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Memmingen/Günzburg: Geiselnahme-Prozess: Günzburger BKH-Patient stand unter besonderer Beobachtung

Memmingen/Günzburg

Geiselnahme-Prozess: Günzburger BKH-Patient stand unter besonderer Beobachtung

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    Aus der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Günzburg sind im September 2019 zwei Patienten geflohen, als sie eine Pflegerin als Geisel nahmen. Einer der Männer steht seit Montag vor dem Landgericht Memmingen.
    Aus der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Günzburg sind im September 2019 zwei Patienten geflohen, als sie eine Pflegerin als Geisel nahmen. Einer der Männer steht seit Montag vor dem Landgericht Memmingen. Foto: Bernhard Weizenegger (Archiv)

    Mit Hand- und Fußfesseln betrat der angeklagte 28-jährige Deutsch-Russe, der im vergangenen Jahr aus der Forensik des Günzburger Bezirkskrankenhauses geflohen ist, auch den zweiten Verhandlungstag am Memminger Landgericht. Der Angeklagte muss sich seit Montag wegen einer Geiselnahme vor Gericht verantworten. Am Dienstag ging es unter anderem um seine umfangreiche kriminelle Laufbahn, die bereits mit 14 Jahren begann. Angesprochen wurde auch, warum der Angeklagte zum Zeitpunkt seiner Flucht nicht mehr lange im BKH gewesen wäre.

    Vorstrafen-Verlesung in Memmingen: Der Angeklagte überfiel mehrere Tankstellen

    Nicht weniger als 13 Eintragungen sind im Bundeszentralregister zu finden. Darin aufgelistet ist eine breite Palette an Straftaten: Diese handeln unter anderem von Bedrohung, vorsätzliche Körperverletzung, Sachbeschädigung und immer wieder um Diebstahl. Vor neun Jahren wurde er wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt. Der Deutsch-Russe überfiel zwei Tankstellen mit einer Gaspistole und erbeutete etwas mehr als 2000 Euro.

    Im September 2017 wurde er in Regensburg vom Landgericht erneut verurteilt. Wieder überfiel er eine Tankstelle, diesmal mit einer Schreckschusspistole. Die Strafe damals: fünf Jahre und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Aus diesem Grund war der nun in Memmingen Angeklagte auch seit dem 11. Juni 2019 in der Forensik in Günzburg untergebracht. Dort sollte er therapiert werden, doch die Vorzeichen standen schlecht.

    Der BKH-Geiselnehmer aus Günzburg hat eine Persönlichkeitsstörung

    Der inzwischen 28-Jährige hat, wie nun vor Gericht bekannt wurde, bereits mehrere vorherige Therapien – teilweise freiwillig – abgebrochen. Ehemalige Gutachter sprachen von einer „dissozialen Persönlichkeitsstörung“ des Mannes. Er befolge demnach keine Normen, passe sich nicht an seine Umgebung an und sei emotional unbeteiligt. Als distanziert und reserviert wurde er beschrieben.

    Im Günzburger BKH wurde er sowohl einzeln als auch in der Gruppe therapiert. „Er schaffte es nicht, sich an Regeln zu halten und sich unterzuordnen“, sagte ein Facharzt für Psychotherapie, der inzwischen nicht mehr im Bezirkskrankenhaus arbeitet. Eine Psychologin sprach von insgesamt neun Regelverstößen in der Forensik, die der geflüchtete Patient in Günzburg begangen hat. Das sei ihrer Erfahrung nach „verhältnismäßig viel“. Unter anderem habe es Ende August 2019 einen positiven Drogentest bei ihm gegeben.

    Viele Verfehlungen: Angeklagter aus Günzburger BKH sollte in den Strafvollzug zurück

    Seit diesem Zeitpunkt stand der Angeklagte unter besonderer Beobachtung. Am 9. September, also keine zwei Wochen vor seiner Flucht, wurde bei dem Angeklagten ein scharfkantiges Aluminiumstück gefunden. Zehn Tage später sei erneut eine selbst gebastelte Waffe in seinem Zimmer entdeckt worden. Vier Tage später floh der Mann mit einem Zimmerkollegen aus der Forensik, als sie eine Pflegerin mit einem selbst gebauten spitzen Gegenstand als Geisel nahmen (wir berichteten).

    Wegen der vielen Verfehlungen im Günzburger BKH wurde der Angeklagte auf die sogenannte Abbruchstation verlegt. Das bedeutet, dass es angeregt wurde, die Therapie in Günzburg abzubrechen und ihn in den Strafvollzug zurückzuverlegen. Der Angeklagte bewarb sich bei anderen Einrichtungen, da er weiter therapiert werden wolle. Aus Leipzig habe er positive Signale erhalten, so seine Verteidiger Michael Haizmann und Jörg Meyer.

    Die gewaltsame Flucht aus Günzburg hatte auch Auswirkungen auf die Pflegerin und den Sicherheitsmann

    Der Angeklagte hat bereits mit zehn Jahren regelmäßig geraucht, größere Mengen Alkohol getrunken und Cannabis geraucht. Mit 17 habe er das erste Mal Heroin ausprobiert. Bis zu 150 Euro habe er am Tag für Drogen ausgegeben. Finanziert habe er dies unter anderem mit einer Tätigkeit als Tätowierer, aber auch mit seinen kriminellen Aktivitäten. Eine Gutachterin bescheinigte ihm vor wenigen Jahren eine überdurchschnittliche Intelligenz – er habe demnach einen IQ von 116.

    Seine Flucht aus dem Günzburger BKH hat nicht nur für ihn Folgen. Der Sicherheitsmann, der bereits zuvor jahrelang mit Depressionen kämpft, ist seit einem Jahr krankgeschrieben. Er war monatelang in stationärer Behandlung, da ihm seit dem Vorfall alles zu viel sei. In dem Beruf könne er nicht mehr arbeiten, ist sich der Mann sicher. Die damalige Pflegerin wechselte ebenfalls ihren Arbeitsplatz – aus mehreren Gründen, wie sie vor Gericht sagte. Die Verhandlung wird am 26. Oktober fortgesetzt.

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