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Ichenhausen: Janusz Korczak ließ seine Waisenkinder keinen Moment im Stich

Ichenhausen

Janusz Korczak ließ seine Waisenkinder keinen Moment im Stich

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    Auf der Bühne in der Ehemaligen Synagoge Ichenhausen (v. li.): Das technische Team Jan Böhme, Markus Lenz, Christian Möller, Pianist Piotr Oczkowski, Schauspielerin Daniela März, Autor Siegfried Steiger, Komponist Matthias Grimminger.
    Auf der Bühne in der Ehemaligen Synagoge Ichenhausen (v. li.): Das technische Team Jan Böhme, Markus Lenz, Christian Möller, Pianist Piotr Oczkowski, Schauspielerin Daniela März, Autor Siegfried Steiger, Komponist Matthias Grimminger. Foto: Jakob Steiger

    Als der blutrote Feuerball auf der großen Leinwand langsam immer kleiner und schwächer wird und schließlich verlischt, ist die Bühne nur noch in Dunkelheit gehüllt. Es herrscht minutenlange, andächtig gedenkende Stille im voll besetzten Saal der ehemaligen Synagoge in Ichenhausen. Auch nicht das leiseste Räuspern ist zu hören. Dann erst braust heftiger und lang anhaltender Applaus auf. Applaus für eine künstlerische Darbietung, die verhalten, feinfühlig und fernab jeglicher Effekthascherei sensibel und eindringlich alle Sinne des Publikums berührte.

    Vor exakt dreißig Jahren wurde der Gedankenzyklus "Inmitten weiter Ferne" in der ehemaligen Synagoge in Ichenhausen uraufgeführt. Jetzt riefen alle Akteure von damals den letzten Weg Korczaks dem aus nah und fern angereisten Publikum erneut ins Gedächtnis. Nichts hat der Gedankenzyklus an Eindringlichkeit und Brisanz eingebüßt. Im Gegenteil: Er ist angesichts der derzeitigen politischen Zündeleien rechtsextremistischer Gruppierungen aktueller und wichtiger denn je. Daher versteht sich das Experimentelle Theater Günzburg, so Siegfried Steiger, der Leiter des Experimentellen Theaters auch in seiner Vorrede, selbstverständlich als Baustein im

    Eine Fahrt ohne Wiederkehr

    Der 5. August 1942 ist ein unerträglich heißer Tag. Über 200 Kinder werden wie Vieh im Warschauer Getto zum sogenannten „Umschlagplatz“ getrieben, werden hineingepfercht in dunkle Waggons zu einer Fahrt ohne Wiederkehr. Das Ziel: Vernichtungslager Treblinka. Mit ihnen steigt der jüdische Schriftsteller, Kinderarzt und Pädagoge Janusz Korczak in den Waggon. Obwohl er Angebote einer persönlichen Rettung erhält, lässt er die Kinder, seine Schützlinge, keinen Augenblick im Stich. Alexa Eberle führt mit einem emotionalen Augenzeugenbericht vom Abtransport geradezu fühlbar in das Geschehen ein. 

    Wohin fahren wir? So werden die Kinder wohl gefragt haben. Sie weinen vor Angst und Verzweiflung, weil sie den Himmel nicht mehr sehen, weil ihre bunte Kinderwelt, „das große Geheimnis, Kuscheltier und Schaukelpferd“ in der Schraubzwinge der Nazi-Barbarbarei erstickt. „Wo die Fratzen des Hasses herrschen, hat das Lachen der Kinder keine Zukunft mehr.“ Korczak selbst kann nur in testamentarische Reflexionen über sein Leben, sein Denken und Tun verfallen. Hilflos und ohnmächtig spendet er noch mal Trost mit Erzählungen aus seinen Kinderbüchern und verweist auf die Rechte der Kinder. „Wer die Hand gegen ein Kind erhebt, zerstört sein eigenes Gesicht.“

    Den Kindern erzählt Korczak von einer besseren Welt

    Er strickt fantasievolle Visionen von einem besseren Dasein, vom Gelobten Land des jüdischen Volkes. Immer wieder tauchen Haltestellen der Hoffnung aus dem biblischen Buch Exodus auf. Doch die Illusion des Entkommens bleibt übermächtig. „Zersprengt die Tür des Waggons, greift mit bloßer Hand in die walzenden Räder - ab heute können wir fliegen.“

    Die Lyrik Siegfried Steigers, von ihm selbst und Daniela März sensibel und pathosfrei vorgetragen, lässt den Schmerz und die Betroffenheit über das Ungeheure, aber auch die kindliche Kraft der Fantasie, der Hoffnung und der Träume spürbar unter die Haut gehen. Über fünf Diaprojektoren, vielhändig von Markus Lenz, Jan Böhme und Christian Möller in Retro-Manier bedient, erscheinen zarte Striche flüchtig ab und an auf der großen Leinwand, formen sich zu dunklen Gesichtern, die ängstlich und Hilfe suchend ins Publikum starren, bisweilen von Farbfeldern umspielt. Der israelische Künstler Itzchak Belfer, selbst jahrelang Zögling im Waisenhaus von Janusz Korczak und Schöpfer des Günzburger Korczak-Denkmals, bildet mit seinen ausdrucksstarken Illustrationen eine Einheit zur poetischen Verklärung der Gedichte.

    Jäh und träumerisch vervollständigt die Komposition von Matthias Grimminger an der Klarinette und von Piotr Oczkowski am Klavier die berührende Collage aus Wort, Bild und Musik. Wenngleich die Trauer die vorherrschende Grundstimmung ist, so gelingt es der atonalen musikalischen Ausdeutung immer wieder, durch spielerisch tänzerische Elemente, durch laute Aufschreie der Klarinette und melancholisch verträumte Passagen des Klaviers ihr nicht zu verfallen. Dies alles auf künstlerisch virtuosem Niveau. (AZ)

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