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Prozess in Memmingen: Opfer erzählt: Wie mich ein Einbrecher fast umbrachte

Prozess in Memmingen

Opfer erzählt: Wie mich ein Einbrecher fast umbrachte

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    Ein Einbrecher im eigenen Haus: Das ist für viele eine schlimme Vorstellung.
    Ein Einbrecher im eigenen Haus: Das ist für viele eine schlimme Vorstellung. Foto: Nicolas Armer, dpa

    Es war ein Albtraum, den Fridolin Waschhauser erlebt hat. Was in der Nacht zum 16. Dezember 2015 passiert ist, hat sein Leben verändert – und es fast zerstört. In jener Nacht ertappt er, heute 58, einen Einbrecher in seinem Haus in Kötz (Kreis Günzburg). Nun, gut ein Jahr später, stehen sie sich vor dem Memminger Landgericht wieder gegenüber. Der mutmaßliche Täter muss sich seit Donnerstag wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und schweren räuberischen Diebstahls verantworten, die damalige Freundin wegen Beihilfe zum Wohnungseinbruchdiebstahl.

    „Es tut mir furchtbar leid, dass er verletzt wurde“

    Während die schwangere 24-Jährige sich noch nicht äußern will, gibt der 21-Jährige, der seit März 2016 in Untersuchungshaft sitzt, den Einbruch zu. Er bestreitet allerdings, dass er Waschhauser umbringen wollte: „Es tut mir furchtbar leid, dass er verletzt wurde.“ Hätte er das wirklich tun wollen, hätte er es gekonnt, sagt er, als das Opfer vor ihm auf dem Boden lag. Stattdessen sei er aber aus dem Haus geflohen.

    Waschhauser, der auch Nebenkläger ist, kann sich noch genau an das erinnern, was an jenem Abend passiert ist. Es ist gegen 22 Uhr, er schaut Fußball. Die Bayern spielen im DFB-Pokal gegen Darmstadt und gewinnen 1:0. Danach sieht er sich die Zusammenfassung der weiteren Spiele an und geht nach 23 Uhr schlafen. Gegen Mitternacht wacht er auf, als seine Schwiegermutter bei ihm und seiner Frau am Bett steht. Sie sagt, dass jemand im Haus sein muss. Sie hat ihr Schlafzimmer direkt neben Waschhausers Büro im Erdgeschoss, aus dem Geräusche kommen. „Mein Gedanke war sofort: Ich muss so schnell wie möglich runter und den Einbrecher vertreiben, damit er nicht weiter ins Haus eindringt“, sagt Waschhauser. „Ich wollte meinen jüngsten Sohn, der damals 16 war, schützen, der im anderen Zimmer neben dem Büro schlief.“ Die Polizei zu rufen, kommt ihm nicht in den Sinn. Die Tür zum Büro ist nur angelehnt, er tastet nach dem Schalter, knipst das Licht an und reißt die Tür auf. Er erschrickt: Am anderen Ende des Raums steht ein Vermummter. Waschhauser schreit: „Hau ab, was willst du da herinnen.“

    Der Einbrecher stach zu

    Dann schließt der Hausherr die Tür wieder. Er will sicher sein, dass kein zweiter Täter im Flur lauert. Doch da ist niemand. Sekunden später reißt er die Bürotür abermals auf, in der Hoffnung, der Eindringlich wäre weg. Doch der steht noch immer da. Waschhauser geht auf ihn los, verpasst ihm einen Schlag. Der andere wehrt sich, schlägt zurück. Die Stichwaffe, die er erst dann in der Hand des Einbrechers sieht, versucht er abzuwehren. Doch der Täter ist körperlich überlegen. Er sticht zu und schubst ihn in den Gang. Waschhauser fällt gegen den Schirmständer, greift sich einen Schirm und schlägt nach dem Mann. Als er aufsteht, ist der weg.

    Wie oft der Albtraum, den Waschhauser erlebt hat, passiert, wie oft Einbrecher und Bewohner aneinander geraten, ist nicht durch Daten belegt. Beim Landeskriminalamt (LKA) erklärt man, dass der Großteil der Täter natürlich versuche, unerkannt zu bleiben – oder verschwinde, wenn sich wider Erwarten jemand im Haus aufhält. Auch werde nur äußerst selten Gewalt angewendet. „Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass den Tätern bewusst sein dürfte, wie signifikant sich die Schwere der Tat verändert“, erklärt Kriminaloberkommissar Peter Wandinger vom LKA gegenüber unserer Zeitung.

    Erst als der Täter weg ist, merkt Waschhauser, dass er an der rechten Seite blutet. Seine Frau und die Schwiegermutter kommen dazu, er legt sich im Bad auf den Boden und wartet auf Polizei und Rettungsdienst, die seine Frau alarmiert hat. Der Stich hat die Leber getroffen, wurde aber von einer Rippe aufgehalten. „Sonst wäre ich innerhalb von Minuten verblutet.“ Ein zweiter Stich habe ihn gestreift. Waschhauser muss in jener Nacht notoperiert werden. Doch er hat Glück.

    Das Haus, sagt der 21-jährige Angeklagte, habe er sich nur zufällig ausgesucht. In der Zeit vor dem Einbruch hätten er und seine Freundin auch andere Objekte ausgespäht. Ursprünglich hätten er und seine heutige Ex-Partnerin zuerst in ein benachbartes Grundstück in Kötz einsteigen wollen. Dort sei aber jemand gewesen. Dann probierten sie es bei Waschhausers. Im Licht des Mondscheins sei durch ein Fenster ein Laptop zu erkennen gewesen. Der 21-Jährige versuchte zuerst, das Fenster mit einem Schraubenzieher aufzuhebeln. Dann nahm er seinen Dolch zu Hilfe und hatte Erfolg, wie er schildert. Im Darknet, einem gerade von Kriminellen genutzten anonymen Teil des Internets, habe er zuvor Informationen gesammelt, wie das geht.

    So schützen Sie Ihr Haus vor Einbrechern

    Wenn Sie Ihr Haus verlassen, immer abschließen, aus versicherungstechnischen Gründen am besten zweimal.

    Verschließen Sie Fenster, Balkon- und Terrassentüren. Gekippte Fenster sind eine Einladung für Einbrecher.

    Verstecken Sie Ihren Schlüssel niemals draußen. Einbrecher kennen fast jedes Versteck. – Wenn Sie Ihren Schlüssel verlieren, wechseln Sie den Zylinder aus.

    Achten Sie auf Fremde in Ihrem Umfeld, auch in der Nachbarschaft. Wenn Sie im Urlaub sind: nie Rollläden dauerhaft unten lassen und Briefkasten überquellen lassen.

    Per Zeitschaltuhr Haus innen beleuchten und Anwesenheit simulieren. Für außen ratsam: Bewegungsmelder.

    Für alle Fälle Telefoniermöglichkeit im Schlafzimmer schaffen (Notruf: 110).

    Liste mit Wertsachen anfertigen, am besten inklusive Fotos. Das erleichtert die Abwicklung mit der Versicherung.

    Technische Vorbeugung: Eine Alarmanlage ist nur sinnvoll, wenn sie mit einer Bewachungsfirma verbunden ist. Viele Einbrecher lassen sich von der Sirene nicht abhalten, sagt Rainer Rindle von der Kripo Augsburg.

    Prüfen lassen, ob Haus-, Terrassen-/Balkontüren und Fenster nachgerüstet werden sollten, am besten von einem Kripo-Berater. Zuständig sind: Kripo Augsburg (Stadt/Kreis Augsburg, Aichach-Friedberg), Kripo Dillingen (Stadt/Kreis Dillingen, Donau-Ries), Kripo Fürstenfeldbruck (Kreis Landsberg), Kripo Ingolstadt (Stadt Ingolstadt, Neuburg-Schrobenhausen), Kripo Kempten (Stadt/Kreis Kempten, Kaufbeuren, Ober-, Ostallgäu, Lindau), Kripo Memmingen (Stadt Memmingen, Unterallgäu), Kripo Neu-Ulm (Stadt/Kreis Neu-Ulm, Günzburg).

    Opferhilfe: Die Organisation Weißer Ring unterstützt nicht nur Opfer von Gewaltkriminalität oder Mobbing, sondern auch Einbruchsopfer. Nach Angaben von Adolf Präntl bietet sie mehrere Hilfestellungen.

    Der Weiße Ring bietet vertrauliche Gespräche im Akutfall, die Vermittlung von Experten wie Traumatherapeuten. Au helfen sie beim Umgang mit Behörden und Versicherungen und Begleiten Geschädigte zu Gerichtsterminen.

    Der Angeklagte sagt, er habe nicht erwartet, dass jemand im Haus sein könnte. Und er sei überrascht gewesen, als Waschhauser plötzlich die Tür aufriss und ihn anschrie. Als diese kurz wieder geschlossen wurde, habe er seiner Freundin den Laptop durchs Fenster gereicht. Auch ein Handy habe er eingesteckt, sagt der Angeklagte. Die Mitangeklagte schweigt während der Verhandlung, schüttelt aber mehrfach den Kopf, wenn er ihre Rolle schildert. Bislang wird ihr auch nur vorgeworfen, von seinem Plan gewusst, ihn begleitet und gewartet zu haben – am Auto.

    Als Waschhauser auf ihn zustürmte, habe er einen Schlag gespürt, sagt der 21-Jährige. Er habe sich gewehrt und zugeschlagen, „weil ich nicht festgenommen werden wollte“. Beim Versuch, den Mann wegzustoßen, habe er ihn wohl unabsichtlich mit dem Dolch verletzt. Dass er Waschhauser mit der 15 Zentimeter langen Klinge getroffen hat, habe er nicht mitbekommen, beteuert der Angeklagte.

    Die Meldungen über Einbrüche häufen sich. Gefühlt wird die Gefahr immer größer, Opfer einer solchen Tat zu werden. Im Jahr 2015 gab es insgesamt 7480 Wohnungseinbruchdiebstähle in Bayern, geht aus der Kriminalstatistik hervor. Im Jahr zuvor aber lag die Zahl der Einbrüche noch höher, bei 8210 Fällen. Ein Blick in vorherige Statistiken zeigt allerdings, dass die Zahlen schon deutlich niedriger waren. 2007 etwa wurden 4018 Wohnungseinbrüche registriert. Und: Zuletzt wurden nur 15,9 Prozent aller Einbrüche aufgeklärt, 893 Verdächtige konnten festgenommen werden.

    Diese geringe Aufklärungsquote sei ein Auslöser gewesen, die Tat zu wagen, sagt der Angeklagte. Dass ihm seine heutige Ex-Freundin erzählt habe, ihr damaliger Ex habe auch mit Einbrüchen zu tun gehabt und sei so an Geld gekommen, habe den Ausschlag gegeben, zum ersten Mal in ein Haus einzusteigen. Denn Geld habe er dringend gebraucht, räumt der Angeklagte ein – um Schulden zu begleichen und seine Drogensucht zu finanzieren.

    Brief aus dem Gefängnis an das Opfer

    In einem Brief, den er aus der Haft an Waschhauser schrieb, schildert er, dass er Druck von allen Seiten gehabt habe und depressiv gewesen sei. Nachdem er mit 17 Jahren überraschend Vater geworden war, sei er „abgestürzt“. Dazu kamen Probleme in der Familie, Drogen, die abgebrochene Lehre und Schulden. Er könne nicht in Worte fassen, wie sehr er sich für den Einbruch schämt, steht in dem Brief, der während der Verhandlung verlesen wird. Er hoffe, dass Waschhauser ihm irgendwann verzeihen könne. Auch persönlich entschuldigt er sich bei seinem Opfer. Waschhauser erwidert nichts. Was geschehen ist, hat den Mann traumatisiert. Bis heute ist er in psychologischer Behandlung und kann seinen Beruf als selbstständiger Bankbetriebswirt nicht mehr ausüben. Immer wieder denkt er über jene Nacht nach. Gerade seine Frau und die Schwiegermutter leiden noch immer unter den Folgen der Tat, dem besonders traumatisierten Sohn geht es besser, wie er sagt. Inzwischen hat die Familie elektrische Rollläden installiert und weitere Vorsorge getroffen. Wenn es eine Bande gewesen wäre, hätte er vielleicht drüber hinwegkommen können, hatte Waschhauser im vergangenen Jahr gesagt. Aber dass es jemand aus einem Nachbarort ist, jemand der dazu die Familie kennt...

    In jener Nacht zum 16. Dezember ahnt der 21-Jährige noch nicht, wessen Haus er sich da auswählt, sagt er. Das sei ihm erst später klar geworden – als er gehört habe, dass es sich bei seinem Opfer um den Vater einer ehemaligen Schulkameradin handelt. Als Kind war er sogar bei einer Geburtstagsfeier im Haus der Waschhausers. Das sei so lange her, dass er sich nicht mehr an das Gebäude erinnert habe, sagt der 21-Jährige vor Gericht. „Es war ein Schock, als ich das gehört habe.“

    Wie exemplarisch dieser Fall ist, dass der Einbrecher sogar noch ein Bekannter ist, und auch, wie viele Einbrüche auf das Konto von Banden, Einzeltätern und „heimischen“ Kriminellen gehen, lässt sich wegen der geringen Aufklärungsquote nur bedingt sagen. Beim Bundeskriminalamt heißt es, der Anteil nichtdeutscher Tatverdächtiger beim Wohnungseinbruchdiebstahl stieg seit 1999 von 19,8 auf 40,2 Prozent im Jahr 2015. Besonders Serben, Rumänen, Albaner, Polen und Georgier seien unter den „reisenden“ Kriminellen. Örtliche Täter sind vorwiegend ältere Gewohnheitsverbrecher, Jugendbanden und Heranwachsende, die sich so ihre Rauschgiftsucht finanzieren.

    Drei Monate nach der Tat konnte der heute 21-Jährige von einer Sondereinheit in Düsseldorf festgenommen werden. Zwischenzeitlich war er auch in Spanien. Er habe seine Flucht für sein Alter überraschend gut geplant, schildert der Kriminalhauptkommissar, der die Ermittlungen führte, vor Gericht. Ob der Angeklagte nach dem Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht behandelt wird, muss die Jugendkammer unter Vorsitz von Richter Jürgen Hasler noch entscheiden. Er war bei der Tat erst 20 Jahre alt und heranwachsend. Da nicht mehr alle der vorgesehenen Zeugen gehört werden, könnten die Plädoyers wohl bereits am kommenden Dienstag gehalten werden. Das Urteil war ursprünglich für den 9. Februar vorgesehen.

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