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Gundremmingen: AKW Gundremmingen ist abgeschaltet: Atomgegner jubeln, Befürworter sprechen von "Irrsinn"

Gundremmingen

AKW Gundremmingen ist abgeschaltet: Atomgegner jubeln, Befürworter sprechen von "Irrsinn"

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    Das Atomkraftwerk Gundremmingen ist abgeschaltet worden.
    Das Atomkraftwerk Gundremmingen ist abgeschaltet worden. Foto: Bernhard Weizenegger

    Schon oft ist die Dampfwolke über dem Atomkraftwerk (AKW) Gundremmingen im Nebel verschwunden. Am Silvestervormittag hingegen ist bestes Wetter, als sich Mitglieder des Vereins Nuklearia auf dem Radweg gegenüber der Zufahrt treffen. Es dampft noch stark aus dem Kühlturm von Block C, dabei hatte RWE bereits vor Wochen damit begonnen, die Leistung abzusenken. Offiziell angemeldet bei der Polizei sind für dieses zwanglose Zusammenkommen inklusive "Gräbelesbier" gut 30 Personen, zum Beginn um 11 Uhr sind es noch nicht so viele. Während sie die für den Abend geplante Abschaltung der Anlage bedauern und den Atomausstieg in Deutschland für einen Fehler halten, sollen am Nachmittag Gegner der Kernenergie zusammenkommen. Von knapp 100 spricht Burgaus Polizeichef Stefan Eska dabei, der selbst vor Ort ist. Unterdessen laufen im Kraftwerk die Vorbereitungen, um den letzten hier noch laufenden Block C vom Netz zu nehmen.

    FDP-Landtagsabgeordneter am AKW Gundremmingen: Atomausstieg ist "Irrsinn"

    Zu dem Nuklearia-Treffen hat sich auch der Bayerische Landtagsabgeordnete Albert Duin gesellt, Sprecher der FDP-Fraktion für Wirtschaft, Energie und Tourismus. Er sei seit jeher ein Befürworter der Kernenergie, sagt er, und der Ausstieg sei "Irrsinn". Er hoffe, dass die Energiewende gelinge, sei da aber nicht sehr zuversichtlich. Er gehe davon aus, dass Deutschland einen Strommangel erleben werde, der schädlich für die Industrie sei. "Es ist alles ideologisch vergiftet" - während im Ausland weiter an der Zukunft der Kernenergie geforscht werde, stehe man im Inland ziemlich allein da, wenn man sich für diese ausspricht. So wie er selbst. Es werde sich in Zukunft zeigen, wer die wirklich "Verrückten" seien.

    In dieselbe Richtung geht der AfD-Landtagsabgeordnete und AfD-Vize in Bayern, Gerd Mannes. In einer Pressemitteilung schreibt der energiepolitische Sprecher seiner Fraktion: "Weder Photovoltaik noch Windkraft ermöglichen einen stabilen Netzbetrieb. Die Energiewende stellt uns daher vor extreme und utopische Herausforderungen." Es stelle sich die Frage, wo denn überhaupt all die nötigen Windräder oder Photovoltaikanlagen gebaut werden sollen. "Es ist die Aufgabe der AfD als Hort energiepolitischer Vernunft, künftig zu verhindern, dass die letzte Tür für eine mögliche Rückkehr zur Atomenergie zugeschlagen wird.“

    Erinnerungsfotos vor den Kühltürmen des Atomkraftwerks Gundremmingen

    Gekommen nach Gundremmingen zu Deutschlands einst leistungsstärkstem und ersten in Betrieb genommenen kommerziellen Atomkraftwerk ist auch Manfred Büttner. Der heute 66-Jährige war an Silvester 2017 dabei, als Block B heruntergefahren wurde. Er trägt seinen alten Werkausweis mit Stolz, mit seiner Präsenz an diesem Vormittag will er die früheren Kollegen unterstützen. Seit der Abschaltung vor vier Jahren sei er noch für die World Association of Nuclear Operators, also den Weltverband der Kernkraftwerksbetreiber, tätig gewesen. "Sein" Kraftwerk lässt ihn nicht so einfach los.

    Manfred Büttner war bei der Abschaltung von Block B des Atomkraftwerks Gundremmingen an Silvester 2017 dabei. Nun ist er am 31. Dezember 2021 ans Kraftwerk gekommen, um sein Kraftwerk ein letztes Mal in Betrieb zu sehen. Er trägt noch seinen alten Mitarbeiterausweis.
    Manfred Büttner war bei der Abschaltung von Block B des Atomkraftwerks Gundremmingen an Silvester 2017 dabei. Nun ist er am 31. Dezember 2021 ans Kraftwerk gekommen, um sein Kraftwerk ein letztes Mal in Betrieb zu sehen. Er trägt noch seinen alten Mitarbeiterausweis. Foto: Christian Kirstges

    Auch "einfache" Bürgerinnen und Bürger drehen an Silvester noch eine Runde um die Anlage. Manche mit dem Auto inklusive eines Schnappschusses aus dem Fenster beim Anhalten, andere zu Fuß. Hier ist es ein Vater mit seinem Sohn, da sind es gleich mehrere Personen. Und Angela Hagenbusch sowie Frank Pietschmann. Sie wohnen in Sontheim, von zu Hause aus können sie den Dampf aus Gundremmingen sehen. Früher, sagt Pietschmann, sei er ein Befürworter der Kernenergie gewesen. Doch seit dem Unglück von Fukushima habe sich das geändert. Dass den technologisch so erfahrenen Japanern eine solche Tragödie passiert ist - das habe ihn zum Nachdenken gebracht. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschiede er sich nun vom AKW Krebsfälle in der Region und den Atommüll nennt sie als Schlagworte. Beide hoffen, dass Deutschland stark genug sei für die Energiewende und dass das Zwischen- nicht zum Endlager wird. So oder so: Ein Erinnerungsfoto vor den Kühltürmen wollen beide noch machen.

    Atomkraftgegner versammeln sich am Infozentrum des AKW Gundremmingen

    Am Nachmittag ist dann deutlich mehr Betrieb am Kraftwerk. Zur letzten Mahnwache in bisheriger Form auf dem Parkplatz vor dem Infozentrum sind nicht nur Mitglieder der Aktionsgruppe Mahnwache Gundremmingen und der Bürgerinitiative Forum gekommen, sondern auch des Bund Naturschutz und der Grünen. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben Kinder und Hunde dabei. Thomas Wolf, Mahnwachen-Urgestein, sagt: "Ich werde grinsen wie ein Honigkuchenpferd, wenn ich die Kühltürme ohne Dampf sehe." Das quittiert die Menge auf dem gut gefüllten Parkplatz am Infozentrum mit Applaus - wie auch den Dank an die Polizei und den Werkschutz für das "freundschaftliche Verhältnis". Der Sicherheitsdienst, der auch jetzt patrouilliert, habe früher sogar mal eine Tasse Cappuccino und einen Regenschirm spendiert. Dank gibt es ebenso für die Reaktorfahrer, die den "gefährlichen" Betrieb "ohne Katastrophe" gemanagt hätten. "Da waren Spezialisten am Werk."

    Mitglieder der Mahnwache Gundremmingen, der Bürgerinitiative Forum, der Grünen und vom Bund Naturschutz haben sich am 31. Dezember 2021 am Atomkraftwerk Gundremmingen versammelt, um dessen Abschaltung zu feiern - und auf weiterhin bestehende Gefahren hinzuweisen.
    Mitglieder der Mahnwache Gundremmingen, der Bürgerinitiative Forum, der Grünen und vom Bund Naturschutz haben sich am 31. Dezember 2021 am Atomkraftwerk Gundremmingen versammelt, um dessen Abschaltung zu feiern - und auf weiterhin bestehende Gefahren hinzuweisen. Foto: Christian Kirstges

    Ein letztes Mal nach gut 30 Jahren wird der Mahnwachentext vor dem Kraftwerk verlesen, in dem unter anderem an die Opfer von Unglücken im Zusammenhang mit der Kernenergie erinnert wird. Danach folgen ein Gong und eine Schweigeminute. Raimund Kamm von der Bürgerinitiative erinnert daran, dass es auch Zeiten ohne größeren Widerstand gegen die Anlage gegeben habe - und wie wichtig es sei, diesen zu verstetigen. Angesichts der Gefahr, dass in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten das Bewusstsein für die Probleme und Risiken der Kernenergie samt ihrer Hinterlassenschaften verloren gehen könnte, müsse man weiter darauf hinweisen. Wie man sich auch für klimaneutrale Prozesse einsetzen müsse.

    Auch die Bayerische Grünen-Vorsitzende ist zum AKW Gundremmingen gekommen

    An diesem "großen Tag" spricht ebenfalls Eva Lettenbauer, Vorsitzende der Bayerischen Grünen und Landtagsabgeordnete. Viele hätten gegen "den Irrsinn der Atomkraft gekämpft", am besten sollten die noch verbliebenen Atomkraftwerke direkt vom Netz gehen. Denn auch ohne den Siedewasserreaktor in Gundremmingen, "eine der gefährlichsten Technologien überhaupt", und die Atomkraft generell sei die Stromversorgung gesichert. Wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien endlich vorankomme, müsse man auch keine Energie mehr importieren.

    Der Ehrenvorsitzende des Bund Naturschutz in Bayern, Hubert Weiger, erinnert an Zeiten, als es angesichts der Atomenergie hauptsächlich Euphorie gegeben habe. Wer anderer Ansicht war, sei schief angeschaut und mitunter Aggressionen ausgesetzt gewesen, berichtet auch Gerd Olbrich, Vorsitzender der Günzburger SPD-Kreistagsfraktion. Weiger betont, er zolle denen, die den Atomausstieg beschlossen haben, Respekt: "Es gehört mehr Mut dazu, umzudenken, als bei einer falschen Position zu bleiben." Es handele sich um eine "Unglückstechnologie", eine friedliche und zivile Nutzung gebe es dabei nicht. Vielmehr werde nach Atomwaffen gestrebt, "um der Menschheit den Garaus zu machen". In Gundremmingen stehe zudem eines der unsichersten Atommüll-Zwischenlager Deutschlands. Es brauche nun "Bürgerenergie", bürgerliches Engagement, um die Energiewende zu schaffen. Etwas, das unter der Regierung Merkel ausgebremst worden sei. Während er spricht, wird die Dampfwolke bereits merklich schwächer.

    Kernenergievorstand der RWE Power ist beim Abschalten des AKW Gundremmingen dabei

    Um 20 Uhr ist es schließlich soweit: Die diensthabende Schichtmannschaft trennt den Generator von Block C vom Stromnetz. Kurz darauf schaltet sie den Reaktor nach den Regelungen im Atomgesetz endgültig ab. Der letzte Abfahrvorgang erfolgt im Beisein von Nikolaus Valerius, Kernenergievorstand der RWE Power, Anlagenleiter Heiko Ringel und einem Vertreter des Bayerischen Umweltministeriums als zuständiger Aufsichtsbehörde.

    Heiko Ringel, Leiter des Kernkraftwerks Gundremmingen, Gerhard Hackel, Leiter Produktion, Nikolaus Valerius, Kernenergie-Vorstand der RWE Power, und Ulrich Schuster, Reaktorfahrer (von links), auf der Schaltwarte von Block C. Der Reaktorfahrer trägt als Schicht-Teammitglied in diesem Fall auf der Warte keine Maske, weil dort alle Kollegen geimpft und getestet sind.
    Heiko Ringel, Leiter des Kernkraftwerks Gundremmingen, Gerhard Hackel, Leiter Produktion, Nikolaus Valerius, Kernenergie-Vorstand der RWE Power, und Ulrich Schuster, Reaktorfahrer (von links), auf der Schaltwarte von Block C. Der Reaktorfahrer trägt als Schicht-Teammitglied in diesem Fall auf der Warte keine Maske, weil dort alle Kollegen geimpft und getestet sind. Foto: Christina Kreibich, RWE

    Nach achtjähriger Bauzeit war der Block im März 1985 erstmalig ans Netz gegangen. Seither hatte er – abgesehen von Revisions- und Wartungsphasen – rund um die Uhr um die 362 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt, schreibt RWE in der Mitteilung zur Abschaltung. Die gesamte am Standort Gundremmingen in 37 Betriebsjahren erzeugte Energiemenge beläuft sich auf etwa 709 Terrawattstunden. Damit lasse sich der jährliche Gesamtstromverbrauch in Bayern für fast zehn Jahre abdecken. "Mit der Abschaltung des letzten Siedewasserreaktors in Deutschland wurde am Standort Gundremmingen eine Ära beendet", erklärt Valerius, der die Leistung der Belegschaft würdigt.

    Religiöse Besinnung der Mahnwache Gundremmingen am 2. Januar

    Für die Mahnwache ist ihre Tätigkeit in Gundremmingen indes nicht beendet. Das neue Jahr beginnt sie am 2. Januar direkt mit einer religiösen Besinnung unter dem Motto „Prosit Neujahr - Sekt und Selters” am Haupttor des Atomkraftwerks. Weitere mit der Abschaltung von Block C "ist die Ära der Atomenergie noch lange nicht beendet", wird auf der eigenen Internetseite betont. Der Rückbau sei auch kein Kinderspiel und das Atommüll-Zwischenlager wird wohl wegen der schleppenden Endlagersuche über das Jahr 2046 hinaus und damit länger als bislang genehmigt in Betrieb bleiben.

    Während zum Jahresende auch die Kraftwerke Grohnde und Brokdorf vom Netz gingen, sind bis Ende 2022 in Bayern noch das Kraftwerk Isar2 und bundesweit zudem Neckarwestheim2 und Emsland in Betrieb. Dann wird die Ära der Atomstromproduktion in Deutschland Geschichte sein - auch wenn Befürworter wie die Nuklearia sich weiter für eine solche einsetzen wollen.

    Hören Sie sich dazu auch unsere Podcast-Serie "Gespalten – Gundremmingen und das Ende der Atomkraft" an:

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