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Region: Mediziner wegen Corona am Limit: "Wir sehen, wie ein Tsunami auf uns zukommt"

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Mediziner wegen Corona am Limit: "Wir sehen, wie ein Tsunami auf uns zukommt"

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    Dr. Ulrich Kugelmann ist Ärztlicher Direktor der Kreisklinik Günzburg und seit einer Woche auch einer von zwei Ärztlichen Koordinatoren für die Region.
    Dr. Ulrich Kugelmann ist Ärztlicher Direktor der Kreisklinik Günzburg und seit einer Woche auch einer von zwei Ärztlichen Koordinatoren für die Region. Foto: Till Hofmann

    Dr. Ulrich Kugelmann sitzt an diesem Donnerstagmorgen im Untergeschoss des Kreiskrankenhauses Günzburg für ein Gespräch über die Corona-Lage in der Region. Eine FFP2-Maske bedeckt einen Teil seines Gesichts. Nur für ein Foto entfernt er die Mund- und Nasebedeckung kurz. Zum Vorschein kommt ein ernst drein blickender Mann im weißen Arztkittel, dem die Lage voll bewusst ist. Mit dieser Situation haben nicht nur er und die Mitarbeitenden im Kreiskrankenhaus Anmerkung der Redaktion: Der Artikel beschreibt die Lage Mitte November.

    Die vierte Corona-Welle ist in den bald zwei Jahren Ausnahmezustand diejenige, die vermutlich die tiefsten Wunden schlagen wird. "Wir stehen erst am Anfang", sagt Kugelmann – und doch sind bereits die Inzidenz-Zahlen in die Höhe geschnellt wie nie zuvor. Sie erreichen in Bayern Rekordmarken, die sich viele nicht hatten vorstellen können. In der Tat ist noch nicht einmal die erste Hälfte des Novembers vorbei und in der medizinischen Versorgung "brennt die Region", wie Kugelmann es ausdrückt.

    Dr. Kugelmann ist einer von zwei Ärztlichen Leitern in der Region

    Seit einer Woche hat der Arzt einen Überblick über die Lage in Schwaben und insbesondere über den Rettungsdienstbereich Donau-Iller (neben dem Allgäu und Augsburg der dritte im schwäbischen Regierungsbezirk), der die Landkreise Günzburg, Neu-Ulm, Unterallgäu und die kreisfreie Stadt Memmingen umfasst. Denn für diese Region ist der Gefäßchirurg und Ärztliche Direktor des Kreiskrankenhauses Günzburg einer von zwei Ärztlichen Leitern – "auf Bitte und sanften Druck" des Günzburger Landrats Hans Reichhart. Freiwillige seien für diese "24/7-Position" nicht Schlange gestanden, sagt er und hat den Wunsch des Politikers erfüllt: "Man kann manchmal nicht vor der Verantwortung davonlaufen."

    Die Verantwortung ist groß in diesen Tagen. Sehr groß. Denn immer mehr Patienten, die ernsthaft an der Delta-Variante des Coronavirus erkranken, landen in den Kliniken und dort auf den Intensivstationen. Gleichzeitig verändert sich der Anteil derjenigen ja nicht, die wegen Herzinfarkten, Schlaganfällen, Unfällen und akuten schweren Erkrankungen operiert werden müssen und intensivpflichtig werden. Reduziert hat sich aber dann doch etwas im Vergleich zu den vorangegangenen Corona-Wellen: Die Zahl der Intensivbetten hat abgenommen; nicht weil Betten abgebaut worden wären, sondern weil es am Personal fehlt. Ein nicht unbedeutender Anteil der Pflegekräfte habe die Arbeitszeit reduziert oder gleich gekündigt, weil diese intensive dauerhafte Tätigkeit sie ausgelaugt habe. Mehr Frauen als gewöhnlich seien schwanger geworden. Die Schwangerschaft sei in dieser Situation nicht selten "eine Form von Flucht" gewesen. Kugelmann macht keinen verunglückten Scherz, wenn er das so formuliert. Er meint es genau so.

    Günzburger Kreisklinik bereitet sich auf das Schlimmste vor

    Den "Personalschwund" taxiert er mit ungefähr einem Fünftel. Deshalb könnten nicht alle Intensivbetten, die theoretisch zur Verfügung stehen, auch betrieben werden. Der Intensivbetten-Koordinator vergleicht das mit einem kleiner gewordenen Kuchen, von dem immer mehr essen wollen. Die sich hochschaukelnde Entwicklung "sehen wir seit zwei Wochen auf uns zukommen, in der letzten Woche ist es eskaliert." Und der Chefarzt der Abteilung Gefäß- und Endovaskularchirurgie am Kreiskrankenhaus fügt hinzu: "Ich sage ihnen ganz offen: Ich will nicht wissen, wie das hier in zwei Wochen aussieht", erinnert er an "die Bilder von Bergamo".

    Die "Pandemie der Ungeimpften" belastet auch das Kreiskrankenhaus Günzburg (hier der Blick in das Zimmer einer intensivmedizinisch behandelten Patientin).
    Die "Pandemie der Ungeimpften" belastet auch das Kreiskrankenhaus Günzburg (hier der Blick in das Zimmer einer intensivmedizinisch behandelten Patientin). Foto: Till Hofmann (Symbolbild)

    Kommt es dann zur Triage? Also zur Entscheidung, ob beispielsweise der junge ungeimpfte Covid-Patient behandelt wird oder der ältere Herr mit einem akuten Herzinfarkt, weil zu wenige intensivmedizinische Plätze zur Verfügung stehen? Die Klinik jedenfalls bereitet sich mit entsprechenden Leitlinien der Deutschen Intersdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) vor.

    Corona-Leugner in höchster Atemnot

    Dass diese Corona-Welle vor allem eine "Pandemie der Ungeimpften ist", bestätigt Dr. Kugelmann. Etwa neun von zehn Covid-Patienten, die nun mit schweren Verläufen intensivmedizinisch behandelt werden und zum Teil invasiv beatmet werden müssen, hätten sich nicht mit Impfungen vor dem Virus geschützt. Der Ärztliche Direktor und Dr. Gregor Kemming, Leiter der Intensivmedizin an der Kreisklinik Günzburg, berichten über einen Mann, einen Corona-Leugner, der sich diese Woche selbst aus der Isolierstation entlassen habe. Zwei Tage später musste er wieder in Günzburg aufgenommen werden – mit schwerer Atemnot und inzwischen beatmungspflichtig. Im Augenblick liegt er im Universitätsklinikum Ulm.

    Die Schuldfrage gibt es in der Medizin nicht. Das sagt mit seinen Worten auch Markus Rupp, seit 2006 Fachpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin. "Wir behandeln ja auch alkoholkranke Menschen." Da könne man ebenfalls nach dem Sinn fragen, was man nicht tue. Das Mitleid mit denjenigen, die ungeimpft in eine solche ernstzunehmende Lage gerieten, hält sich für den Ärztlichen Direktor aber "in relativen Grenzen". 80 Prozent des Personals in den Kreiskliniken Günzburg–Krumbach sind geimpft, wie unsere Redaktion am Donnerstag auf Nachfrage erfuhr. Das bedeutet aber auch: Jeder und jede Fünfte ist es nicht. Dieser Personenkreis wird dann täglich vor Arbeitsantritt getestet.

    Ärztlicher Direktor spricht sich mindestens für eine partielle Impfpflicht aus

    Auch wenn es derzeit jeder selbst entscheiden kann, ob er sich impfen lassen will oder nicht: "Persönlich bin ich für eine Impfpflicht in den Gesundheitsberufen, vielleicht wäre auch eine allgemeine Impfpflicht sinnvoll", so Ulrich Kugelmann. Die Verbindung von Impfen und Testen sei die beste verfügbare Kombination, die es im Augenblick gebe. Gleichwohl bedeute ein vollumfänglicher Impfschutz tatsächlich keine 100-prozentige Sicherheit, das müsse man sich bewusst machen. Allerdings sei die Chance, dann ernsthaft an Corona zu erkranken, deutlich geringer. Kugelmann weiß sogar von einem Kollegen, der trotz der sogenannten Booster-Impfung an Corona erkrankt ist und zu Hause in Quarantäne sitzt. Das aber seien alles keine hinreichenden Argumente gegen das Impfen.

    Dr. Gregor Kemming, Chefarzt Anästhesie und Intensivmedizin am Kreiskrankenhaus Günzburg, lobt sein tolles Team. Mit großer Skepsis betrachtet er die weitere Entwicklung.
    Dr. Gregor Kemming, Chefarzt Anästhesie und Intensivmedizin am Kreiskrankenhaus Günzburg, lobt sein tolles Team. Mit großer Skepsis betrachtet er die weitere Entwicklung. Foto: Till Hofmann

    Es geht ruhig zu an diesem Donnerstagvormittag auf der Intensivstation des Günzburger Kreiskrankenhauses, jedenfalls hat es den Anschein. Vermutlich wäre Hektik auch ein schlechter Berater im Umfeld von Menschen, die zwischen Leben und Tod stehen. Spätestens alle 16 Stunden müssen die Covid-Patienten umgelagert werden, um die vom Virus angegriffene Lunge zu entlasten, was für das Personal in den Schutzanzügen und mit FFP3-Maske eine Höchstleistung abverlangt. Drei oder vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benötigen bis zu einer Stunde, um einen vollverkabelten, intravenös mit Medikamenten versorgten und invasiv beatmeten Menschen schonend anders zu positionieren. Intensivpfleger Arno Braun hat sich ebenso wie sein Kollege Rupp kurz Zeit genommen, um seine Eindrücke zu schildern. Er sagt: "Wir sind angesichts der dünnen Personaldecke müde. Das waren wir bereits vor der ersten Welle. Jetzt haben wir zwei weitere Wellen hinter uns und sehen, wie ein Tsunami auf uns zukommt."

    Dr. Kemming, der Chef der Intensivmedizin, lobt sein tolles Team

    Der Leiter der Intensivmedizin, Kemming, könnte für sein tolles Teams "dem lieben Gott jeden Tag die Füße küssen". Denn er weiß, dass viele Beschäftigte in dieser Ausnahmesituation über die Grenzen des Möglichen hinausgehen. Aber er weiß nicht, wie lange das noch gutgeht.

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