Eigentlich hätte die Ökumenische Sozialstation in Günzburg heuer ein kleines Jubiläum feiern können. Jetzt sind die Räume total kaputt. Das Jahrhunderthochwasser ist hier durchgerauscht und hat einen gewaltigen Trümmerhaufen hinterlassen. Die komplette Einrichtung der Tagespflege, das Büro, alle Unterlagen und Dokumente, Medikamente und Vorräte sind vernichtet, sämtliche Fahrzeuge auf dem Hof zerstört. "Wir sind völlig abgesoffen", sagt Geschäftsführer Stefan Riederle. Dass es trotzdem gelungen sei, alle Patienten und Gäste der Tagespflege weiter zu versorgen, sei dem "Herzblut und Engagement" der Mitarbeitenden geschuldet. "Alle halten unglaublich zusammen", zieht Riederle tief den Hut. Eigentlich sei ihm zum Heulen zumute. Aber er bleibe zuversichtlich, "wir kriegen das hin".
Die Sonne scheint, die Günz fließt friedlich hinter dem Gebäude der Ökumenischen Sozialstation vorbei. Würde vorne an der Einfahrt zur Sozialstation nicht ein schwarzes Auto im Busch hängen und auf dem Parkplatz ein weißes Auto auf dem Dach liegen, könnte man meinen, es hätte niemals eine Hochwasserkatastrophe gegeben. Ein Bagger ist gerade dabei, die zerstörten Fahrzeuge und damit die letzten offensichtlichen Spuren zu beseitigen. Stefan Riederle steht daneben und kann nur den Kopf schütteln: "Was hier passiert ist, kann sich keiner vorstellen. Damit hat keiner gerechnet." Als der Katastrophenfall ausgerufen wurde, habe man noch Sandsäcke hinter dem Haus aufgeschichtet. Einen Tag später sei das Wasser aber von vorne, aus Richtung der Grundschule herangeschossen. "Das war Wahnsinn", sagt der Geschäftsführer.
Eine Mitarbeiterin des ambulanten Pflegedienstes wollte an jenem Sonntag um 6 Uhr morgens im Büro im Keller des Gebäudes die Schlüssel und Medikamente für die Patienten abholen. Die Feuerwehr verwehrte ihr den Zugang, das Gebiet müsse evakuiert werden. Die Mitarbeiterin rief sofort Christa Grötzinger an, die stellvertretende Pflegedienstleiterin, die sich aufs Fahrrad schwang und über Schleichwege in die Nähe der Sozialstation kam. Das Wasser sei schon kniehoch gestanden, erzählt sie. Ein Feuerwehrmann habe sie umgehend weggeschickt. Erst 48 Stunden später hat sie erstmals wieder die Räume oder besser das Chaos, das die Fluten hinterlassen haben, wieder betreten. "Es hat ausgeschaut, als hätte jemand alles kreuz und quer durcheinander geschmissen." 1,20 Meter hoch sei das Wasser im Erdgeschoss gestanden, die dreckigen Fenster und die braunen Wände bewiesen es. Der Keller war total geflutet.
An diesem Montag ist nichts mehr davon zu sehen. Innerhalb weniger Tage haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Erd- und Untergeschoss ausgeräumt. Abgesehen von ratternden Trocknungsgeräten sind sämtliche Räume leer, der Sperrmüll ist schon abtransportiert. Dass alles so schnell funktioniert hat, grenzt für Riederle an ein kleines Wunder. "Von Stunde null an haben das alle gemeinsam gewuppt." Und zeitgleich die Patientenversorgung organisiert – wohlgemerkt ohne Strom, Telefonverbindung und EDV. Die Mitarbeitenden hätten nach dem Wochenende sofort den Ambulanten Pflegedienst wieder aufgenommen, in Privatautos alle Patienten im Landkreis angesteuert.
Gäste der Tagespflege werden in Ettenbeuren und Gundremmingen betreut
Auch die 20 Gäste der Tagespflege wurden keine zwei Tage später wieder betreut, natürlich nicht mehr in Günzburg, sondern in den weiteren Tagespflegen der Sozialstation in Ettenbeuren und Gundremmingen. "Das gibt Mut, den Blick nach vorn zu richten, weiterzumachen", sagt Christa Grötzinger, auch wenn einem nicht danach zumute sei. Erich Häuser, der bis 2022 mehr als 20 Jahre lang Aufsichtsratsvorsitzender war, wirft an diesem Vormittag einen ersten Blick ins Gebäude und ist fertig mit den Nerven. "Es war alles so schön gemacht", sagt er. "Und jetzt? Es ist echt schlimm."
Die Bilder, die Stefan Riederle auf dem Handy durchwischt, zeigen noch viel Schlimmeres. Im Wasser schwimmende Autos, verdreckte und von der Wucht des Wassers umgeworfene Holztische, Stühle und Sessel, im Keller übereinander gestapelte Regale, Schränke und Schuttberge. Medikamente seien ersetzbar, nicht aber Dokumente und Unterlagen der vergangenen Jahrzehnte. "Unser Archiv ist vernichtet, die Sozialstation von 1980 bis 2022 hat aufgehört zu existieren", bedauert der Geschäftsführer und wirkt verzweifelt. Zu Erich Häuser sagt er: "Das war für uns ein Lebenswerk." Doch das Lächeln ist schnell wieder in seinem Gesicht. "Eine Woche ist vorbei, es läuft, und das ist toll. Wenn alles so gut weiterläuft, bin ich zuversichtlich." Ohne Zusammenhalt, das Mitanpacken und dem Optimismus aller wäre es aber nicht gegangen, betont Riederle.
Feuerwehr und THW pumpten den Keller leer. 30 Leute der Sozialstation und Freiwillige hätten in wenigen Stunden das Chaos im Keller beseitigt. Darunter auch ein paar kräftige Jungs der Schwabenhilfe Augsburg, "die waren Gold wert", lobt der Geschäftsführer. Jetzt muss noch der letzte Schlamm ausgesaugt werden, am Donnerstag wird ein Gutachter das Haus in Augenschein nehmen. Wie hoch der Schaden ist, kann Riederle nur schätzen. Eine Viertelmillion werde es wohl mindestens sein. Vielleicht können die Räume trotzdem bis Weihnachten saniert sein, hofft Riederle. "Wir haben eine große Aufgabe vor uns, aber das schaffen wir."