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Unvergessliche Spiele: Martin Scheer: Vom Adriastrand in den Aufstiegshimmel beim FC Silheim

Unvergessliche Spiele

Martin Scheer: Vom Adriastrand in den Aufstiegshimmel beim FC Silheim

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    Der Präsident und der Torjäger: Helmuth Klingler war hautnah dabei, als Martin Scheer den FC Silheim in die Landesliga schoss. In der Vereinschronik nimmt diese Episode einen Ehrenplatz ein. Die Sache mit dem Wimpel zählt zu den vielen Anekdoten und Legenden, die sich um die Partie am 15. Juni 2008 ranken. Laut Scheer hat nämlich ein Fan des Dorfvereins das Erinnerungsstück selbst angefertigt, „weil man als aufgestiegener Vizemeister ja keinen Wimpel kriegt.“
    Der Präsident und der Torjäger: Helmuth Klingler war hautnah dabei, als Martin Scheer den FC Silheim in die Landesliga schoss. In der Vereinschronik nimmt diese Episode einen Ehrenplatz ein. Die Sache mit dem Wimpel zählt zu den vielen Anekdoten und Legenden, die sich um die Partie am 15. Juni 2008 ranken. Laut Scheer hat nämlich ein Fan des Dorfvereins das Erinnerungsstück selbst angefertigt, „weil man als aufgestiegener Vizemeister ja keinen Wimpel kriegt.“ Foto: Jan Kubica

    Ein Vollblut-Fußballer kennt weder steile Berge noch tosende Fluten, sondern nur Wege und Brücken. Insofern mag die Geschichte von Martin Scheers Rolle beim Aufstieg des FC Silheim in die württembergische Fußball-Landesliga aus seiner persönlichen Perspektive gar nichts Besonderes sein. Für alle anderen ist die große Fahrt des Torjägers an jenem 15. Juni 2008 die Quelle einer Legende.

    Drei Spiele hatte der Vizemeister der Bezirksliga Donau-Iller in der Qualifikationsrunde des Württembergischen Fußballverbands (WFV) zu absolvieren. In Echterdingen setzte sich der Dorfverein aus dem Bibertal gegen den

    Wichtige Entscheidung für Scheer: Adriaurlaub oder Fußball?

    Und genau diesen so unverzichtbaren Fußballer plagte nun ein Riesenproblem. Weit im Vorfeld der Entscheidungsspiele hatte der damals 36-jährige Scheer eine Urlaubsreise für die Familie gebucht. Eine Zerreißprobe war geboren: Hier die Liebsten, Frau und zwei Töchter, dort die Mannschaft, die sich anschickte, den größten sportlichen Erfolg ihrer Vereinsgeschichte vielleicht ausgerechnet deshalb zu verpassen, weil der Torjäger am Adriastrand weilte.

    Aus dem Dilemma reifte ein kühner Plan, der den Sportler, seine Mannschaft und ein ganzes Dorf letztlich in den Aufstiegshimmel befördern sollte. Es bedurfte nur noch zweier fantasievoller Bestechungsversuche: Scheer erhielt aus dem Meilenguthaben eines Arbeitskollegen einen Freiflug und sein Drei-Mädel-Haus durfte für die Dauer seiner Abwesenheit auf Kosten des FC Silheim Eis bis zum Gehtnichtmehr genießen.

    Scheer erinnert sich, dass er an besagtem Sonntag in aller Herrgottsfrüh in Caorle aufbrach Richtung Venedig. „Von dort bin ich nach Frankfurt geflogen und da in den ICE rein.“ So weit, so gelungen. Das Finale der Qualifikationsrunde gegen die TSuGV Großbettlingen fand in Neckartailfingen statt, der Spielort lag also nur eine kurze Fahrstrecke vom Bahnhof in Stuttgart entfernt. Aber die einfache Variante des weiten Weges war dem Teamspieler natürlich nicht genug. Also fuhr Scheer weiter nach Ulm und anschließend ins Bibertal. „Ich wollte mir das gemeinsame Spaghettiessen im Sportheim nicht entgehen lassen“, berichtet er mit einem Schmunzeln und fährt fort: „Außerdem habe ich die Stimmung im Bus gebraucht.“

    1000 Silheimer Fans begleiten die Mannschaft nach Neckartalfingen

    Auch diese Fahrt sorgt bis heute für gute Laune beim Anekdotenaustausch. Es ging, so darf man das berichten, zünftig zu in der aus sechs großen Reisebussen und unzähligen Autos gebildeten Karawane Richtung Neckartailfingen. An die 1000 Silheimer Fans machten sich insgesamt auf den Weg. „Das war danach nie mehr zu wiederholen“, sinniert Scheer und fügt feixend hinzu: „Die Kneipe am Sportplatz in

    Kurze Zeit später lagen sich die Fans aus dem Bibertal glückselig in den Armen. Dass natürlich Scheer beide Treffer zum 2:1-Sieg des wacker kämpfenden FC Silheim gegen offensiv harmlose Großbettlinger beisteuerte, wurde in der Nachbetrachtung jenes denkwürdigen Tages fast zur Nebensache. Zweimal flankte Julian Kühne den ruhenden Ball in den Strafraum, einmal hielt der Torjäger den Kopf in die Flugbahn, einmal bugsierte er die Kugel mit dem Fuß ins Netz. Heute sagt Scheer bei aller Bescheidenheit, dieser Moment sei „natürlich ein totales Highlight“ seiner erfolgreichen Fußballer-Laufbahn gewesen.

    Die Außensicht auf die in der Endphase brutal spannende Begegnung kann Helmuth Klingler liefern. Wenige Minuten vor dem Abpfiff nämlich erzielte Großbettlingen den Anschlusstreffer. „Da haben wir in der Schlussphase alle schier einen Herzinfarkt gekriegt. Es steht 2:1 und die stürmen und stürmen“, erzählt der heute 80-Jährige, immer noch atemlos, im Stil einer Live-Reportage. Den Abpfiff empfand Klingler als Schleifchen auf das denkbar schönste Geschenk zum Ende seiner 26-jährigen Präsidentschaft im FC Silheim.

    Viele Vereine bedauern Abstieg der Bibertaler

    Für das rauschende Fest nach dem Triumph hatte Scheer kaum noch Zeit. Vom Sportplatz zum Flughafen Stuttgart war es nur ein Katzensprung, der Spieler kletterte beschwingt in den Flieger nach Venedig und dort erwartete ihn bereits ein Freund, der in weiser Voraussicht eine Palette Bier kalt gestellt hatte.

    Im Dorf und in weitem Umkreis wurde derweil gefeiert. Tagelang, wochenlang. Auch Scheer bekam nach seiner Rückkehr noch einiges mit vom Trubel. Auf jedem Fest in der Region tauchte im Sommer 2008 irgendjemand auf, der stolz das Aufstiegs-Shirt mit der augenzwinkernden Botschaft „D’ Baura steigat in d’ Landesliga auf“ trug.

    Als Fest begriffen Fußballer und Fans des Dorfvereins auch ihr lediglich einjähriges Gastspiel in der Landesliga. Spuren haben sie dort einige hinterlassen. Laut Klingler bedauerten viele Gastgeber-Vereine den Abstieg der Bibertaler, da ihre Fans stets für guten Umsatz und tolle Stimmung in den Sportheimen gesorgt hatten. „In Göppingen kam einer zu mir und hat gesagt, das sei das erste Mal in 20 Jahren, dass dort im Lokal gesungen wurde“, schildert der Ehrenpräsident eine Episode.

    Entscheidend ist nur, dass es für den Dorfverein weitergeht

    Der FC Silheim wollte die neue Herausforderung ohne Hilfe von außen, also ohne Geldfußballer angehen. Beinahe wäre ihm der Ligaerhalt geglückt. Scheer erinnert sich: „Wir waren so gefestigt, dass wir zwar abgestiegen sind, aber nicht auseinandergefallen.“ Klingler zitiert auf konkrete Fragen zur Vereins-Philosophie gerne eine Passage aus der Satzung, die als Linie vorgibt, „jederzeit der Jugend im Dorf Möglichkeiten zu bieten, Sport zu treiben“. Worte wie diese finden sich vermutlich auch andernorts, sind aber häufig in Vergessenheit geraten. In Silheim wird es bis heute so gemacht. Weil die Liebe zum

    Übrigens: Die von Trainer Markus Hofele im ersten Überschwang geforderte Statue für den größten aller Aufstiegshelden ist bis heute nicht errichtet – obwohl der einstige Torjäger seit vielen Jahren im Bibertaler Gemeinderat sitzt und ein derartiges Ansinnen wohlwollend unterstützen könnte. Doch Scheer winkt lachend ab. „Ich brauche kein Denkmal“, sagt er. Entscheidend sei, dass es weitergeht für den Dorfverein. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn selbst hier ist „das Interesse, Fußball zu spielen, rückläufig“, hält Scheer mahnend fest.

    FC Silheim Bettighofer – G. Bizmak, C. Berchtold, J. Kühne – Wiedemann, H. Bizmak, T. Berchtold, S. Kühne (90.+4 Wolf), Ansorge (90.+3 Heine), Schenk (80. Breitinger) – Scheer

    Das Buch „70 Jahre FC Silheim“ hat Ehrenpräsident Helmuth Klingler in jahrelanger, liebevoller Detailarbeit zusammengetragen. Der Band ist laut Martin Scheer „eine Pflichtlektüre für alle Fans“. Die Chronik wird zum Selbstkostenpreis von 40 Euro verkauft. Bestellungen nimmt der Verein unter martinscheer72@gmail.com entgegen.

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