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Schreinerin geht „drei kurze Jahre und einen langen Tag“ auf die Walz

Großkötz

Schreinerin geht „drei kurze Jahre und einen langen Tag“ auf die Walz

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    Letzter Blick zurück: Schreinerin Dominique Mayer verlässt ihre Heimat Großkötz und begibt sich auf die Walz.
    Letzter Blick zurück: Schreinerin Dominique Mayer verlässt ihre Heimat Großkötz und begibt sich auf die Walz. Foto: Alexander Kaya

    Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, der sich da bietet: Es schüttet in Strömen und eine junge Frau mit schwarzem Hut auf dem Kopf und Gepäck auf dem Rücken sitzt auf dem Großkötzer Ortsschild. Es ist Montagnachmittag und vor dem Ortsende in Großkötz, Richtung Kleinkötz haben sich etwa 30 Menschen versammelt, um der Schreinerin Dominique Mayer vor ihrem Aufbruch zur Walz Glück zu wünschen. Das Klettern über das Ortsschild des Heimatortes ist die letzte von mehreren Traditionen, denen die 22-jährige Gesellin nachkommt, bevor sie 1096 Tage auf Wanderschaft ist. Trotz des schlechten Wetters lassen es sich die versammelten Familienmitglieder, Freunde, ehemaligen Arbeitskollegen und Gesellen nicht nehmen, die junge Frau gemeinsam zu verabschieden.

    Den Beruf der Schreinerin lernte Dominique Mayer erstmals bei einem ,,Girls-Day‘‘ während der Schulzeit kennen und er begeisterte sie direkt, erzählt sie. Nach mehreren Praktika und Ferienjobs in dem Handwerk, begann sie nach dem Abitur mit 18 Jahren ihre Ausbildung in der Schreinerei ,,Machauf‘‘ in Ichenhausen. Jetzt, vier Jahre später, wagt sie sich auf die Walz, zieht von Ort zu Ort, um in verschiedenen Betrieben zu arbeiten und zu lernen. ,,Insgesamt muss die Wanderschaft genau einen Tag länger dauern als die Ausbildung, also mindestens drei Jahre und einen Tag“, weiß sie. Viel Zeit, um neue Menschen, Betriebe, Techniken und Kulturen kennenzulernen. ,,Mein Umfeld hat positiv reagiert, und alle fanden es cool, aber Mama war ganz traurig‘‘, erklärt die angehende Wandergesellin.

    Wandergesellen müssen 80 Zentimeter tiefes Loch graben

    Denn die Traditionen verlangen der Familie viel ab: Die gesamte Zeit muss Dominique auf ihr Handy verzichten, die ersten drei Monate ist nicht einmal Kontakt zu Freunden und Familie erlaubt, erklärt sie. Erst danach kann sich die junge Schreinerin, die kurz Domi genannt wird, dann mithilfe von Briefen, Postkarten oder fremden Telefonen zu Hause melden. Während der drei Jahre muss sie jedoch einen Mindestabstand von 50 Kilometern zu ihrem Heimatort Großkötz einhalten, ergänzt die angehende Wandergesellin.

    Die wenigen verbleibenden gemeinsamen Stunden heißt es also noch voll ausnutzen. Trotz des schlechten Wetters und des anstehenden Abschieds ist die Stimmung unter den Anwesenden fröhlich: Die Wandergesellen singen Lieder, es gibt Kaffee und Kuchen, der unter einem aufgebauten Pavillon verteilt wird. Dann geht es richtig zur Sache, die Tradition will es so. Ein 80 Zentimeter tiefes und schulterbreites Loch muss vor dem Ortsschild gegraben werden. Tapfer gräbt die junge Frau mit verschiedenen Werkzeugen, die sie von den Anwesenden leiht, sogar mit einem Hufkratzer und einem Meterstab. Leicht ist die Aufgabe im strömenden Regen nicht. Um sicherzugehen, dass die vorgegebenen Maße stimmen, wird Dominique Mayer von zwei Wandergesellen hochgehoben, kopfüber gedreht und kurzerhand in das gegrabene Loch gesteckt. Die Anwesenden schauen erschrocken, einige lachen. Doch die Schreinerin hat volle Arbeit geleistet, die Maße passen.

    Viele Wandergesellen begleiteten den Abschied der jungen Frau.
    Viele Wandergesellen begleiteten den Abschied der jungen Frau. Foto: Alexander Kaya

    Als sie wieder auf ihren Füßen steht, erzählt sie, dass sie ihre Füße in der nächsten Zeit gut gebrauchen wird. Da sie auf der Walz für Unterkunft und Transport kein Geld ausgeben darf, wird sie wohl öfters trampen und weite Strecken laufen müssen, berichtet die Großkötzerin. Schlafmöglichkeiten seien beispielsweise Unterkünfte beim Arbeitgeber oder bei gastfreundlichen Fremden. ,,In den Sommernächten kann ich auch mal draußen übernachten, ich habe ja einen Schlafsack dabei‘‘, erzählt die 22-Jährige. Auf die Frage, ob sich Mama Kerstin um das Älteste von insgesamt vier Kindern sorge, folgt ein klares Ja: ,,Vor allem die erste Zeit werde ich mich ständig fragen, ob es ihr gut geht.‘‘ Zum Glück wird ihre Tochter zunächst nicht ganz allein unterwegs sein, das erste Vierteljahr begleitet sie eine Wandergesellin, die momentan selbst auf der Walz ist.

    Wohin es sie ziehen wird, sagt die junge Handwerkerin nicht. Der Mama hat sie jedoch schon verraten, dass sie sich auch Ziele im Ausland, wie beispielsweise Holland oder Australien, vorstellen könnte, erzählt Mutter Kerstin. Ob sich die junge Schreinerin auch einen Nagel durchs Ohrläppchen schlagen lassen möchte, wie es viele Wandergesellen tun? ,,Momentan noch nicht“, sagt die 22-Jährige. „Aber gegen Ende der ersten drei Monate vielleicht. Es gehört ja irgendwie zur Tradition.‘‘

    Eine halbvolle Flasche mit Schnaps wird für die Rückkehr vergraben

    Die Zeit vor dem Aufbruch neigt sich dem Ende zu. Alle, die der jungen Frau noch etwas mit auf den Weg geben möchten, schreiben ihre Gedanken auf kleine Zettel, die in eine leere Flasche und anschließend in das gegrabene Loch kommen. Zusätzlich wird eine Flasche Schnaps gemeinsam bis zur Hälfte geleert. Der Rest wird vergraben, den darf die Schreinerin mit den Menschen trinken, die sie bei ihrer Rückkehr in frühestens drei Jahren und einem Tag empfangen werden. Den Versammelten ist die Wehmut anzumerken, als sie sich nach und nach noch einmal persönlich von der Schreinerin verabschieden.

    Als das wenige Gepäck über das Ortsschild an die etwa zehn Wandergesellen, die sie für die erste Woche begleiten, gereicht ist und die junge Schreinerin von oben auf dem Großkötzer Ortsschild einen letzten Blick in die Runde wirft, fließt die ein oder andere Träne. Dann klettert Dominique Mayer auf der anderen Seite herunter. Wie es die Tradition verlangt, läuft sie, ohne sich umzudrehen, mit den Wandergesellen los. Wie lange sie nun auf Wanderschaft bleiben möchte, ist noch nicht sicher. ,,Man sagt ja immer es sind drei kurze Jahre und ein langer Tag. Wie lang dieser Tag dann letztendlich ist, wird sich noch zeigen.“

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    8 Kommentare
    Maja Steiner

    Es gibt Traditionen, die müssten nicht unbedingt aufrecht erhalten werden.

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    Peter Zimmermann

    Wenn einem der Sinn und Hintergrund nicht klar ist kann man das so sehen, es hat allerdings einen wichtigen Hintergrund. In diesen Jahren lernt man andere Betriebe, Werkzeuge und Stiele kennen die einem nur ein Betrieb nicht in der Form bieten kann.

    Maria Reichenauer

    Ich denke, es ist eine schöne Tradition und es freut mich, dass es noch Gesellen gibt, die sie hochhalten. Man sieht viel lernt viel dazu, wenn man "auf der Walz" ist. Mag auch vieles an Drumherum nicht mehr ganz zeitgemäß sein – der Kern der Tradition ist sinnvoll und die Walz sicher lehrreich, für den Beruf und fürs Leben.

    Renate Frey

    Cool ist das schon, und man lernt bestimmt nicht nur andere Arbeitsweisen, sondern auch was für das Leben. Aber dann fängt man halt mit 25 Jahren hier in diesem Fall grad mal "richtig" zum arbeiten und Geld verdienen an. Da haben dann andere schon jede Menge fürs Eigenheim angespart.

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    Martin Dünzl

    Nicht jedermanns und jederfraus Glück allein das Eigenheim!...auch wenn uns das inzwischen im gesellschaftlichen Mainstream als die einzig erstrebenswerte Marschrichtung vorgelebt und gepredigt wird...

    Maria Reichenauer

    Berufs- und Lebenserfahrung sind mehr wert als ein schickes Haus. Heute spart eh keiner mehr fürs Eigenheim, jammert aber, wenn man mit zwanzig noch nicht die eigene Hütte dastehen hat. Aber runterbeißen kann man davon auch nicht, von einer guten Berufsausbildung kann man deutlich länger zehren.

    Martin Dünzl

    @Dominique Mayer: Wünsche prächtige Wanderjahre - das Hamsterrad kann warten!

    Thomas Keller

    Das ist eine fähige Handwerkerin die sehr viel noch lernen, und eine große Menschenkenntnis bekommen wird. Ich finde es mutig auf die Tippelei zu gehen und wünsche ihr gute Erfahrungen.

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