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Wettenhausen: Erst mal gibt es einen Anpfiff

Wettenhausen

Erst mal gibt es einen Anpfiff

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    Die gelbe Trillerpfeife ist nicht nur Deko: Knut Kircher pfeift die Begegnung direkt an – spätestens jetzt ist dem Referee die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuhörer im Kaisersaal des Klosters Wettenhausen sicher. Es wird eine höchst amüsante Partie mit dem 49-jährigen Schiedsrichter. Der erzählt beim Johannisempfang der IHK aus 30 Jahren Erfahrung als Unparteiischer. Wobei er da ja gerade jetzt, zur Zeit der Fußball-WM in Russland, eine ganze Menge Kollegen hat: „Es gibt jetzt wieder Millionen von Schiris, Millionen von Bundestrainern“, sagt der Schwabe – weiter lässt er sich an diesem Abend aber nicht über das aktuelle, für Fans der deutschen Nationalmannschaft nicht gerade erfreuliche Geschehen auf dem Platz aus. Dafür hat Kircher eine Menge aus seiner Zeit als Schiri in der Bundesliga (2002 bis 2016) und auf internationalem Parkett bei der Fifa (2004 bis 2012) mitgebracht. „Die Entscheidung steht!“ heißt Kirchers Vortrag, mit dem der Diplomingenieur Parallelen zwischen Sport- und Wirtschaftswelt aufzeigt.

    In beiden Welten machen Entscheidungen nicht allen Spaß – Kircher beschreibt als Beispiel eine strittige Situation in einem Pokalspiel in Libyen, das er leitete. Beim Stand von 0:1 landete der Ball im Tor der Gastmannschaft, doch der Assistent an der Linie hob die Fahne: Abseits. „In dem Moment hörte der Kollege so ein Surren direkt neben sich“, erzählt Kircher. Gleich darauf entdeckte er einen im Rasen steckenden Dolch, der an ihm vorbei geflogen war. „Auch eine Form von direktem Feedback“, beschreibt es Kircher.

    Bei der WM in Russland ist der Videobeweis ein großes Thema – auch zum Leidwesen der Nationalmannschaft. Für Schiedsrichter wie Knut Kircher war er schon seit Jahren ein Gradmesser ihrer Arbeit, – denn was die Referees direkt auf dem Platz vielleicht nicht sehen konnten, haben Fernsehkameras in Nahaufnahme eingefangen. Die entsprechende Kritik gab es dann nicht nur im Fernsehen, in der Presse und von der Tribüne – selbst beim Besuch der Feuerwehrübung im Nachbarort. Auf gut Schwäbisch: „Geschtern wieder an rechten Scheiß pfiffen, hm?“

    Die Kameras fingen aber auch ein, wie Kircher im Jahr 2015 im hoch emotionalen Relegationsspiel zwischen 1860 München und Holstein Kiel die aufgewühlten Münchner Löwen bändigte. Die Gäste im Kaisersaal durften Videoschiedsrichter spielen und die Situation noch einmal sehen: Stürmer Korbinian Vollmann versucht einen Elfer zu schinden, kommt damit nicht durch. Totales Chaos auf dem Platz und auf den Rängen. Und dann geht Kapitän Christopher Schindler wie ein balzender Gockel auf den Schiri los. Was Kircher dann macht, wird ihm später im Fachmagazin 11 Freunde höchste Anerkennung („heimlicher Held“) einbringen: Der Referee bleibt eiskalt und setzt wortlos und souverän seine ganze Autorität frei.

    Manchmal braucht es aber ein paar Worte mehr: Kircher erzählt, wie er gleich im zweiten Bundesligakick seiner Karriere (quasi majestätsbeleidigend) Bayern-Mittelfeldstar Stefan Effenberg eines Fouls bezichtigte. „Schiri, so was pfeift man nicht in der Bundesliga“, hatte ihm der so Geschmähte an den Kopf geworfen, erinnert sich Kircher. Gelegenheit zum Antworten gab es wenig später auf dem Platz: Effenbergs nächster Freistoß ging an Freund und Feind vorbei ins Toraus. Und Kircher nahm die Konterchance wahr: „So spielt man übrigens auch nicht in der Bundesliga.“

    Nicht immer ist so viel Furchtlosigkeit angezeigt, warnt der Redner seine Zuhörer aus der Wirtschaft. Einem Oliver Kahn, der für seine Ausbrüche berühmt-berüchtigt war, hatte er die fällige Verwarnung lieber mit Ankündigung aus gebührendem Abstand zukommen lassen. „Herr Kahn, ich komme jetzt mit der Gelben Karte. Bitte nicht beißen.“

    Kircher erzählt von den Gewissensfragen, die einen Schiedsrichter bei 250 bis 300 Entscheidungen in einem 90-Minuten-Spiel quälen können – zum Beispiel, wenn Bayern-Schlitzohr Giovane Elber versucht, eine Gelbe Karte für den verbotenen Trikotjubel zu verhindern, indem er das Leibchen kurzerhand einem Fan im Rollstuhl schenkt. Was macht man in dem Moment? Den Verstoß trotzdem ahnden und sich den Ärger der Fans und vermutlich der halben Nation zuziehen? Oder vielleicht bewusst wegschauen – und Ärger mit den Schirikollegen und -Beobachtern kassieren? Schnell müssen die Entscheidungen auf dem Platz sein, und dabei möglichst clever. Also eigentlich genau wie im Job. Der Schiedsrichter zieht wenig konkrete Vergleiche zum Berufsleben, lässt seine Zuhörer selbst darüber nachdenken, wie und ob sie seine Erfahrungen auf und neben dem Platz in ihre Arbeit umsetzen können. 

    Für alle anderen ist sein Festvortrag zumindest ein höchst vergnüglicher Ausflug in die Welt des Profifußballs – in dem eben auch nur Menschen wie du und ich unterwegs sind, keine Halbgötter. Beim Schiri Kircher sorgte schon seine Ehefrau für die nötige Erdung. In der Halbzeit eines Ligaspiels fand er öfters eine SMS seiner fußballkundigen Gattin vor, erzählt Kircher: „37. Spielminute, wäre Freistoß gewesen. Sonst alles in Ordnung. Viel Spaß noch, Dein Spatzl.“

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