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Großkötz: Aus Wilhelm wurde Johanna, aus Verzweiflung wurde Lebensmut

Johanna Baader auf ihrem Balkon in Großkötz. Gärtnern ist eines ihrer vielen Hobbys.
Großkötz

Aus Wilhelm wurde Johanna, aus Verzweiflung wurde Lebensmut

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    Als Johanna Baader im Oktober 2015 in Rothenburg ob der Tauber von der Stadtmauer springen wollte, konnte sie an gar nichts denken. Als schneide man einem Seilzug das Seil durch und der Korb rase ungebremst hinab ins Dunkle. So beschreibt sie es später in ihrem Buch. Unvorstellbar wäre für Baader damals gewesen, ein paar Jahre später, mit einem Grinsen im Gesicht, dem eigenen Buch in der Hand und einer Kette mit dem Schriftzug „Luder“ um den Hals, das Frau-Sein zu zelebrieren. Zu diesem Zeitpunkt hat sich Johanna schon lange weiblich gefühlt, zumindest tief im Inneren. Damals versuchte sie aber noch irgendwie Willi zu sein, hauptsächlich der Familie und der damaligen Ehefrau zuliebe. Dass es einfach nicht mehr ging, bewies mitunter dieser Kurzurlaub in Rothenburg, der die Ehe retten sollte. Am Ende hielt Baaders Frau ihren damaligen Ehemann von der Verzweiflungstat ab.

    Johanna Baader aus Großkötz hat ein Buch über ihre Lebensgeschichte geschrieben
    Johanna Baader aus Großkötz hat ein Buch über ihre Lebensgeschichte geschrieben Foto: Sophia Huber

    Schon als Schulkind zeigte sich bei Wilhelm Johann Baader die eher weibliche Natur im Denken, Fühlen und Handeln. Heutzutage möge das gar nicht mehr so auffallen, doch in den 60er-Jahren war es außergewöhnlich, wenn ein Bub gerne Poesiealben pflegte, Handarbeiten erledigte oder sich in der sechsten Klasse zu einem Kochkurs anmeldete. "Zur damaligen Zeit fast eine kleine Revolution", sagt Baader und lächelt. Wenn die heute 63-Jährige über ihre Kindheit und Jugend als Willi spricht, kann sie sich gut in die damaligen Emotionen hineinversetzen, sich viel erklären, was sie damals noch nicht verstehen konnte. Weil sie jetzt, auf ihrem Sessel in ihrer Einzimmerwohnung in Großkötz interpretieren kann, warum der Bub, der sie einmal war, nie glücklich sein konnte.

    "Ich hatte oft nur die Liebe zu mir selbst."

    Transfrau Johanna Baaderundefined

    Aufgewachsen ist Baader in Peiting im Landkreis Weilheim-Schongau mit ihren zwei älteren Geschwistern, zu denen sie heute keinen Kontakt mehr hat, und ihrer Mutter. Der Vater starb früh bei einem tragischen Unfall, zur Mutter hatte Baader "ein Dienstverhältnis", wie sie es beschreiben würde. "Vorwürfe würde ich meiner Mutter aber nie machen, sie hatte ein schweres Leben", sagt die 63-Jährige. Rückblickend glaubt Baader, schon in der Kindheit habe sich bei ihr eine Art Selbstverliebtheit, später diagnostiziert als Narzissmus, herausgebildet. "Ich hatte oft nur die Liebe zu mir selbst."

    Liebe von anderen zu bekommen, das ließ sich der Jugendliche Willi jedoch auch nicht nehmen – auch wenn es nicht immer so klappte, wie gewünscht. Keine Beziehung zu einer Frau erfüllte den jungen Mann. Schon relativ früh als Jugendlicher erkannte Baader auch, warum. "Die weibliche Tendenz war immer da", erzählt die Transfrau, die seit 2019 in Großkötz wohnt. Die Handtasche und der Lippenstift der Mutter zogen früh die Aufmerksamkeit auf sich. In der Zeit, in der Wilhelm Baader keine Partnerin hatte, witterte die innere Weiblichkeit die Chance, aufzutauen. "Ich kaufte mir Damenstrümpfe und dazu passende Mokassins", beschreibt es Baader in ihrem Buch. Doch die Weiblichkeit blieb meist in der eigenen Wohnung verborgen.

    Bis es nicht mehr ging. Im Körper tobte ein Kampf zwischen Mann und Frau. Später kann Baader beide Seiten akzeptieren. Denn obwohl sie sich als Frau fühlt und lebt, gibt es auch Charakterzüge und Eigenschaften von Wilhelm, die blieben und ihr in vielen Situationen helfen sollten.

    Oben Wilhelm unten Johanna Baader.
    Oben Wilhelm unten Johanna Baader. Foto: Sophia Huber

    In Weilheim lernte damals noch Wilhelm Baader Anfang der 90er-Jahre seine spätere Frau kennen, die Mutter seiner beiden Söhne. Die innere Frau wurde damals ausgeblendet, so erklärt es sich Johanna Baader heute, warum sie überhaupt diese Familie gründete. Und ein weiterer Punkt kam hinzu: "Ich wollte etwas haben, das über meinen Tod hinauslebt." Baader und seine damalige Frau hätten nicht sonderlich gut zusammengepasst. Und auch wenn es intime Fakten sind, gehört es zur Geschichte: "Meine unfassbar schlechte Potenz hat eben gerade so für die beiden Kinder gereicht."

    Nie konnte sich Baader mit dem eigenen männlichen Geschlechtsteil anfreunden, geschweige denn, es akzeptieren. "Ich habe versucht, der Mann in der Familie zu sein. Aber konnte es nie. Trotz des gesellschaftlichen Drucks und dem, den ich mir selber machte, ist das Thema immer wieder hochgekocht", erklärt die Rentnerin heute. Die Jungs schämten sich für den Papa, der in roten Pumps durch die Stadt lief, die Ehefrau tat das Crossdressing und das weibliche Verhalten als Krankheit ab und hoffte, dass beides irgendwann vorübergehe. "Rund 1,8 Millionen Crossdresser, also Menschen, die gegengeschlechtliche Kleidung tragen, gibt es in Deutschland", so Baader. Sie glaubt, dass es noch mehr Menschen sind, die gerne die weibliche oder männliche Seite mehr ausleben würden, sich aber nicht trauen.

    "Sie wollte ihren Willi, den sie geheiratet hatte."

    Johanna Baader über die Ex-Frauundefined

    Mit dem endgültigen Coming-out von Johanna scheiterte der Kampf um das heile Familienleben. Baader versteht mittlerweile die Ex-Frau, das habe sie auch schon in der Phase der Trennung: "Sie wollte ihren Willi, den sie geheiratet hatte." Sie zuckt mit den Schultern. "Aber ohne Johanna würde es mich vielleicht nicht mehr geben." Nicht nur einmal war Baader während der gesamten Transformation zur Frau in psychiatrischer Behandlung. Immer wieder gab es schwere Depressionsschübe. Und doch immer wieder Hoffnung, dass alles gut wird.

    Transfrau Johanna Baader aus Großkötz ist stolz über ihren neuen Ausweis.
    Transfrau Johanna Baader aus Großkötz ist stolz über ihren neuen Ausweis. Foto: Sophia Huber

    An eine Panikattacke erinnert sie sich noch gut, es war bei einem Aufenthalt in Südafrika. Dort arbeitete einer ihrer Söhne auf einem Weingut. "Meine Söhne haben dort erkannt, wie schlimm es für mich ist, alleine gelassen zu werden und akzeptierten danach meine sensible Seite etwas mehr." Heute haben sie ab und zu Kontakt, in Baaders Küche steht ein Foto der beiden Söhne beim Spaghetti Kochen.

    2016 outete sich Baader als Frau, am 26. Oktober 2017 bekam sie ihre neue Geburtsurkunde überreicht. Die alten Dokumente bewahrt die Rentnerin in einem schwarzen Koffer auf. Sie muss lachen, als sie den alten Schülerausweis und Reisepass herausholt. Die Fotos von Wilhelm Baader anzusehen, gleichzeitig aber auch in die unglücklichen Augen auf den Pässen zu blicken, fällt ihr nicht schwer. "Ich sage ja nicht, dass Willi weg ist." Die große Begabung für den IT-Bereich und technische Dinge, der eigene Server im Gang, die große Bohrmaschine im Keller – das sind die Hobbys, die Willi gerne ausgeübt hat. Die Haarreifen, Kleidchen und hohen Schuhe gehören eben zu Johanna. Und dann gibt es Dinge wie den Scharfsinn, den Sarkasmus, Humor und die Zielgerichtetheit, die beide haben.

    Johanna Baader muss lächeln, wenn sie ihre alten Dokumente anschaut.
    Johanna Baader muss lächeln, wenn sie ihre alten Dokumente anschaut. Foto: Sophia Huber

    2017 ging es los mit den ersten geschlechtsangleichenden Operationen. „Ich bin wirklich erstaunt, wie gut und echt alles ist“, sagt die 63-Jährige und lacht. Für sie sind es nicht nur Brüste und Vagina: „Es ist auch der Seelenfrieden, den ich dadurch bekommen habe.“ Auch körperlich nun komplett als Frau ließ sich Johanna Baader auf verschiedene Intermezzi mit Männern ein. Der Kontakt kam häufig über Partnerbörsen im Internet. Einige Männer wollten nur Sex. „Die wollen sich wohl das Geld für das Freudenhaus sparen. Aber nicht mit mir.“

    Aus manchen Bekanntschaften wurde auch eine Beziehung. Heute lebt Baader alleine, oft musste sie nach einem Outing als Transfrau eben auch hören: "Ich kann damit nicht umgehen." Vielleicht ist die Gesellschaft gar nicht so weit, wie sie manchmal tut? "Das kann schon sein. Es kommt immer auf die Menschen an. Frauen können meine Geschichte häufig besser nachvollziehen." Was Baader auch erfahren hat: "Auf den Dörfern oder auch hier in Großkötz werde ich als Transfrau besser akzeptiert als in Hamburg oder München."

    Ihre Erfahrungen auf dem Weg zur Transfrau hat Johanna Baader in ihrem Buch "Sein, wie man ist" beschrieben. Das Buch ist im Rediroma Verlag erschienen und kostet 12,95 Euro.

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