Gut ein Jahr ist es her, dass sich Christine Bayerle ihren bayernweiten Aufruf gestartet hat. Die Leiterin der Tagesstätten für seelische Gesundheit in Günzburg und Krumbach bat darum, den beiden Einrichtungen der Bezirkskliniken Schwaben alte Schulkarten zu überlassen. Die Besucherinnen und Besucher der Tagesstätten, denen hier tagesstrukturierende Tätigkeiten angeboten werden, sollten daraus kunstvoll gestaltete Lampenschirme für Stehlampen machen. Was ist aus der Aktion geworden? Mit ein paar Worten zusammengefasst: eine ganze Menge.
Christine Bayerle und ihre Mitstreiter hatten im Oktober 2023 nicht geahnt, welche positive Welle sie mit ihrer Idee entfachen würden. Neben der Günzburger Zeitung und den Mittelschwäbischen Nachrichten berichteten Radio- und Fernsehsender, außerdem erhielt sie zahllose Telefonate und E-Mails. „Mittlerweile haben wir etwa 5000 Karten von etwa 85 Schulen in Bayern abgeholt und zwischen 150 und 200 Stehleuchten verkauft“, zieht die Leiterin als Zwischenfazit. Aus der Aktion ist ein vom Bezirk gefördertes Zuverdienstprojekt geworden. Angesichts der Dimension wurde durch die Förderung eine Teilzeitstelle geschaffen und im September mit der angehenden Ergotherapeutin Melanie Knoll besetzt. „Sie fängt als Managerin für soziale Projekte jetzt mit dem Katalogisieren der Karten an. Ehrlich gesagt haben wir immer noch keinen vollständigen Überblick über alles“, berichtet Bayerle.
Aus den alten Schulkarten entstehen im Kreis Günzburg neue Produkte
Außerdem wurde die Produktpalette erweitert: Neben Lampen in verschiedenen Größen und Motiven gehören mittlerweile auch eine Notizbuch- und Heft-Fertigung zum Zuverdienstprojekt. Aus alten Bildkalendern und Restmotiven aus der Lampenproduktion werden Einbände und Umschläge hergestellt. Zum Beispiel kann man ein Reisetagebuch mit Ausschnitten einer Karte des Reiselandes beziehen lassen.
Die Tagesstätten haben fünf Lager für ihre gesammelten Schätze eingerichtet. Gemeinsam mit ihren Mitarbeitern fuhr Christine Bayerle in ganz Bayern Schulen ab, um die angebotenen Karten abzuholen. Aus dem riesigen Fundus kamen Raritäten zum Vorschein, etwa eine Biologiekarte aus dem Jahr 1864, eine große Wandkarte vom Mond oder eine Südafrika-Karte von 1925. Diese Karten sollen nicht zerschnitten werden, um Lampen daraus zu basteln, sondern angesichts ihres Wertes zum Beispiel einem Schulmuseum oder einem Planetarium überlassen werden.
Der Erlös aus dem Verkauf fließt wieder zurück in das Projekt
Die mitwirkenden Besucher der Tagesstätten haben die Sicherheit, dass das Zuverdienstprojekt ganz lange anhalten und über Jahre laufen wird. Es ist nicht das Ziel, in Massenproduktion zu gehen. Vielmehr liegt der Fokus darauf, bei der Produktion das Credo der Tagesstätten umzusetzen. „Jeder kann sich nach seinen Kräften und Möglichkeiten einbringen und beteiligen - ohne Stress und Produktionsdruck.“ Auch müsse nicht alles perfekt sein, so die Initiatoren. Etwa fünf bis sechs Stunden dauert es, bis beispielsweise eine Stehlampe fertig ist. Der Erlös fließt zurück ins Projekt. Auch die Teilnehmenden bekommen eine Entschädigung für ihre Arbeit, in Form einer „Motivationspauschale“.
Unter den gespendeten Karten waren viele Kunststoffkarten, sodass sich bald die Frage stellte, wie man diese verwenden könnte, berichtet Bayerle. Für die Lampenschirmproduktion seien sie jedenfalls ungeeignet. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, diese ebenfalls an soziale Einrichtungen zu spenden, beschloss das Tagesstätten-Team, es selbst mit der Wiederverwertung zu versuchen. Herausgekommen sind individuelle Taschen, die aus den Kunststoffkarten hergestellt werden. Diese sind in verschiedenen Größen und Modellen erhältlich.
Auch hier gilt: Bei allen Produkten handelt es sich um Unikate, keines sieht aus wie das andere. „Wir können dabei auch individuelle Wünsche berücksichtigen.“ Bei der Anfertigung werden die Tagesstätten von zwei sozialen Einrichtungen unterstützt: von Integra Soziale Dienste in Ingolstadt und von der Forensischen Klinik in Günzburg.
Unikate sind auch die Acrylbilder, die auf Wunsch mit den verschiedensten Motiven auf selbst angefertigte Leinwände gezeichnet oder gemalt werden. „Glücklicherweise kommen immer noch alte Schulkarten rein. Aktuell liegt eine Anfrage aus Baden-Württemberg vor, genauer gesagt aus Heilbronn“, teilt Christine Bayerle mit. Während sie über das Zuverdienstprojekt berichtet, klingelt das Telefon. Eine Schule am Chiemsee ruft an: Der Anrufer kündigt eine neue Kartenlieferung an. Die Leiterin strahlt und bedankt sich herzlich. „Damit können noch mehr Menschen von dem Projekt profitieren.“ Die Aktion geht weiter. (AZ)
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