Die Anklageschrift gegen einen zur Tatzeit 36 Jahre alten Mann, der jetzt vor dem Amtsgericht in Günzburg stand, ist ziemlich umfangreich. Dabei wird deutlich, was sich die Polizei mitunter anhören muss, und wie leicht Situationen eskalieren können - und gefährlich werden. Vorgeworfen wird ihm eine ganze Reihe von Delikten: fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr, Körperverletzung, Widerstand und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie Beleidigung.
Zum Verlesen der Anklage ist es am Dienstag jedoch gar nicht gekommen. Denn ein Sachverständiger war im Urlaub, wovon das Gericht erst erfuhr, als es in seinem Büro nachfragte. Daraufhin wurde ein Rechtsgespräch zwischen Richter Martin Kramer, der Staatsanwältin und dem Verteidiger anberaumt. Ein Ergebnis: Die Einstellung des Verfahrens zumindest in einem Punkt wird es nicht geben – vielmehr wird ein ergänzendes Gutachten benötigt. Und so wurde der Prozess ausgesetzt und soll erst in einigen Monaten wieder aufgenommen werden.
Prozess in Günzburg: Auf der A8 kam es zum Unfall
Doch worum geht es eigentlich genau? Laut der Anklage - die Vorwürfe sind natürlich noch nicht erwiesen, der Sachverhalt muss erst erörtert werden - war der Ulmer am 22. Oktober 2019 gegen 20 Uhr mit einem Opel Astra auf der A8 bei Jettingen-Scheppach in Richtung Stuttgart unterwegs, obwohl er Alkohol getrunken und Drogen genommen habe und somit fahruntüchtig gewesen sei. Er war demnach auf der linken Spur unterwegs, wie auch der Fahrer eines Mercedes mit einer Geschwindigkeit von 160 Stundenkilometern. Ihm fuhr der Angeklagte dicht auf und gab ihm mehrfach Zeichen mit der Lichthupe, heißt es weiter. Anschließend wechselte er auf den mittleren Fahrstreifen, um rechts zu überholen. Aufgrund der Wechselwirkung des Alkohols mit den Drogen schätzte er nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft den Abstand der beiden Fahrzeuge falsch ein: Die linke Seite seines Autos kollidierte mit der rechten des Mercedes, sodass daran ein Sachschaden in Höhe von rund 7500 Euro entstanden sei. Doch der Angeklagte sei davon gefahren, ohne sich darum zu kümmern.
Der Mann schlägt ins Gesicht eines Polizisten
Die Polizei fand aber heraus, wer der Unfallverursacher ist. Gegen 22.15 Uhr sollte ihm dann bei der Polizeiinspektion in Neu-Ulm zwei Mal Blut abgenommen werden, was der Mann verweigert habe. Einen der Beamten habe er derart von sich weggestoßen, dass dieser zu Boden gestürzt und mit seinem Rücken gegen einen Rollcontainer gefallen sei. Als fünf weitere Polizisten versuchten, den Angeklagten unter Kontrolle und zu Boden zu bringen, habe er mit der Faust in das Gesicht eines der Beamten geschlagen. Bei dem Versuch, den Mann, der mit den Armen heftig umherschlug, zu fixieren, sei einer vom linken Ellenbogen des Angeklagten in der rechten Gesichtshälfte getroffen worden.
Für die Blutabnahme fixierten vier der Polizisten den Mann, während er fortwährend versucht habe, seinen Arm zu befreien. Einen der Beamten habe er mit Fingernägeln an der Hand und am Unterarm gekratzt. Ein Polizist habe eine Zerrung der Supraspinatussehne am rechten Schultergelenk, ein weiterer eine Luxation des rechten Daumengrundgelenks und die drei anderen hätten Prellungen und Schmerzen erlitten. Während der Blutentnahme bezeichnete der Angeklagte demnach die Beamten als „Wichser“, „Arschloch“, „Bullenschweine“, „Arschbullen“, „Kinderficker“ und „Frauenschläger“.
Er raucht trotz Verbots eine Zigarette - und wird wieder aggressiv
Kurze Zeit später habe sich der Angeklagte im Verwahrraum eine Zigarette angezündet. Obwohl die Beamten ihn aufforderten, sie auszumachen, habe er weiter geraucht. Als sie an ihn herantraten, um ihm die Zigarette abzunehmen, habe er damit begonnen, mit den Beinen nach zwei Polizeibeamten zu treten. Einer sei am Knie und am Schienbein getroffen worden, sodass er dort Prellungen erlitten habe.
Als die zweite Blutentnahme anstand, wand sich der Angeklagte und zog seine Arme an den Körper, um so die Blutentnahme zu verhindern, heißt es weiter. Wieder habe er versucht, einen Beamten zu kratzen, was nicht gelungen sei. Als der Mann fixiert werden sollte, konnte der Angeklagte den kleinen Finger eines Polizeibeamten ergreifen und in seiner geballten Faust zusammendrücken, sodass dieser Schmerzen erlitt, ist die Anklage überzeugt. Während der gesamten Blutentnahme habe der Angeklagte die Polizisten erneut beleidigt.
Neun Polizisten müssen zum BKH in Günzburg ausrücken
Wegen unklarer Symptome des Angeklagten sollte dieser auf Anweisung des Arztes, der sich um die Blutentnahme kümmerte, in die Donau-Klinik gebracht werden. Als er sich jedoch weigerte, musste er von drei Polizeibeamten zum Rettungswagen geführt werden. Dabei habe er sich mit seiner ganzen Kraft gegen die Laufrichtung der Polizisten gestemmt.
Schließlich wurde der Mann durch die Polizei in das Bezirkskrankenhaus Günzburg gebracht. Gegen 3.21 Uhr teilte die Station mit, dass der Angeklagte trotz Fixierung aggressiv reagiere. Daraufhin fuhren zwei Streifenbesatzungen zum BKH. Dort hatte der Angeklagte sich bereits aus den meisten Gurten der Fixierung gerissen und war dabei, das Bett umzuwerfen, wird geschildert. Die Beamten versuchten mit den Pflegern, den Mann wieder zu fixieren. Dabei habe er in Richtung eines Polizeibeamten gespuckt, habe ihn jedoch nicht getroffen. Er habe seinen Körper hin und her geworfen, seinen Oberkörper aufgebäumt und sich aus den Griffen der Beamten gewunden, um die Fixierung zu verhindern. Gleichzeitig habe er die neun anwesenden Polizeibeamten als „Wichser“, „Arschlöcher“, „Bullenärsche“, „Arschlochbullen“, und „Schwuchtel“ beschimpft, heißt es seitens der Staatsanwaltschaft.
Der Prozess wird am Dienstag, 19. Oktober, um 9 Uhr fortgesetzt. Zu klären ist unter anderem auch noch, ob er durch eine Krankheit beziehungsweise deren medikamentöse Behandlung aggressiv reagiert habe.
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