„Er kommt und sticht mich ab“, ist im Hintergrund die Stimme des Opfers zu hören, kurz darauf: „Ich verblute“. Die Aufnahmen sind von der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West aufgezeichnet und in dieser Woche im Prozess beim Memminger Landgericht gegen einen 32-Jährigen wegen versuchten Totschlags in Ichenhausen vorgespielt worden. Sie stammen vom Notruf der Mutter des mutmaßlichen Opfers – und Täters. Diese Bluttat am 28. Dezember 2023 hätte tödlich enden können, denn der Messerstich des Angeklagten gegen den vier Jahre jüngeren Bruder war durchaus lebensgefährlich, wie eine Rechtsmedizinerin am dritten Prozesstag aussagte.
Mehr als sieben Zentimeter lang ist die Klinge des Küchenmessers, mit dem der Angeklagte nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft den Bruder fast umgebracht hätte. Am dritten Verhandlungstag hatte Bernhard Lang, Vorsitzender der 1. Strafkammer, die Tatwaffe selbst nachgemessen. Die Klinge war nach Aussage der Sachverständigen tief in den rechten oberen Brustkorb zwischen sechster und siebenter Rippe des Opfers eingedrungen und hatte den Lungenflügel verletzt. Die Wunde wurde von der Mutter und einem weiteren Bruder provisorisch mit einem Küchenhandtuch zugedrückt, der gestochene Bruder litt unter Atemnot. Am Messer und am Pullover des Opfers wurden DNA-Spuren des Angeklagten gesichert. Ohne rechtzeitige medizinische Versorgung hätte der Stich tödliche Folgen haben können, so die Gerichtsmedizinerin.
Außerdem hatte das Opfer laut Aktenlage zwei Rippenbrüche, deren Entstehen nicht eindeutig zu klären war. Beim anderen, sechs Jahre jüngeren Bruder des Angeklagten, der, wie berichtet, am Heiligabend vergangenen Jahres von einem Baseballschläger am Kopf getroffen wurde, hatte die Sachverständige eine Platzwunde mit Schwellung festgestellt. Potenziell sei jedoch solch ein Schlag wegen des hohen Verletzungsrisikos ebenfalls lebensgefährlich. Weder dieser Bruder noch der vom Messerstich getroffene 28-Jährige machten vor dem Landgericht Angaben zu den beiden Taten. Bei der Polizei hatten die Männer jedoch Aussagen gemacht. Das Messerstich-Opfer sowie der Angeklagte haben keinen festen Wohnsitz, sondern übernachten an unterschiedlichen Orten, teils auch in einer Hütte in einem benachbarten Ort, wie eine Polizistin aussagte.
Die Freundin des Beschuldigten macht widersprüchliche Aussagen
Bei der Aussage der 53-jährigen Freundin des mutmaßlichen Täters wurde der Kammervorsitzende energisch, denn die Frau meinte, ihre Angaben bei der polizeilichen Vernehmung seien nicht richtig gewesen. Die 53-Jährige hätte sich angeblich keine Gedanken gemacht, als der Freund nach der Tat bei ihr im Hotel auftauchte. Er sei „käsebleich“ gewesen und habe gezittert. Dann habe er den blutverschmierten Pullover gewechselt und sei ins Bett gegangen. Nur wenig später kam die Polizei und der 32-Jährige flüchtete aus dem Hotelzimmer auf den Dachboden, wo er festgenommen wurde. Vermutlich sei ihr Freund damals alkoholisiert gewesen und unter Drogen gestanden, sagte die Freundin als Zeugin vor Gericht. Bei der Polizei hatte sie davon allerdings nichts erwähnt. „Dann weiß ich nichts mehr“, quittierte die 53-Jährige die Warnung des Richters zu einer möglichen Falschaussage. Als Richter Lang einen Brief des Angeklagten an die Freundin vorlas, der in der Untersuchungshaft abgefangen wurde, schluchzte der 32-Jährige auf der Anklagebank mehrfach heftig. „Mir geht es echt schlecht“, schrieb er der mehr als 20 Jahre älteren Frau, er bereue es sehr, was passiert sei und beteuerte seine Liebe.
Die Freundin und die Mutter des Angeklagten hielten sich während der Verhandlung im Zuschauerraum auf. Spannung verspricht der vierte Verhandlungstag des Prozesses am 22. Oktober. Dann sind der Günzburger Amtsgerichtsdirektor und ein Bewährungshelfer als Zeuge geladen, außerdem soll ein psychiatrischer Sachverständiger die Schuldfähigkeit des Angeklagten einschätzen.
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