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Hochwasserkatastrophe trifft Industrie hart: Betriebe im Kreis Günzburg kämpfen sich zurück

Landkreis Günzburg

„Wie auf der Titanic“: So hat die Industrie im Kreis das Hochwasser erlebt

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    Die Günz stand mehr als einen Meter hoch auf dem Gelände der Chemischen Fabrik (im Hintergrund).
    Die Günz stand mehr als einen Meter hoch auf dem Gelände der Chemischen Fabrik (im Hintergrund). Foto: Mario Obeser

    Dass er mit einem Kanu einmal durch seine Chemische Fabrik in Waldstetten paddeln würde, hätte sich Stefan Bucher vor dem Hochwasser im Juni nicht ausmalen können. Wassertiefen von 1,50 Meter hatte Bucher in seinem Betrieb, der Pegel der Günz stieg knapp dreimal höher als vorausgesagt. Am 13. April wurde die Abschlusspräsentation für das Projekt Hochwasserschutz den Mitarbeitern vorgestellt, das sie in der Fabrik hätten umsetzen wollen. Ein „bescheidenes“ Timing, so Geschäftsführer Bucher. „Wären wir damit früher dran gewesen, wären wir entspannt auf unserem Damm gesessen.“ Die Überschwemmungen Anfang Juni haben einige Unternehmen und die örtliche Industrie schwer getroffen. Produktionsstätten standen still, Hallen wurden überflutet, Infrastruktur hat Schaden genommen. Neben den betrieblichen Folgen der Naturkatastrophe geht es in den Unternehmen aber vor allem um gelebte Solidarität.

    In Burgau mussten die Trocknungsgeräte ins Trockene gebracht werden

    „Wasserschäden können sich als echtes Fiasko entpuppen“, so steht es auf der Internetseite der Firma Tronex aus Burgau, die für die Sanierung von Wasserschäden bekannt ist, und jetzt selbst vom Hochwasser diesem Fiasko ausgesetzt war. Eine skurrile Situation, wie Geschäftsführer Stefan Oberschmid es beschreibt. „Links und rechts vom Betriebsgelände schoss ein weiterer Fluss vorbei“, erinnert sich Oberschmid. Teile des Gebäudes und einer Lagerhalle standen unter Wasser. Rund 2000 Trocknungsgeräte, die sonst an Kunden zur Sanierung von Wasserschäden ausgegeben werden, mussten ins Trockene gebracht werden. „Wir wussten, wenn wir komplett ausfallen, wird es für die Region schwierig, weil wir einer der größten Anbieter für Trocknungsgeräte sind und die Menschen diese Geräte dringend brauchen werden“, sagt Oberschmid. Zusätzliche Hochregale wurden dank schneller logistischer Höchstleistung bis in die Nacht aufgebaut und alle Geräte in höhere Etagen verfrachtet. An den Gebäuden entstand nur geringer Schaden, dafür sei die IT komplett ausgefallen, heißt es aus dem Unternehmen.

    In den vergangenen Wochen seien die Mitarbeiter von Tronex vermehrt ausgerückt, um überflutete Keller, öffentliche Einrichtungen oder Gewerbeimmobilien zu retten. Teilweise sind die Keller oder Aktenlager voller Wasser gelaufen. „Wir hatten in der ersten Woche nach dem Hochwasser bereits 1000 Trocknungsgeräte ausgeliefert.“ Über ein bundesweites Netzwerk sei man gut aufgestellt und habe auf weitere Geräte zugreifen können. So seien in der Region inzwischen rund 4000 Geräte im Einsatz. Das alles ohne funktionierende IT zu organisieren, sei eine Mammutaufgabe gewesen, so Oberschmid. Mit Unimogs der Feuerwehr wurden Rechner und Server an einen externen Standort nach Augsburg gebracht. So konnte die IT-Infrastruktur neu aufgebaut werden und bereits am Montagabend nach dem Flutwochenende die Nothilfe im Schulterschluss mit dem Landratsamt Günzburg anlaufen.

    In der Fertigung der Krumbacher Firma Lingl stand das Wasser etwa 40 Zentimeter hoch.
    In der Fertigung der Krumbacher Firma Lingl stand das Wasser etwa 40 Zentimeter hoch. Foto: Peter Bauer

    Auch in Waldstetten kehrt der Alltag wieder ein: „Seit ungefähr einer Woche laufen wir mit der Produktion wieder bei 80 bis 90 Prozent“, so Chef Stefan Bucher. Er könne es selbst kaum glauben. Da sein Chemiewerk der Störfall-Verordnung unterliegt, sei nach den Wasserschäden besondere Vorsicht geboten gewesen. In der ersten Phase ging es darum, das Wasser herauszubekommen, danach folgten die Aufräum- und Reinigungsarbeiten. In Phase 3 ging es um die Instandsetzung und vor allem mehrere Prüfungen und Testläufe standen an. Erst dann konnte langsam wieder hochgefahren werden. Der Leiter möchte das Positive aus der Katastrophe mitnehmen, er betont, was seine Mannschaft im Stande sei zu leisten. Auch wenn es genau die Büros erwischt habe, die in den vergangenen Jahren energetisch saniert wurden und sich das Team gefühlt habe „wie auf der Titanic“ – „wir lernen daraus“.

    Das Gelände der Chemischen Fabrik hat nicht nur ein HQ100, sondern ein HQ10.000 erlebt.
    Das Gelände der Chemischen Fabrik hat nicht nur ein HQ100, sondern ein HQ10.000 erlebt. Foto: Sammlung CFKB

    Die BWF-Group mit Hauptsitz in Offingen hatte Glück im Unglück. Eine gute Vorbereitung haben den Betrieb wohl vor einer größeren Katastrophe bewahrt, teilt Gesellschafter Maximilian Offermann mit. "Wir sind sehr dankbar, dass der Landrat den Katastrophenfall so früh ausgerufen hat. Das hat die Vorbereitungen erleichtert und viele sensibilisiert", sagt Offermann. Weil man nah an der Mindel liege, habe das Unternehmen den Hochwasserschutz immer schon sehr ernst genommen. Die Werksfeuerwehr hatte bereits einen provisorischen Damm fertiggestellt, bevor die Wassermassen kamen, die den Ort großflächig überflutet haben. Größerer Schaden an Anlagen und Gebäuden konnten so vermieden werden. Vier Schichten in der Produktion seien ausgefallen. Das habe keine größeren betriebswirtschaftlichen Auswirkungen gehabt. Für die MitarbeiterInnen in Offingen und Umgebung, die privat schwer getroffen wurden, sei die Lage anders, so der BWF-Chef. „Hier stehen Existenzen auf dem Spiel. Wir unterstützen mit materieller und finanzieller Hilfe sowie mit Sonderurlaub.“

    Betriebe in Deisenhausen standen bis zu zwei Meter unter Wasser

    Im südlichen Landkreis hat es besonders die Unternehmen in Deisenhausen, direkt an der Günz, getroffen. „Bei uns ist das komplette Industriegebiet abgesoffen“, berichtet Bürgermeister Bernd Langbauer, „da hat es alle richtig erwischt.“ In manchen Betrieben sei das Wasser bis zu zwei Meter hoch gestanden, die Schadensaufarbeitung halte immer noch an. Viele Maschinen und Gefährte sind kaputt, Büros in Container ausgelagert. „Es geht schon wieder weiter, aber es ist alles schwieriger“, fasst Langbauer die Situation zusammen.

    Etwas besser sieht die Lage bei Investor Hermann Frentzen aus. Er ist Gesellschafter der Krumbacher Traditionsfirma Lingl, die unter anderem als Ausrüster von Ziegeleien bekannt ist. „Ich kann nicht klagen, wir sind mit weniger als einem blauen Auge davongekommen. Auch wenn es deutlich mehr als bei einem Jahrhunderthochwasser war“, sagt Frentzen. Die Firma, direkt an der Kammel gelegen, sei durch etliche Vorsichtsmaßnahmen und Alarmpläne auf ein Hochwasser vorbereitet. Die Flut drang dennoch in der Nacht von Freitag auf Samstag in die Fertigung ein und setzte über 20.000 Quadratmeter etwa 40 Zentimeter unter Wasser. Am Sonntag sei das Wasser wieder abgelaufen, übrig blieben Dreck und Schlamm. Trotzdem konnte der Betrieb recht schnell wieder aufgenommen werden: „Die Einschränkungen sind kaum nennenswert. Und das haben wir vor allem dem Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu verdanken.“

    Auch im Krumbacher Norden, in dem sich bedeutende Firmen wie Indorama befinden, ist das Hochwasser extrem gewesen.
    Auch im Krumbacher Norden, in dem sich bedeutende Firmen wie Indorama befinden, ist das Hochwasser extrem gewesen. Foto: Peter Bauer

    Der Zusammenhalt unter den Kolleginnen und Kollegen und einem souveränen Management, das das Team immer wieder strukturiert durch die Krise manövriert hat, ist auch Simone Liebhaber, Personalerin bei dem Krumbacher Unternehmen Indorama Ventures Mobility, in Erinnerung geblieben: „Trotz der Katastrophe haben wir als Gruppe angepackt und das ganze Wochenende gegen das Wasser gekämpft.” Teile der Büros seien überflutet worden, die Produktion, normalerweise in Vier-Schicht, musste für ein paar Tage eingestellt werden. „Wasser und Technik verträgt sich bekanntlich nicht gut. Daher mussten alle Maschinen und Anlagen überprüft werden, das hat etwas gedauert. Sicherheit geht vor“, sagt Liebhaber. Doch schon zu Beginn der Woche konnte die Produktion wieder hochgefahren werden. Was bleibt, ist der hohe bürokratische Aufwand: “Das ist mehr, als ich erwartet habe. Ähnlich dem Hochwasser – mit so viel hatte kaum jemand gerechnet.”

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