Wenn es zum ersten Mal so richtig kalt wird im Jahr und Robert Strobel beim Joggen ist, dann brennt es in seinem Gesicht. Das Brennen verfliegt nach ein, zwei Tagen wieder. Vermutlich müssen sich die Knochen und Knorpel erst wieder an die Kälte gewöhnen. In dieser Zeit wird der Bürgermeister von Ichenhausen unwillkürlich daran erinnert, was ihm vor siebeneinhalb Jahren widerfahren ist.
Ende September 2012 wurde Strobel, damals Rathauschef in Bibertal, vor seiner Haustür überfallen und brutal zusammengeschlagen. Die Verletzungen waren so schwerwiegend, dass er ins Bundeswehrkrankenhaus nach Ulm gebracht werden musste. Der Bürgermeister trug eine Jochbeinfraktur davon, die Nase war mehrere Male gebrochen, der Oberkiefer, die Augenhöhle, das Steißbein ebenso.
Strobels letztes Interview zu seinem Fall
Eigentlich möchte Strobel heute nicht mehr darüber reden, sonst „könnte man noch meinen, ich mache mich damit wichtig“. Und seiner Familie will er diese mediale Berichterstattung und dadurch ausgelöste Fragen im Bekanntenkreis auch nicht mehr zumuten. Für unsere Zeitung hat er nach mehrmaliger Nachfrage eine Ausnahme gemacht. „Aber das ist mein letztes Interview hierzu“, stellt er klar fest. Schon bevor die Faustschläge Strobels Gesicht zertrümmerten, hatte es eine Drohung gegeben, die der CSU-Kommunalpolitiker ernst genommen hatte.
Mit der Familie hatte er daraufhin abgesprochen, dass keiner Person die Tür aufgemacht wird, die man nicht kennt. So hielt es „Gott sei Dank“ die damals 13-jährige jüngere Tochter des Bürgermeisters, als eines Tages ein Unbekannter an der Haustür klingelte und nach ihrem Vater fragte. Vom gekippten Fenster führte sie die Unterhaltung mit diesem Mann. Es war, diese Vermutung lässt der Abgleich der Täterbeschreibung Strobels und seiner Tochter zu, offensichtlich dieselbe Person, die sich den Vater später als Opfer herausgesucht hatte.
Ohne Grundvertrauen in die Menschen kein Job als Bürgermeister
Bis heute ist der Schläger nicht gefasst worden.
Die positive Einstellung zu den Menschen und die Freude an der Arbeit haben bei ihm aber die Oberhand behalten über diesen Angriff mit seinen schrecklichen Folgen. „Sonst hätte ich meinen Beruf nicht mehr ausüben können.“
Inzwischen ist es manchmal schon so weit, dass Amtsträger und Behördenmitarbeiter gar nichts mehr sagen wollen, weil sie sonst ihre Familie in Gefahr sehen. Unserer Zeitung ist ein aktueller Fall aus dem nördlichen Landkreis bekannt. Der Verwaltungsbeamte ist aufs Übelste beschimpft und körperlich angegangen worden. „Sowas ist mir noch nicht passiert“, sagt er im Gespräch. „Da sind permanent rote Linien überschritten worden.“ Dennoch hat er kein Interesse, das bei der Polizei anzuzeigen. Er schätzt das Risiko hoch ein, sonst ungebetenen Besuch zu bekommen.
Der Staatsschutz schaltet sich ein
„Das Klima ist rauer geworden“, stellt Günzburgs Oberbürgermeister Gerhard Jauernig fest. Er erinnert sich daran, dass es vor einigen Jahren in Günzburg sehr emotionale Diskussionen gab, weil sich die Stadt weigerte, der rechtsextremen NPD das Forum am Hofgarten für eine Parteiveranstaltung zur Verfügung zu stellen. Gerichtlich sei man schließlich gezwungen worden, dies doch zu tun.
Im Laufe der Auseinandersetzung mit der Kleinpartei fand sich ein Drohbrief im privaten Briefkaste des Oberbürgermeisters. Die Botschaft war klar: Wir wissen, wo du wohnst. Wenn das von Menschen kommt, „die einem nicht wohlgesonnen sind, hat man kein gutes Gefühl“, sagt der SPD-Politiker, der den Brief der Polizei übergab. Schließlich wurde auch der Staatsschutz eingeschaltet.
Verbal und körperlich "sehr aggressiv"
Ein ähnliches Drohschreiben habe es von einem Reichsbürger gegeben, der den Staat mit seinen Institutionen an sich in Frage stellt. Außerdem erwähnt der Oberbürgermeister eine Bürgersprechstunde, in der ein Bürger verbal und körperlich „sehr aggressiv“ geworden ist. Die Polizei musste den Mann schließlich in Gewahrsam nehmen.
Als Sprecher der Städte in Schwaben kennt Jauernig ähnlich gelagerte Fälle seiner Amtskollegen. Das sei erst jüngst Thema in einem Austausch gewesen. Dabei spielten vor allem die sogenannten soziale Netzwerke eine unrühmliche Rolle. Was unter dem „Deckmantel der Anonymität“ alles folgenlos verbreitet werde, gehe gar nicht mehr.
Beispiel Künast
Für ihn ist das, was der Grünen-Bundestagsabgeordneten Renate Künast widerfahren ist, ein Paradebeispiel dafür. Die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin musste sich in einem Facebook-Post als „Stück Scheisse“, „Schlampe“, „Drecks Fotze“, als „hohle Nuß, die entsorgt gehört“ und als „Sondermüll“ bezeichnet werden. Das Landgericht Berlin sah darin im September 2019 keine Rechtsverstöße. Vor wenigen Tagen änderte es jedoch den Beschluss von damals zum Teil ab.
Jauernig fordert „klare Regeln, die wir im Umgang miteinander schaffen und befolgen müssen“. Er mahnte als Bezirksvorsitzender des Städtetags Gesetzgeber und Justiz, „eindeutige rote Linien zu ziehen“. Und auch die Anbieter sozialer Netzwerke müssten sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Ichenhausens Bürgermeister Strobel war seinerzeit überzeugt, dass nach einer konkreten Bedrohung gegen ihn, die Polizei nicht die ermittlungstechnischen Mittel hatte, etwa ein Handy zu überwachen, weil Datenschutzgründe dagegen gesprochen hätten.
Der Respekt ist schon lange abgelegt
Auch manchem Kunden, der das Günzburger Landratsamt aufsucht, scheint der Respekt völlig abhanden gekommen zu sein. In verschiedenen Gesprächen ist Christoph Langer, Geschäftsbereichsleiter für Öffentliche Sicherheit und Ordnung bestätigt worden, „dass sich das Verhalten der Bürger gegenüber den Beschäftigten des Landratsamtes geändert hat. Aus diesem Grund werden persönliche Beleidigungen von Mitarbeitern mittlerweile konsequent zur Anzeige gebracht. Hier sind mir in den letzten zwei bis drei Jahren aus meinem Bereich zwei Fälle bekannt.“
Ein besserer Schutz für Kommunalpolitiker
Am Mittwoch hat sich auch der Innenausschuss des Landtags mit Beleidigungen, sexistischen Angriffen und Bedrohungen gegenüber Kommunalpolitikern befasst.
Der Antrag der Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler sieht vor, Kommunalpolitiker in den Tatbestand der „üblen Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens“ nach Paragraf 188 im Strafgesetzbuch mit einzuschließen. Dies ist bisher dem Schutz von Bundes- und Landespolitikern vorbehalten.
Faktisch kann der Freistaat das Strafgesetzbuch aber nicht im Alleingang ändern, sondern müsste es über eine Initiative auf Bundesebene anstoßen.
Auch die AfD unterstützte den Antrag, SPD und FDP enthielten sich, die Grünen stimmten dagegen. Final muss er aber noch vom Landtag beschlossen werden. (lby)
Ein aktueller ist am Donnerstag vom Amtsgericht Günzburg sanktioniert worden. Eine Sachbearbeiterin der Zulassungsstelle ist dort von einem 26-Jährigen beleidigt worden, ob sie ihre Periode habe. Vorausgegangen war dessen Bitte, kleine Kennzeichen (ähnlich denen an US-amerikanischen Autos) zuzulassen, was aber nicht möglich sei – so beschied die Behördenmitarbeiterin. Daraufhin war der Angeklagte verbal ausgerastet. Der Mann, der sich für sein Verhalten von Ende Mai 2019 entschuldigte, erhielt eine viermonatige Freiheitsstrafe, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Außerdem muss er eine Geldbuße in Höhe von 1500 Euro zahlen und die Kosten des Verfahrens tragen. Der vorbestrafte Angeklagte hat das Urteil der Richterin angenommen.
Landratsamt spricht Hausverbote aus
Geschäftsbereichsleiter Langer kennt „tatsächliche Gewalt gegen Mitarbeiter des Amtes in meinem Zuständigkeitsbereich“ aus einem weiteren Fall. „Hier wurde ein Veterinär im Außendienst körperlich angegriffen.“ Zudem spricht das Landratsamt auch Hausverbote aus, wenn sich Bürger unangemessen verhalten, sich zum Beispiel weigern, ein Büro zu verlassen, herumschreien oder Mitarbeiter bedrohen. „Diesen ist dann ein Betreten des Landratsamtes nur mit einem vereinbarten Termin noch möglich.“
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