschlossen worden.
So ganz traute man der Sache in Ichenhausen allerdings nicht: Weil es zu Beginn der Arbeiten Bedenken gegeben habe, ob der Turm einstürzte könnte, war im Vorfeld eine Versicherung abgeschlossen worden. Zum Glück: Denn so konnte der finanzielle Schaden abgefangen werden. Der Einsturz vom Ostermontag 1964 war allerdings nicht das erste Unglück, das die Kirche in Ichenhausen erlebte.
Der Vorgängerbau des Ichenhauser Gotteshauses datiert mindestens auf 1392 zurück. 1744 wurde das baufällige Gebäude abgetragen. Der Thannhauser Baumeister Johann Kaspar Radmiller errichtete an gleicher Stelle einen barocken Kirchenbau, der am 19. September 1747 eingeweiht wurde. Bis heute sind von der damaligen Ausstattung neben kleineren liturgischen Geräten nur noch das Oberteil des Kreuzaltares, eine Holzplastik des Johannes Nepomuk und eine Antonius-Gruppe erhalten.
Ein verheerender Brand in Ichenhausen ist auf einem Gemälde verewigt
Schon lange vor dem Kirchturmeinsturz am Ostermontag 1964 war es hier zur Katastrophe gekommen: Am 3. März 1835 schlug der Blitz in den Zwiebelturm ein. Der Maler Florian Kurringer (1809-1877), damals vermutlich gerade erst von seinem Kunststudium aus München wieder nach Ichenhausen zurückgekehrt, hielt die Szenerie in einem Gemälde fest. Heute befindet es sich im Pfarrhof in Ichenhausen.
Darauf ist zu sehen, wie Funken und Flammen aus dem Bau schlagen und auf der Straße des damaligen Marktes Menschen zusammenlaufen, um das Feuer zu bekämpfen, das am Fasnachtsdienstag während eines Unwetters ausgebrochen war. Die Turmspitze wurde damals komplett zerstört, die Glocken schmolzen in der Hitze des Feuers.
Danach wurde der Kirchturm nicht mit der alten Kuppel aufgebaut, sondern bekam eine achteckige Turmspitze - eben diejenige, die fast 130 Jahre später einstürzte. Den Faschingsdienstag ignorierten die Ichenhauser übrigens fortan: Angesichts der Feuerkatastrophe war erst einmal niemandem mehr nach Kehraus-Vergnügen an diesem Tag.
Der Einsturz am 30. März 1964 zerstörte Chor und Schiff der alten Kirche, die daraufhin ganz abgerissen werden musste. So änderten sich auch die Pläne für die Erweiterung: Das Kirchenschiff wurde nach Norden verlängert und die Taufkapelle anstelle des alten Chores gebaut. Am 2. Juli 1967 erfolgte die Weihe der neuen Kirche durch den damaligen Augsburger Bischof Josef Stimpfle.
Doch damit waren die Arbeiten an dem Gotteshaus noch nicht zu Ende. Zuletzt stand der Turm 2008 im Gerüst da: Schäden vor allem an der West- und an der Nordseite des insgesamt 54 Meter hohen Kirchturms mussten behoben werden. Rostflecken im Beton waren auch in den Jahren zuvor immer wieder aufgetaucht, Zeichen der Beanspruchung durch Wind und Wetter.
Inzwischen steht die Stadtpfarrkirche erneut vor einer dringend notwendigen Sanierung, wie der Internetseite der Pfarreiengemeinschaft zu entnehmen ist: Dachtragkonstruktion und Fassade müssen saniert werden. Die Gesamtkosten werden auf 410.000 Euro geschätzt.