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Landkreis Günzburg: Gesundheitsamts-Chef zu Corona: "Nichts leichtsinnig riskieren"

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Gesundheitsamts-Chef zu Corona: "Nichts leichtsinnig riskieren"

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    Dr. Patrick Dudler ist Leiter des Gesundheitsamts am Landratsamt Günzburg.
    Dr. Patrick Dudler ist Leiter des Gesundheitsamts am Landratsamt Günzburg. Foto: Bernhard Weizenegger

    Wie gefährlich ist das Coronavirus?

    Dr. Patrick Dudler: Der Ausdruck „gefährlich“ ist ja letztlich eine Frage der individuellen Interpretation und abhängig davon, was man als Kriterium heranzieht. Wenn man hierbei für „gefährlich“ die möglichen Folgen einer Infektion auf die Gesundheit betrachtet, dann kann eine Erkrankung daran eben „lebensgefährlich“ sein. Auf welchen Anteil der Betroffenen das nun letztlich zutrifft, das lässt sich erst sagen, wenn wir die Gesamtzahl der Infizierten besser abschätzen können. Dazu laufen aktuell ja verschiedene Untersuchungen. Auch wenn man das aus der Sicht der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems betrachtet, mussten wir sehen, dass eine schnelle Ausbreitung des Virus zu massiven Problemen in den zentralsten Bereichen der Versorgung führen kann – eine Situation, die wir in der Form bei uns glücklicherweise nicht (mehr) kennen und sicherlich „gefährlich“ ist.

    Hat Bayern auf das Virus überreagiert?

    Dudler: Wir haben es geschafft, dass wir nicht in eine medizinische Notlage geraten sind. Darüber bin ich sehr froh. Bei Verbreitung einer neuen Virusvariante ändert sich, wie wir ja sehen konnten, kontinuierlich der Wissensstand darüber. Dass man in solch einer teils unklaren Situation die nach Abwägung sicherste Vorgehensweise wählt, ist, denke ich, nur vernünftig. Es ist ja dabei ganz normal, dass man – im Nachhinein betrachtet – vielleicht in manchen Punkten auch anders hätte reagieren können. Ob wir dadurch aber die gleiche, positive Situation erreicht hätten, kann man wohl kaum sagen.

    Sind Sie überzeugt davon, dass der Maßnahmen- und Verbotskatalog maßgeblich dazu beigetragen hat, das Virus einzudämmen?

    Dudler: Sicherlich, das zeigen ja eigentlich ganz anschaulich die Infektionszahlen und die aktuell vergleichsweise positiv aussehende Lage. Dies sähe wohl ohne die Maßnahmen anders aus. Ein weiterer Hinweis ist beispielsweise auch der zeitliche Zusammenhang von Maßnahmen und Infektionsgeschehen.

    Was ist die wichtigste Verhaltensregel in Corona-Zeiten?

    Dudler: Die Reduktion auf eine einzige Verhaltensregel ist, denke ich schwierig, aber zentral ist sicherlich die Kombination aus Kontakte reduzieren und dabei Abstand halten, Maske tragen, Hygieneregeln beachten.

    Wie sinnvoll sind Community-Masken? Warum hat sie das Robert-Koch-Institut anfangs als unnütz erklärt und dann diese Kehrtwendung vollzogen?

    Dudler: Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie eben bei Zugewinn von Wissen auch Vorgehensweisen angepasst werden müssen. Es gab vielfältige Gründe, diese „Masken“ auch kritisch zu sehen; beispielsweise eine psychologische Wirkung hin zu trügerischer Sicherheit oder eben, dass solche Mund-Nasen-Bedeckungen eher keinen Eigenschutz bieten und vielleicht falsch gehandhabt werden. Hinzu kam die schlechte Verfügbarkeit von Schutzausrüstung. Diese Punkte gelten ja teils weiter, jedoch gibt es auch Argumente für diese Masken, und diese bekommen im Rahmen der Lockerungen ein anderes Gewicht. Zum Beispiel ist ein Fremdschutz, also der anderen Personen um einen herum, durch die Masken möglich. So ergibt sich für alle eine positive Wirkung, wenn in bestimmten Situationen so viele wie möglich eine Maske tragen.

    Dr. Patrick Dudler ist Leiter des Gesundheitsamts am Landratsamt Günzburg.
    Dr. Patrick Dudler ist Leiter des Gesundheitsamts am Landratsamt Günzburg. Foto: Bernhard Weizenegger

    Kommt aus Ihrer Sicht im Herbst eine zweite Welle?

    Dudler: Diese Frage kann man aktuell leider wohl kaum abschließend beantworten. Zumindest können wir es aber durch unser eigenes Verhalten beeinflussen.

    Wie ist der Landkreis bislang Ihrer Einschätzung nach davongekommen?

    Dudler: Ich bin, wie gesagt, sehr froh darüber, dass die befürchtete, dramatische Entwicklung nicht eingetreten ist beziehungsweise verhindert werden konnte. Diese ja von allen zusammen „hart erarbeitete“ Lage sollte nicht leichtsinnig riskiert werden, da ist jede Einzelne und jeder Einzelne gefragt.

    Wie sieht der Corona-Arbeitsalltag im Gesundheitsamt aus? Was ist zu tun?

    Dudler: Das sind ganz unterschiedliche Aufgaben: Neben der klassischen Kontaktpersonen-Ermittlung und Umsetzung der Maßnahmen gehören dazu auch die Bewertung der Lageentwicklung, gegebenenfalls Anpassungen in den Vorgehensweisen auf Kreisebene oder die Beantwortung und inhaltliche Bearbeitung vielfältigster Anfragen – ob von Bürgern, Fachpersonal oder Einrichtungen genauso wie in anderen Verwaltungsbereichen.

    Werden andere Aufgaben vernachlässigt?

    Dudler: Insbesondere zu Beginn der Erkrankungswelle haben die coronabezogenen Aufgaben die Personalkapazität wie vielerorts praktisch vollständig erschöpft, sodass wir um eine Priorisierung der Tätigkeiten nicht herumgekommen sind. Viele Dienstleistungen wie allgemeine Beratungen mussten eingestellt werden oder konnten auch schon aus Infektionsschutzgründen nicht geleistet werden, beispielsweise Belehrungen für Tätigkeiten im Lebensmittelgewerbe, oder, und das ist weiterhin schwierig, die Schuleingangsuntersuchungen. Zwingend notwendige Aufgaben wie dringende, nicht aufschiebbare Fälle aus dem Bereich Trinkwasserhygiene wurden natürlich bearbeitet. Und es gibt ja auch noch andere Infektionskrankheiten neben Covid-19.

    Haben Sie ausreichend Personal?

    Dudler: Die Personalausstattung im öffentlichen Gesundheitsdienst wurde ja schon mehrfach auch seitens der Regierung dargestellt. Wie überall im öffentlichen Gesundheitsdienst gab es bei uns einen extrem hohen Einsatz und wir sind zudem sehr dankbar dafür, dass uns über den Zeitraum der Ausnahmesituation zahlreiche Kollegen aus dem Landratsamt oder im Rahmen von Abordnungen aus anderen Bereichen der staatlichen und kommunalen Verwaltungen spontan und in vielen, sehr langen Tagen tatkräftig unterstützt haben. Das ungeachtet auch, ob gerade Wochenende oder Feiertag war. Ohne diese Hilfe wäre die Situation nicht zu bewältigen gewesen. Ein großes Lob und herzliches Dankeschön dafür!

    Das ist das Günzburger Gesundheitsamt

    Organisation Die Gesundheitsämter bzw. die unteren Behörden für Gesundheit, Veterinärwesen, Ernährung und Verbraucherschutz sind die Träger des Öffentlichen Gesundheitsdienstes auf kommunaler Ebene. Es gibt in Bayern 71 staatliche Gesundheitsämter (das sind die Landratsämter) und fünf kommunale Gesundheitsämter (das sind die Städte München, Augsburg, Nürnberg, Ingolstadt und Memmingen). In Günzburg ist eines der 71 staatlichen Gesundheitsämter. Das Gesundheitsamt ist Teil des Landratsamtes, die Fachaufsicht liegt bei der Regierung von Schwaben.

    Aufgaben Im digitalen Behördenordner des Freistaats Bayern sind 45 Aufgabengebiete der Gesundheitsämter aufgeführt: Sie reichen von Aids (Beratung) bis zur Verbraucherbildung (Angebote für die Schulung und die Erwachsenenbildung).

    Personal Im Gesundheitsamt am Günzburger Landratsamt arbeiten normalerweise 21 Personen in Voll- und Teilzeit. Während der Corona-Pandemie wurde die Behörde um 35 Mitarbeiter aufgestockt. Die Kräfte wurden für eine bestimmte Zeit aus anderen Verwaltungsbereichen abgeordnet – beispielsweise aus dem Landwirtschaftsamt und Vermessungsamt. Den Löwenanteil stellt aber die Finanzverwaltung. Angehende Finanzbeamte klären zum Beispiel telefonisch die Frage nach Kontaktpersonen ab und leiten gegebenenfalls weitere Schritte ein. (ioa)

    Und wie sollen all diese Überstunden abgebaut werden?

    Dudler: Das ist eine herausfordernde Aufgabe, da wir noch nicht wissen, wie die Lage sich entwickelt. Zudem haben wir viele andere Aufgaben, um die wir uns weiter kümmern wollen und müssen. Das muss alles abgestimmt werden.

    Haben diese Corona-Zeiten aus Ihrer Sicht irgendetwas Gutes?

    Dudler: Man lernt noch einmal, seinen Blick aufs Wesentliche zu schärfen und insbesondere Wert zu schätzen, in welch sehr guter Grundsituation wir uns hier befinden. Die Einschränkungen zeigen ja auch, an was man sich wie selbstverständlich gewöhnt hat.

    Wenn es einen Impfstoff gibt, empfehlen Sie dann eine Impfung?

    Dudler: Das hängt zurzeit noch von vielen Bedingungen ab, generell befürworte ich Impfungen. Aktuell ist natürlich noch zu wenig Datenlage zu einem Impfstoff verfügbar.

    Auch ein Medikament lässt noch auf sich warten. Die Menschen möchten aber zumindest gerne erfahren, ob sie mit dem Virus infiziert waren und nun dagegen immun sind. Wie hilfreich sind da die sogenannten Antikörper-Tests, die man sogar selbst vornehmen kann?

    Dudler: Noch kann man nicht sagen, ob zum Beispiel bei einem Nachweis von Antikörpern auch ein Immunschutz gegen das Virus besteht, der vor einer Erkrankung schützt. Genauso steht es um die Aussage der eigenen Infektiosität, sprich ob man andere anstecken kann oder nicht. Ein alleiniger Nachweis von Antikörpern gegen das Coronavirus schließt die Infektiosität eines Patienten nicht aus. Im ungünstigsten Fall hat so etwas auch schon zu kurzfristigen Quarantänen geführt. Derzeit wird in Studien untersucht, wie zuverlässig die Tests sind und welche Aussage daraus gewonnen werden kann. Das gilt auch für die verfügbaren Schnelltests.

    Jeden Tag ermittelt die Führungsgruppe Katastrophenschutz, in der das Gesundheitsamt mitarbeitet, Zahlen zum Infektionsgeschehen. Diese Zahlen lesen sich sehr positiv. Aber inwiefern sind sie überhaupt aussagekräftig? Sind und waren nicht Tausende Menschen im Landkreis Günzburg infiziert, die nie davon erfahren haben?

    Dudler: Aufgrund der hohen Aufmerksamkeit für das Thema und der verfügbaren Testkapazitäten ist aktuell davon auszugehen, dass die Zahlen eine recht zuverlässige Information liefern. Da aber ja auch deutlich wurde, dass Infektionen gänzlich ohne Symptome verlaufen können, ist natürlich auch von einer gewissen Dunkelziffer auszugehen, wie Sie ansprechen. Genau dies ist zum Beispiel eine der Fragestellungen, die derzeit in Studien untersucht wird - erst wenn diese abgeschlossen sind, kann man dazu eine gute Aussage machen. "Kommentar

    Lesen Sie hier den Kommentar von Till Hofmann:

    Diese Behörden im Kreis sind alles andere als schwerfällig

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