So etwas hat Anwältin Margit Fink auch noch nicht erlebt, sagt sie. Ihr Mandant Benjamin Kurz hat von seinem Arbeitgeber, dem Günzburger Kreisverband des Roten Kreuzes, seit dem 18. Dezember vergangenen Jahres bislang zehn Kündigungen erhalten. Alleine diese Schreiben und die Aufforderungen zu Stellungnahmen zu diversen Vorwürfen füllen inzwischen einen ganzen Ordner.
Es geht unter anderem um eine angebliche sexuelle Belästigung, einen vermeintlichen Abrechnungsbetrug, eine nach Ansicht des BRK nicht ordnungsgemäß eingereichte Krankmeldung und nicht rechtzeitig zurückgegebene Dienstkleidung sowie nicht bearbeitete Akten. Kurz, der bislang beim Kreisverband als Pflegedienstleiter bei den Sozialen Diensten tätig war, wehrt sich juristisch gegen die Kündigungen. Beim Arbeitsgericht in Neu-Ulm fand am Mittwoch der erste Termin dazu statt. Auch Konrad Arendt, Anwalt des BRK, sagte, eine solche Fülle an Schriftstücken in so kurzer Zeit sei selten.
Es geht um einen angeblichen Schaden von gut 250.000 Euro
Ausgangspunkt für die Kündigungen war nach Arendts Worten ein Gespräch zwischen dem neuen Kreisgeschäftsführer Mathias Wenzel und Kurz. Dabei habe Wenzel gemerkt, dass es Rückstände gebe, die aufgearbeitet werden sollten. Die neue stellvertretende Pflegedienstleiterin sei nicht eingearbeitet worden, es habe fehlerhafte Rechnungen und in vielen Bereichen „eklatante Pflichtverletzungen“ gegeben. Wenzel sei dabei, den durch Kurz und vielleicht auch andere verursachten Schaden zusammenzurechnen, aber es gehe wohl um etwa 250.000 Euro – und damit um eine mögliche Schadensersatzforderung mit einem 50-prozentigen Abschlag. Doch unmittelbar nach dem Gespräch habe Kurz Urlaub haben wollen, was angesichts der Situation nicht gewährt worden sei, und dann habe er sich krank gemeldet.
Kurz wies die Anschuldigungen zurück. Es habe alleine gut ein halbes Jahr gedauert, für die vorherige Stellvertreterin, die ein Kind bekam, Ersatz zu bekommen – und diesen habe er dann auch eingearbeitet. Aber er habe so viele Aufgaben, dass er unmöglich alles alleine schaffen könne, das habe er auch dem inzwischen entlassenen Geschäftsführer Werner Tophofen gesagt. Dass es offenbar fehlerhafte Rechnungen gab, sei schon vor dem Amtsantritt Wenzels bekannt gewesen, und es habe einen Plan gegeben, die Rückstände aufzuarbeiten. Auch die anderen Anschuldigungen entbehrten jeglicher Grundlage, betonte ebenfalls seine Rechtsanwältin. Gegenüber unserer Zeitung sagte sie, bei der angeblichen sexuellen Belästigung sei es lediglich um die Frage gegangen, ob man gemeinsam zum Mittagessen gehen wolle.
Der Richter will erst einmal Tatsachen sehen
Richter Hubert Angstenberger sagte, angesichts der großen Fülle an Schriftstücken keinen Überblick mehr zu haben. Dem 37-jährigen Kurz riet er, sich so oder so einen neuen Job zu suchen, „Ihr Glück finden Sie beim Roten Kreuz nicht mehr“. Dort gebe es ohnehin eine große Unruhe (wir berichteten mehrfach), das habe er schon bei anderen Terminen gemerkt. Wenn alle zehn Kündigungen einzeln abgearbeitet würden, sei das Gericht damit noch zwei Jahre beschäftigt, und nach nur sechs Jahren bei diesem Arbeitgeber sei ein Wechsel für ihn ja durchaus möglich. Dem Roten Kreuz gab der Richter auf, überhaupt erst einmal „Tatsachen zur Begründung“ der Kündigungen vorzulegen, die Klägerseite muss dann dazu Stellung nehmen. Weiter geht es mit diesem Fall wohl erst nach den Osterferien.
Kurz ist derzeit weiter krankgeschrieben, denn wie das BRK vorgehe, belaste ihn und seine Familie – er und seine Frau haben drei Kinder – psychisch sehr. Er habe sich nichts zu schulden kommen lassen, und durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen habe es jährliche Rechnungsprüfungen gegeben, die mit Bestnoten abgeschnitten hätten, sagte er unserer Zeitung.
Petra Tophofen hat selbst gekündigt
Seine bisherige Vorgesetzte, die Bereichsleiterin der Sozialen Dienste Petra Tophofen, hat inzwischen selbst beim BRK gekündigt. Nachdem ihr Mann als Geschäftsführer entlassen worden war – der Rechtsstreit dazu dauert an –, hatte sie sich vorgenommen, zu bleiben. Das habe sie ihren Mitarbeitern versprochen und ihre Aufgabe sei ihr eine Herzensangelegenheit gewesen. Doch die Rahmenbedingungen hätten sich seit November/Dezember 2018 „drastisch verändert“, sagte sie auf Anfrage unserer Zeitung. „Der Umgang mit meinen Mitarbeitern und mir ist mit meinem humanistischen Weltbild und meiner Werte- und Grundhaltung nicht vereinbar.“
Es sei ein erhebliches Misstrauen in der Geschäftsstelle entstanden, keiner rede mehr viel mit dem anderen. „Das belastet mich sehr, so kann ich nicht arbeiten.“ Seit Dezember sei sie krankgeschrieben, Ende Februar wird ihre Arbeit beim Kreisverband enden. Der Bereich der Sozialstation sei ihr ohnehin bereits weggenommen worden. Mit Benjamin Kurz habe sie übrigens immer gut zusammengearbeitet. Für Petra Tophofen hatte Kreisvorsitzender Matthias Kiermasz im Gespräch mit unserer Zeitung im vergangenen Sommer nur lobende Worte gefunden.
Auch der Wachenleiter ist seine Aufgabe los
Vor gut einer Woche ist die Belegschaft des Kreisverbands über eine weitere Personalie unterrichtet worden: In einer Mitarbeiterinformation teilte Geschäftsführer Wenzel mit, dass Ralph Herkenrath ab 1. Februar von seinen Aufgaben als Leiter der Rettungswache Günzburg entbunden ist. Gründe werden nicht genannt. Der stellvertretende Rettungsdienstleiter Benjamin Rotter übernimmt die Tätigkeit zusätzlich. Herkenrath sagte auf Anfrage, dass ihn die Nachricht „völlig überrascht“ habe. Er wisse nicht, was gerade im Kreisverband vor sich gehe.
Schon Alexander Faith war von seinen Aufgaben unter anderem als Rettungsdienstleiter entbunden worden, dieser Rechtsstreit endete im November 2018 vor dem Arbeitsgericht. Er verlässt den Kreisverband, erhält eine Abfindung und kann sich weiterqualifizieren.