Startseite
Icon Pfeil nach unten
Günzburg
Icon Pfeil nach unten

Landkreis Günzburg: Der Flächenfraß und seine Folgen

Landkreis Günzburg

Der Flächenfraß und seine Folgen

    • |
    Für Ortsumgehungen wie hier bei Röfingen und Haldenwang wird viel Fläche geopfert.
    Für Ortsumgehungen wie hier bei Röfingen und Haldenwang wird viel Fläche geopfert. Foto: Bernhard Weizenegger

    Der Flächenverbrauch ist eines der größten Probleme für die Umwelt. Das steht für Bernd Kurus-Nägele, Geschäftsführer des Bund Naturschutz im Kreis Günzburg, fest. Ein einmal für Straßen oder Häuser genutzter Boden brauche Jahrtausende, bis er wieder mit all seinen Funktionen vollständig hergestellt ist – sofern eine einmal genutzte Fläche überhaupt wieder an die Natur zurückgegeben würde. „Die Gemeinden wollen nun einmal mehr Leute anziehen, dabei wäre es das A und O, sich auf den Status Quo zu besinnen“, fordert er. Durch das ständige Streben nach einem immer größeren Wirtschaftswachstum entstehe eine „Todesspirale“ – auch im Landkreis Günzburg.

    An sich sei es zwar gut, dass das Areal Pro auf dem ehemaligen Fliegerhorst in Leipheim wieder genutzt werde statt eine komplett neue Fläche zu verbrauchen. Aber auch dort werde viel versiegelt, etwa durch die Umgehung. Apropos: „Wofür braucht etwa Röfingen eine Ortsumfahrung?“ Natürlich seien die Bürger belastet, aber es gebe nur relativ wenige Häuser an der Ortsdurchfahrt und der Verkehr sei nun einmal der Preis dafür, dass die Gesellschaft auf den Individualverkehr ausgerichtet wurde. Und die Trasse der

    Auch Matthias Letzing, der Geschäftsführer des Bauernverbands in Günzburg, wünscht sich ein Umdenken. Wenn es um neue Bauprojekte gehe, würden immer Flächen der Landwirte angetastet – denen heute schon viel davon fehle. Die Interessen der Bauern zählten inzwischen kaum noch. So könne etwa die Burgauer Firma Roma ohne Genehmigung bauen, doch Landwirte bekämen schon bei einem neuen Stall Probleme. In vielen Planungsunterlagen für Bauprojekte heiße es auch gering schätzend, auf einer Fläche werde nur Ackerbau betrieben. Die Zeiten, in denen sich die Bauern mit wenig Geld für ihre Flächen hätten abspeisen lassen, seien zwar vorbei. Doch dem Bauernverband fehle das Klagerecht, um gegen große Bauprojekte vorzugehen.

    Das sagen die Vertreter von Wirtschaft und Regionalplanung

    Wenn es nach Peter Lintner, dem Geschäftsfeldleiter Standortpolitik bei der Industrie- und Handelskammer Schwaben, geht, gibt es gar keinen Flächenverbrauch – sondern nur eine Umnutzung. Schließlich sei im Landkreis Günzburg alles eine Kulturlandschaft. Und eine Gesellschaft, die sich entwickelt, „gräbt sich nun einmal ein“. Dabei sei es aber durchaus ein Gebot, sparsam mit dem Grund und Boden umzugehen. Dabei dürfe in jedem Fall nicht vergessen werden, dass es sich meist um örtliche Unternehmen handelt, die Flächen brauchen, weil sie an ihrem Heimatstandort expandieren wollen – und damit sowohl den Standort selbst als auch Arbeitsplätze sicherten. Zwar sei die Inanspruchnahme von Grundstücken durchaus gestiegen, aber die größte Nachfrage konzentriere sich auch auf bestimmte Bereiche, etwa entlang der A8. Andere blieben somit für die Freizeit und für die Erholung der Menschen frei.

    Jedenfalls könne es sicherlich niemand wollen, dass sich alle Jobs nur in den Ballungsräumen konzentrierten, und der ländliche Raum keine zu bieten habe. Das eine oder andere Projekt im Kreis Günzburg möge als störend empfunden werden, doch insgesamt sei die Region durch Neubauten nicht nachhaltig betroffen. Wichtig sei bei all dem aber die Planung. Das Outlet Jettingen-Scheppach sei ein Fehler und tangiere die Funktion der Innenstädte und zentralen Orte im Umkreis.

    An einer solchen Planung arbeitet gerade der Regionalverband Donau–Iller. Verbandsdirektor Markus Riethe sagt, im neuen Regionalplan solle es auch um Flächen gehen, wo die Ansiedlung größerer Firmen konzentriert werden kann. So sollen künftig gerade auch die Innenstädte besonders geschützt werden. Wer sich nicht daran hält, könnte grundsätzlich beklagt werden. Ein anderer wichtiger Aspekt wird die Verkehrsanbindung sein. Denn je besser eine Region mit öffentlichen Verkehrsmitteln versorgt sei, desto weniger neue Straßen seien nötig. So soll es eine neue S-Bahn Donau-Iller geben, von der auch der Landkreis Günzburg profitieren werde. Zudem könne die Entwicklung dahin gehen, dass in den Verdichtungsräumen, also etwa von Ulm bis Günzburg, nicht mehr jede Gemeinde ihr eigenes Gewerbegebiet haben wird. Die interkommunale Zusammenarbeit werde an Bedeutung gewinnen.

    Das sagen die Ämter für Umwelt und Landwirtschaft

    Bayernweit betrachtet sei der Flächenverbrauch seit dem Höchststand im Jahr 2000 wieder deutlich zurückgegangen, betont das Landesamt für Umwelt in Augsburg. Wenn Areale umgewandelt werden, zählten dazu „in beachtlichem Umfang auch Grün- und Freiflächen, sodass der statistische Flächenverbrauch nicht mit einer Versiegelung durch Überbauung gleichgesetzt werden kann“. Da der Verbrauch an Flächen aber nach wie vor hoch sei, müsse an der Bayerischen Nachhaltigkeitsstrategie festgehalten werden. Werden Böden versiegelt, könne das schließlich Nachteile für die Bildung von Grundwasser haben und sich auf das Hochwasser, das Lokalklima und die Luftqualität auswirken. Was die konkrete Situation im Landkreis Günzburg angeht, verweist das Landesamt an das zuständige Landratsamt – das gebe zu diesem Thema aber keine Bewertung ab, erklärt Pressesprecher Karl-Heinz Thomann.

    Beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Krumbach äußert sich Landwirtschaftsdirektor Reinhard Bader aber ausführlich. In den vergangenen zehn Jahren habe der Kreis jährlich etwa 72 Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche verloren. Werde der Verbrauch nicht nachhaltig reduziert, „teeren wir in 500 Jahren im Landkreis und auch in Bayern den letzten Quadratmeter landwirtschaftlicher Fläche zu“. Zwar sei ein gewisses Bemühen zu erkennen, die Entwicklung zu bremsen. Doch es sei so viel Grund verloren gegangen, dass wegen des Flächenfraßes 60 landwirtschaftliche Betriebe ihre Erwerbsgrundlage verloren hätten – wenn der durchschnittliche Hof 32,2 Hektar Fläche bewirtschaftet. Auch die Kompensationsflächen für Bauprojekte gingen zu Lasten der Bauern und ihrer Grundstücke. Da die Kosten für die Produktion auf weniger Fläche umgelegt werden muss, wirtschafteten die Landwirte im Landkreis relativ teuer.

    Baders Kollege Rupert Goldstein betont die Notwendigkeit, alle gesellschaftlichen Interessen unter einen Hut zu bekommen, etwa bei Umgehungen. Die der Landwirte seien aber zu oft „unter die Räder gekommen“. Zudem fehle etwa bei dem Abbau von Kies oft ein übergreifendes Konzept, der Landesentwicklungsplan sei für viele eher nur eine Orientierung. Es sei wichtig, bedachter zu planen und zu agieren.

    Das sagen die Ämter für ländliche Entwicklung und Straßenbau

    Jettingen-Scheppach hat im Laufe der Jahre sein Aussehen massiv verändert. Aus dem kleinen, von der Landwirtschaft geprägten Ort ist eine Gemeinde geworden, die nun vor allem durch ihr Gewerbe- und Industriegebiet definiert wird. In den Kernen von

    Da Boden nicht unendlich ist, sei es umso wichtiger, dass sich die Gemeinden gut überlegen, wofür sie Flächen nutzen. Um das gerade in den Ortskernen zu erleichtern, gibt es eine Datenbank mit freien Objekten und Baulücken. Doch die Ansiedlung großer Betriebe sei meist nur im Außenbereich möglich. Wer will schon eine Firma mit dem Lieferverkehr als Nachbarn. „Letztlich ist alles eine Abwägungssache“, sagt Kreye. Schließlich haben die Kommunen die Aufgabe, Wohn- und Arbeitsplätze zu bieten. Gerade kleinere Gemeinden müssten auch im Konkurrenzkampf mit den Städten bestehen. Was sie dabei nicht vergessen sollten: Je mehr Infrastruktur sie schaffen, etwa neue Straßen, desto mehr müssen sie unterhalten. Dieses Geld sei lange gebunden.

    So wie Kommunen prüfen müssen, was sie tun, so muss auch das Staatliche Bauamt Krumbach etwa vor dem Bau von Ortsumgehungen alle Interessen abwägen. Natur und Wasser spielen dabei sehr große Rollen, sagt Roswitha Schoemig, die Leiterin des Bereichs Straßenbau für den Landkreis. Die Landwirtschaft hingegen sei auch wichtig, aber in der Tat stehe sie hinten an. Und wenn es um die Auswahl von Projekten gehe, seien die von Bund und Land auch politisch beeinflussten Verkehrswegepläne wichtige Vorgaben. Dass wie im vergangenen Jahr aber gleich drei große Straßenbauprojekte auf so engem Raum gebaut werden, werde es auf absehbare Zeit wohl nicht mehr geben.

    So viel wird täglich verbraucht und was der Heimatminister will

    Je nachdem, wer gefragt wird, variieren die Zahlen etwas. Jedenfalls werden in Bayern zwischen 20 und 30 Hektar Fläche verbraucht – jeden Tag. Deutschlandweit sind es sogar 74. Hunderte Fußballfelder also. Es waren sogar schon einmal 130 pro Tag. Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, den Verbrauch so zu senken, dass im Jahr 2020 täglich nur noch 30 Hektar verloren gehen. Modellrechnungen hätten aber bereits gezeigt, dass dieses Ziel verfehlt werden könnte – und es bei unveränderten Rahmenbedingungen ab 2015 bei 64 Hektar pro Tag bleibe.

    In seiner Regierungserklärung „Heimat Bayern 2020“ hat Heimatminister Markus Söder Ende 2014 neben der Förderung des ländlichen Raums den Bürgermeistern und Landräten mehr Möglichkeiten zur Selbsthilfe versprochen. Die Ansiedlung von Gewerbe und Arbeitsplätzen sei dabei der wichtigste Punkt. „Die bisher sehr restriktive Handhabung des Anbindegebots steht der kommunalen Selbstverwaltung häufig entgegen“, hieß es damals. Hinter dem Begriff verbirgt sich die Notwendigkeit, nicht irgendwo auf freiem Feld ein neues Bau- oder Gewerbegebiet aus dem Boden zu stampfen, sondern darauf zu achten, dass sich neue Vorhaben an bestehende Areale anschließen.

    Dieses Gebot will Söder aber an Autobahnausfahrten oder vierspurigen Straßen für Gewerbegebiete und wichtige Tourismus- sowie Freizeitgroßprojekte lockern. Auch weitere Erleicherungen hat er ins Gespräch gebracht. „Die Sorge um zu viel Flächenverbrauch habe ich nicht“, erklärte er. Umweltschützer hingegen schon. Auch wenn der Heimatminister „offensiver“ von den Möglichkeiten des Landesplanungsrechts Gebrauch machen will, um das bayerische Naturerbe zu bewahren.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden