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Landkreis Günzburg: Fitnessbranche in Not: Was Unternehmer im Landkreis Günzburg sagen

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Fitnessbranche in Not: Was Unternehmer im Landkreis Günzburg sagen

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    Von der Politik vergessen? Die staatlich verordnete Zwangspause benachteiligt die Fitnessbewegung gegenüber anderen Wirtschaftszweigen und auch gegenüber dem Allgemeinsport, beklagt Kurt Klein, Geschäftsführer des Easy’s in Günzburg.
    Von der Politik vergessen? Die staatlich verordnete Zwangspause benachteiligt die Fitnessbewegung gegenüber anderen Wirtschaftszweigen und auch gegenüber dem Allgemeinsport, beklagt Kurt Klein, Geschäftsführer des Easy’s in Günzburg. Foto: Bernhard Weizenegger

    Mehr Möglichkeiten im Sport: Diese aufmunternden Worte verwendete Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nach der Kabinettssitzung am 4. Mai 2021. Über die Fitnessbranche wurde bei dieser Zusammenkunft nicht gesprochen. Es bedurfte schon der gezielten Nachfrage eines Journalisten, um Söder die Floskel „Bei Fitnessstudios gibt es noch keine Bewegung“ zu entlocken. Was übersetzt heißt: Bayern schlägt hier unabhängig von der in vielen Fällen allein maßgeblichen Sieben-Tage-Inzidenz den ultra-vorsichtigen Weg ein. Hat die Politik diesen Geschäftszweig einfach vergessen? Kaum denkbar eigentlich, geht es doch um Millionen Bewegungshungrige und Milliarden Euro. Entsprechend ungehalten sind im siebten Monat der vergeblichen Hoffnung auf Lockerungen die Studiobetreiber – auch im Landkreis Günzburg. Manche verschaffen ihrem Frust Luft, alle fühlen sich zu Unrecht in die staatlich verordnete Zwangspause gedrängt.

    Ausgefeilte Hygienekonzepte bewirken nichts

    Dabei hatte die Fitnessbranche penibel ausgefeilte Hygienekonzepte entworfen, um sichere Trainingsmöglichkeiten während der Pandemie zu gewährleisten. Der Politik, falls sie denn überhaupt hingeschaut hat, genügte das nicht. Und dabei blieb es. Bis heute. Kurt Klein, Betreiber des Fitnessstudios Easy’s in Günzburg, mag die Nackenschläge schon gar nicht mehr zählen. Er erinnert an die kurze Phase des Coronawellentals im zweiten Halbjahr 2020 und sagt: „Wir hatten in dieser Zeit keinen einzigen Infizierten. Und meine Kollegen hatten auch keine. Aber wir werden verpönt, als ob man sich bei uns sofort den Virus holen würde.“

    Die Fitnessbranche – ein gigantischer Wirtschaftsmarkt

    Mitglieder Etwa 14 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung waren 2019 Mitglied in einem Fitnessstudio. Konkret zählte die Branche 11,66 Millionen Mitglieder. Damit lag der Fitnessbereich mit deutlichem Vorsprung auf Platz eins aller Trainingsformen in Deutschland. An zweiter Stelle folgt der Fußball; der DFB als größter Einzelsportverband vereinte im gleichen Jahr 7,13 Millionen Mitglieder unter seinem Dach.

    Unternehmen und Umsatz Exakt 9669 Fitnessstudios gab es 2019 in Deutschland. Die Fitnessbranche mit ihren mehr als 200.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erreichte 2019 einen Umsatz von 5,31 Milliarden Euro.

    Tendenz Die hier für das Jahr 2019 angegebenen Zahlen bildeten allesamt den vorläufigen Höhepunkt einer über viele Jahre stetig steigenden Entwicklung. Die Corona-Krise stoppte den Boom abrupt. Die Werte für 2020 schrumpften in allen Bereichen. Die Mitgliederzahl sank auf 10,31 Millionen, nur noch 9538 Unternehmen generierten einen Umsatz von 4,16 Milliarden Euro. Dem Vernehmen nach hat sich der Absturz im laufenden Jahr 2021 beschleunigt.

    Quelle Die hier veröffentlichten Zahlen sind Statistiken des Deutschen Sportstudio-Verbands (DSSV) entnommen. Dabei handelt es sich um Europas größten Arbeitgeberverband für die Fitnessbranche. Schätzungen zufolge sind etwa ein Drittel aller Fitnessstudios in Deutschland Mitglied im DSSV. Sitz der 1984 gegründeten Organisation ist Hamburg.

    Klein ist bei weitem nicht der einzige Unternehmer, der eine staatliche Ungleichbehandlung verschiedener Geschäftszweige beklagt. Sein Lieblingsbeispiel: „Im Supermarkt drängen sich die Leute, alles wird angefasst, wieder hingelegt und der nächste Kunde nimmt es dann mit – aber das interessiert niemanden.“

    Kein Licht am Ende der Corona-Finsternis

    Klein will nicht missverstanden werden; mit Neid auf Kollegen aus anderen Branchen hätten seine Gedankenspiele nichts zu tun, erläutert er. Dennoch grämt er sich über die Rolle des Zuschauers, während immer mehr Branchen ein Licht am Horizont der Corona-Finsternis erscheint, sofern nur in einer Region der Bundesnotbremsengrenzwert 100 in Sachen Sieben-Tage-Inzidenz stabil unterboten wird und auf der Nachfrageseite als Mindestgebot die drei großen G’s – Geimpft, Genesen, Getestet – eingehalten werden. Das gilt für Biergärten und den Einzelhandel, in wenigen Tagen auch für Beherbergungsbetriebe und sogar für Freibäder.

    Freizeiteinrichtung, keine Sportstätte

    Was macht die Fitnessbranche denn so einzigartig? Eine Teilantwort liegt in der Begründung für die vonseiten des Freistaats Bayern seit 2. November 2020 angeordnete und vorläufig bis 6. Juni 2021 geltende Schließung aller Studios. Das Gesundheitsministerium deklariert nämlich Fitnessstudios als Freizeiteinrichtungen, nicht etwa als Sportstätten. Insofern, so die Argumentation, müssten hier andere Spielregeln gelten. Mitte vergangener Woche präzisierte das Ministerium seine Wortwahl und teilte als Schlussfolgerung einiger mehr oder weniger schlagkräftiger Argumente mit, es sei „im Innenbereich von Fitnessstudios von einem höheren Infektionsrisiko auszugehen als im Indoor-Bereich von Sportanlagen, in denen kontaktlose sportliche Aktivitäten ausgeübt werden.“

    Wie auch immer: Viele Studiobetreiber dürfte die Zwangsschließung an den Rand der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit oder gar darüber hinaus treiben. Klein fühlt sich in der Region gut vernetzt und berichtet: „Alle machen sich große Sorgen, sind am Kopfschütteln und am Weinen. Und alle beklagen, was da für ein Schaden angerichtet wird.“

    Kurt Klein: "Ich überlebe das"

    Klein selbst ist inzwischen 64, er kann auf Ersparnisse aus 40 Jahren Studiobetrieb zugreifen. „Ich überlebe das wirtschaftlich, so lange ich es überleben möchte“, sagt er kämpferisch. Andererseits kann es ja nicht zum Geschäftssinn werden, sich nur aus Rücklagen zu bedienen. Genau das geschieht aber derzeit, denn: „Ich habe im Augenblick null Euro Einnahmen, weil ich keine Beiträge mehr abbuche.“ Nach einigen Sekunden Pause korrigiert sich Klein und fügt, es hört sich an wie ein Kalauer, völlig ernst hinzu: „Halt: Ich habe ein Mitglied, das seinen Beitrag freiwillig überweist.“

    Spaßig ist das natürlich ganz und gar nicht. Seine drei Hauptangestellten beziehen Kurzarbeitergeld, die Aushilfen hat er entlassen – einvernehmlich, wie Klein betont, und mit dem Versprechen, „dass ich sie sofort wieder nehme, wenn ich aufmachen darf.“

    Werden alle zurückkehren?

    Wie sich die Verhältnisse an jenem Tag und darüber hinaus tatsächlich darstellen werden, vermag niemand vorherzusagen. Ähnlich wie die großen Sportverbände befürchtet die Fitnessbranche, dass manch einer, der zuvor Rückengymnastik betrieben und Hanteln gewuchtet oder das Studio in erster Linie als sozialen Treff verstanden hat, auch nach Corona auf dem Sofa sitzen bleiben wird. 15 Prozent Mitgliederschwund hat Klein schon heute in den Büchern stehen und er fragt bekümmert: „Ob die alle zurückkommen?“

    Kritik auch aus Krumbach

    Eine elegante Möglichkeit, Unverständnis für die Trägheit des Staates zu signalisieren, ist die Ansage auf dem Anrufbeantworter. Zu diesem Stilmittel greift Janine Kullrich seit geraumer Zeit. Sie ist verantwortlich für das Clever Fit in Krumbach, eines von bundesweit etwa 460 Studios der Fitnesskette. Wer dort anruft, hört vom Band als ersten Satz: „Wir verlieren so langsam die Fassung“.

    Kullrich selbst bringt ihre Kritik an den staatlichen Vorgaben zurückhaltend vor. Was unter anderem daran liegen könnte, dass auch in ihrem Unternehmen genügend Rücklagen vorhanden sind, um diese Notphase wirtschaftlich zu überstehen. Mehr noch: „Unsere Studenten und Azubis werden weiter ganz regulär ausgebildet und auch vergütet“, berichtet die Chefin. Die Vollzeittrainer beziehen Kurzarbeitergeld; lediglich Minijobber muss sie nach dem Lockdown wieder neu einstellen.

    Ein Bier darf man trinken - aber wo bleibt die Gesundheit?

    So ganz verhehlen mag Kullrich ihre Enttäuschung allerdings nicht. Sie steht auch nicht allein da in ihrer Überzeugung, dass Fitnessstudios während einer Gesundheitskrise eher einen Teil der Lösung präsentieren als das Problem verschärfen. Wenig Sinn macht aus ihrer Perspektive, „wenn man jetzt in der Außengastronomie ein Bier trinken kann und im Fitnessstudio nichts für seine Gesundheit tun darf.“

    Zumal die Branche in Sachen Hygienekonzepte perfekte Arbeit geleistet habe. Folgende Details zählt die Unternehmerin für ihren eigenen Betrieb auf: „In Krumbach achten wir prinzipiell auf regelmäßige Lüftung; Abstandhalten fällt nicht schwer, da wir jeweils nur eine begrenzte Zahl Mitglieder pro Quadratmeter ins Studio lassen; Kabinen und Duschen sind gesperrt; Mitarbeiter tragen stets Maske, Mitglieder bewegen sich mit Maske von Gerät zu Gerät. Kurz: Da sind die Kontakte sehr begrenzt.“

    Insolvenzgefahr greifbar

    Kenner der Szene befürchten inzwischen, dass bis zu einem Drittel aller deutschen Fitnessstudios in naher Zukunft Insolvenz anmelden wird. Dieser Prozess entwickelt sich dem Vernehmen noch schleichend, er nimmt aber Fahrt auf. Eine Ursache ist, dass viele Individualsportler in der Pandemie Fitnessgeräte für Zuhause gekauft haben. Eine weitere liegt in der Natur der Verträge zwischen Studios und Mitgliedern. Kein Mitglied muss seinen Beitrag entrichten, wenn der Betreiber seine Leistung nicht erbringen kann. Viele Trainierende haben ihre Zahlungen deshalb eingestellt beziehungsweise ihre Verträge vorsorglich gekündigt, weil aus ihrer Sicht nicht absehbar ist, ob es ihr Studio in einigen Monaten noch geben wird.

    Gibt es einen Kampf um die Mitglieder?

    Das alles erschwert die Planungen erheblich und stellt mancherorts zudem den Sinn kostenintensiver Modernisierungsmaßnahmen in Zweifel. Andererseits ist das optische Erscheinungsbild eines Studios ein nicht zu unterschätzender, womöglich sogar entscheidender Werbefaktor. Das wird in naher Zukunft umso mehr gelten, wenn in unmittelbarer Folge der Wiederöffnung ein Verdrängungswettbewerb oder, wie Klein es handfester ausdrückt, „ein Kampf um die Mitglieder“ beginnen wird. „Ich glaube, da kommt noch einiges auf uns zu“, formuliert der Günzburger sorgenvoll.

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