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Ichenhausen/Augsburg: Fotos erinnern an die Zerstörung in Ichenhausen bei den Novemberpogromen

Ichenhausen/Augsburg

Fotos erinnern an die Zerstörung in Ichenhausen bei den Novemberpogromen

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    Innenraum der Synagoge Ichenhausen, aufgenommen kurz nach Novemberpogromen 1938 von der Frauenempore aus Richtung geöffneten Tora-Schrein.
    Innenraum der Synagoge Ichenhausen, aufgenommen kurz nach Novemberpogromen 1938 von der Frauenempore aus Richtung geöffneten Tora-Schrein. Foto: Sammlung Gernot Römer, Jüdisches Museum Augsburg Schwaben

    Seit einem Jahr wird am Jüdischen Museum Augsburg Schwaben die Sammlung des Journalisten Gernot Römer, der die Geschichte schwäbischer Jüdinnen und Juden erforschte, erschlossen. Bei der Sichtung und Digitalisierung der Dokumente entdeckten die Mitarbeitenden zwei bisher kaum bekannte Fotografien der Synagoge Ichenhausen, die die Novemberpogrome 1938 dokumentieren. Sie sind ein seltenes Zeugnis der Gewalttaten gegen jüdische Menschen und Einrichtungen im November 1938 auf dem Land.

    Museumsdirektorin Carmen Reichert: „Die Novemberpogrome erfassten das ganze Land. Das totalitäre Regime der Nationalsozialisten funktionierte überall, nicht nur in Großstädten. Die vielen kleinen Landgemeinden, wie es sie auch bei uns in Schwaben gab, waren davon genauso betroffen.“

    Bankreihen und zerstörte Bima in der Synagoge Ichenhausen, aufgenommen kurz nach Novemberpogromen 1938.
    Bankreihen und zerstörte Bima in der Synagoge Ichenhausen, aufgenommen kurz nach Novemberpogromen 1938. Foto: Sammlung Gernot Römer, Jüdisches Museum Augsburg Schwaben

    Die beiden Fotografien der Synagoge machte ein Ichenhauser Bürger unmittelbar nach der Zerstörung am 10. und 11. November 1938. Seine Kamera wurde vermutlich zunächst von den Nazis beschlagnahmt. Durch Beziehungen zum Kreisleiter erhielt er Kamera und Film zurück. „Sein Sohn schickte die Fotos fast 60 Jahre später an Gernot Römer zur Aufbewahrung, sodass wir sie nun, 86 Jahre nach der verheerenden Nacht, in den Händen halten. Durch die Digitalisierung dieses und anderer Objekte aus der Sammlung können wir sie künftig für die Forschung und Interessierte leichter zugänglich machen,“ so Museumsdirektorin Carmen Reichert.

    In der Sammlung von Gernot Römer wurden die Fotos aus Ichenhausen entdeckt

    Gernot Römer, der ehemalige Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen und Mitbegründer des Jüdischen Museums, war einer der ersten Personen in Schwaben, der Zeugnisse über die Pogromnächte zwischen dem 7. und 13. November sammelte. Die beiden Fotografien zeigen den Innenraum der Synagoge Ichenhausen mit dem geöffneten Toraschrein und der zerstörten Bima. Im Toraschrein werden die Torarollen, das sind handgeschriebene Pergamentrollen mit dem ersten Teil der jüdischen Bibel, aufbewahrt. Während des Gottesdienstes wird eine Torarolle auf der Bima, einer Art Lesepult, entrollt und vorgelesen.

    In Gernot Römers Nachlass findet sich auch ein Brief der Rabbinertochter Frieda Goldschmidt, die aus Ichenhausen stammte und den Ort unmittelbar nach dem Pogrom, der dort in der Nacht vom 10. auf den 11. November stattfand, besuchte. Am 26. November 1990 schrieb sie aus ihrem amerikanischen Exil an Römer: „Als wir heimkamen, erzählten uns meine Schwestern, die mit der Mutter wohnten, von dem unerwarteten Überfall. Sie kamen Freitag, nach der Kristallnacht. Die jüdischen Frauen mussten die Bücher zusammentragen und auf den Lastwagen werfen. Meine Schwester Dina hatte die private Thorarolle im Stadel versteckt, sie stand noch vor dem Schrank, als sie weggeschlagen wurde. Die Frauen mussten die Rolle in Stücke zerreißen, before(!) sie auf einen Lastwagen geworfen wurde. […] Später fanden wir out(!), einer meiner guten Freunde, der sehr viel bei uns im Hause war, auch öfters mit seiner Mutter über den Nachmittag, hatte die Bibliothek an die Gestapo verraten. […] Bei dieser Zeit war nichts mehr von Freundschaft zu sehen, in der Tat, die Straßen waren immer leer, wenn ich dort war, die Nachbarshäuser verstummt, für mich unmöglich zu begreifen nach all den Jahren des Zusammengehörigkeitsgefühls.“

    Sammlung von Gernot Römer im Jüdischen Museum Augsburg Schwaben

    Derzeit wird die bedeutende Sammlung von Gernot Römer (1929-2022), die 2019 an das Jüdische Museum Augsburg Schwaben kam, in das Museumsarchiv integriert. Der Journalist und Ehrenvorsitzende der Stiftung Jüdisches Kulturmuseum Augsburg-Schwaben war ein Pionier der Erforschung der schwäbischen Jüdinnen und Juden und verfasste zahlreiche Bücher dazu. Bereits in den frühen 1970er Jahren begann Gernot Römer in kommunalen Archiven und Bibliotheken zur jüdischen Geschichte Bayerisch-Schwabens zu recherchieren und seine Ergebnisse in seiner privaten Sammlung zusammenzuführen. Um diese bedeutende Sammlung für kommende Generationen zu erhalten und für die Forschung und die interessierte Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wird die Sammlung Gernot Römer in den nächsten Jahren durch zwei Mitarbeiterinnen des Museums verzeichnet und digitalisiert.

    Um 1830 besaß Ichenhausen nach Fürth die zweitgrößte jüdische Gemeinde Bayern. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts reduzierte sich die Zahl erheblich. Die Synagoge in Ichenhausen erschien im Innenraum im frühklassizistischen Stil. Eine Restaurierung der Synagoge und Umgestaltung des Betraums fiel 1852/53 und noch einmal 1896 an. Während der Novemberpogrome rund um den 9./.10.11.1938 entwendeten Nationalsozialisten wertvolle Teile der Inneneinrichtung und zerstörten den Rest vollständig. Das Gebäude wurde wegen der Gefahr für die umliegenden Wohnhäuser nicht abgebrannt. (AZ)

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