Startseite
Icon Pfeil nach unten
Günzburg
Icon Pfeil nach unten

Landkreis Günzburg: Studie für psychische Erkrankungen: "Man darf sich Hilfe holen"

Landkreis Günzburg

Studie für psychische Erkrankungen: "Man darf sich Hilfe holen"

    • |
    Claudia Schulz koordiniert die Studie "in Würde zu sich stehen", kurz IWS, zum Abbau von Selbststigma im Raum Augsburg.
    Claudia Schulz koordiniert die Studie "in Würde zu sich stehen", kurz IWS, zum Abbau von Selbststigma im Raum Augsburg. Foto: Jana Korczikowski

    Frau Schulz, Sie sind vor einiger Zeit selbst an einer Depression erkrankt.
    CLAUDIA SCHULZ: Bei mir ging das 2005 los, als ich merkte, dass etwas nicht mit mir stimmt. Da arbeitete ich als Strahlenschutzingenieurin in der Strahlentherapie. Und als ich nach langer Zeit erst zum Neurologen gegangen bin, hat er gemeint, ich habe eine Depression. Und ich weiß noch, dass damit für mich eine Welt zusammengebrochen ist. Weil ich gedacht habe, ich hätte lieber einen Gehirntumor. Da wüsste man wenigstens, wie man ihn behandelt. Ich habe sehr lange gebraucht, bis ich mir Hilfe geholt habe.

    Wieso?
    SCHULZ: Eine psychische Erkrankung hat immer mit Scham und mit Schuld zu tun. Ich habe gedacht, ich wär' selber verantwortlich dafür und habe mich geschämt. Ich bin aber immer offen damit umgegangen. Meine Kinder waren sehr klein und ich wollte, dass es kein Familiengeheimnis ist. Ich habe aber gemerkt, dass ich ausgegrenzt wurde - ich wohne in einem Dorf und Menschen haben die Straßenseite gewechselt, den Kontakt abgebrochen. Es gab auch Menschen, die haben meine Kinder nicht mehr zur Geburtstagsfeier eingeladen, als ob es ansteckend wäre.

    Wie ging es weiter?
    SCHULZ: Ich war oft und lange stationär in Behandlung, einmal für zwölf Monate. Ich war sehr krank. Geholfen haben mir am Ende die Medikamente, die Nachbetreuung zuhause und auch die Verhaltenstherapie.

    Heute wollen Sie mit Ihrer eigenen Erfahrung anderen Betroffenen helfen, sind Teil einer Studie des Universitätsklinikums Ulm am Bezirkskrankenhaus (BKH) Günzburg. Worum geht es dabei?
    SCHULZ: In erster Linie steht für mich das Programm im Vordergrund, das im Rahmen der Studie angeboten und untersucht wird und auch langfristig verstetigt werden soll. Das Programm heißt „In Würde zu sich stehen“, kurz IWS, und es geht um die Auseinandersetzung mit Stigma. Ich finde es wichtig, weil man ja nicht nur mit einer psychischen Erkrankung zu tun hat, sondern auch mit Stigma, sei es von außen oder mit Eigenstigma. Dass ich nicht wertvoll bin, dass ich es nicht verdient habe, mir Hilfe zu holen - solche Glaubenssätze sind damit gemeint. Dieses Eigenstigma soll durch die Studie abgebaut werden. Und ich finde es auch wichtig, die Gesellschaft aufzuklären über psychische Erkrankungen. Denn oft haben Stigmata ihren Ursprung in unserer Leistungsgesellschaft.

    Inwiefern ist der Leistungsdruck verantwortlich für die Stigmata?
    SCHULZ: Ich glaube, wir leben in einem Zeitalter, in dem man bestmöglich funktionieren muss. Wo es immer heißt: schneller, größer, weiter. Ich bin nur wertvoll, wenn ich 40 Stunden arbeite und noch zehn Überstunden mache, wenn ich immer erreichbar bin. Das, finde ich, hat ganz viel mit dem Leistungsdruck zu tun. Bei einer Depression oder anderen psychischen Erkrankungen geht das nicht mehr. Man ist nicht mehr gut genug, oder man fühlt sich zumindest so. Und damit ist damals auch für mich mein Weltbild zusammengebrochen: Ich habe nicht nur im Arbeitsleben versagt, sondern auch als Mutter. Ich schaffte es nicht, das perfekte Bio-Essen zu kochen, sondern ich war froh, wenn ich eine Tiefkühlpizza hinbekommen habe.

    Was ist Ihre Aufgabe in dem Projekt?
    SCHULZ: Ich bin eine von elf Gruppenleitern für die Region Ulm/Günzburg/Augsburg, die gemeinsam mit den Teilnehmern ein Handbuch durchgeht. Die Gruppenleiter sind alle Menschen, die selbst eine psychische Erkrankung haben - ganz unterschiedliche.

    Und wie läuft es für die Teilnehmenden ab?
    SCHULZ: Man trifft sich in der Gruppe mit den Gruppenleitern viermal à zwei Stunden und geht gemeinsam ein Handbuch durch. Zusätzlich beantwortet man drei Fragebögen für die Studie. In dem Handbuch geht es um Vor- und Nachteile der Offenlegung der psychischen Erkrankung, was es für Offenlegungsmöglichkeiten gibt - also, ob ich es nur den Freunden, der Familie oder dem größeren Umfeld erzähle. Es geht um Fragen wie: Was erzähle ich von meiner Geschichte und wie möchte ich das erzählen? Was ist das Ziel meiner Offenlegung und was wünsche ich mir eigentlich? Unterstützung, Hilfe? Und auch: Wie können Menschen darauf reagieren und was macht das wiederum mit mir? Nach einer Pause von drei Wochen trifft man sich ein viertes Mal und zieht ein Resümee darüber, was man mitgenommen oder umgesetzt hat. Es geht nicht darum, dass jeder seine Erkrankung offenlegen muss. Manchmal ist es auch sinnvoll, sich dagegen zu entscheiden, weil die Nachteile überwiegen.

    Abseits der Studie sind Sie auch für das Bezirkskrankenhaus Günzburg tätig.
    SCHULZ: Seit vier Jahren arbeite ich als Genesungsbegleitung im sogenannten Home Treatment. Das heißt, wir behandeln Menschen mit einer psychischen Erkrankung daheim. Sie sind so krank, dass sie sich eigentlich stationär behandeln lassen müssten, möchten das aber aus bestimmten Gründen nicht, sei es, weil sie kleine Kinder haben, oder um stationäre Aufenthalte zu verkürzen oder zu verhindern. Die Betreuung daheim ist auch gut, weil ich die Menschen in ihrem Umfeld erlebe und dieser Glasglockeneffekt, der in einer Klinik entsteht, wegfällt. Da kommt man oft raus und man hat sich selbst verändert – aber das Umfeld nicht.

    ALSO BEZIEHEN SIE DIE ANGEHÖRIGEN MIT EIN.:
    Wenn die Patienten und Klienten das möchten. Angehörige heißt die Familie - Partner, oder auch die Kinder. Mir war es immer ganz wichtig, dass meine Kinder wissen, dass die Erkrankung nichts mit ihnen zu tun hat. Ob sie ihre Hausaufgaben machen, ob sie ihr Zimmer aufräumen - mir geht es nicht besser oder schlechter deshalb. Sie sind Kinder und sie sollen das auch bleiben und ich suche mir Hilfe. Jahre später habe ich meine Tochter gesprochen und sie hat gesagt, das war das, was ich ihnen immer mitgegeben hatte: Es hat nichts mit ihnen zu tun und man darf sich Hilfe holen, wenn es einem schlecht geht.

    Hat Ihr Partner Sie damals unterstützt?
    SCHULZ: Total. Wir sind seit 27 Jahren verheiratet und er hat damals in München gearbeitet, war also viel weg. Er hat immer geschaut, dass wir eine Haushaltshilfe haben und am Abend alles gemacht. Wäsche gewaschen und für den nächsten Tag vorgekocht. Wir haben ja Haus und Hund gehabt. Deshalb finde ich das auch so wichtig im Home Treatment, dass man die Angehörigen abholt. 

    Wie geht es Ihnen heute?
    SCHULZ: Mir geht es sehr gut. Ich weiß, dass ich nicht mehr so belastbar bin wie früher. Ich habe eine Erwerbsunfähigkeitsrente und arbeite nur ein paar Stunden dazu. Und ich weiß, dass ich meine Grenzen achten muss, und dass ich meinetwegen auch Termine absagen muss, die schön sind. Und ich sehe heute früh Warnzeichen und kann dann sofort reagieren. Deshalb würde ich sagen, geht es mir gut. Ich hab Spaß, ich habe einen Sinn in meinem Leben, ich kann mich wieder freuen.

    Zu guter Letzt: Warum heißt das Programm eigentlich „In Würde zu sich stehen“?
    SCHULZ: Erst hielt ich diese Formulierung für sehr amerikanisch, irgendwann im Laufe der Arbeit für die Studie habe ich aber gedacht: Meine Krankheit gehört zu mir und hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Aber ich bin nicht nur meine Krankheit, ich bin viel mehr. Und ich bin nicht weniger wert, nur weil ich eine psychische Erkrankung habe. Das heißt für mich, in Würde zu sich stehen.

    Zur Person

    Claudia Schulz, 56, wohnt mit ihrem Ehepartner in Stettenhofen im Landkreis Augsburg und hat drei erwachsene Kinder. Sie ist als Genesungsbegleitung für das BKH Günzburg tätig, hat einen Kurs zur EX-IN absolviert, und arbeitet für die Studie „In Würde zu sich stehen“ (IWS), wo sie für den Raum Günzburg und Augsburg zuständig ist. Vor ihrer Erkrankung im Jahr 2005 war Schulz als Strahlenschutzingenieurin tätig.

    Zur Studie: Die Anmeldung für die Studie „IWS“ der Sektion Public Mental Health der Uniklinik Ulm ist noch bis 31. Dezember 2024 möglich und beinhaltet vier Termine, für die es eine Aufwandsentschädigung gibt. Diese finden in Günzburg und Augsburg jeweils im Bezirkskrankenhaus und in Ulm in der Parkstraße statt. Anmelden können sich Betroffene zwischen 18 und 60 Jahren, die psychische Probleme haben. Es muss keine genaue Diagnose vorliegen. Anmeldung über Claudia Schulz, E-Mail: claudia.schulz@uni-ulm.de, Telefon 0173/3490880, oder Chiara Weisshap, E-Mail: chiara.weisshap@uni-ulm.de, Telefon 0173/3490784.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden